Süddeutsche Zeitung

Klassik:Hammerflügel in München

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Von Reinhard J. Brembeck

Ja, es ist ein Trio-Abend. Wobei weder die hinreißend verspielte Sängerin Anne Sofie von Otter noch der Pianist Kristian Bezuidenhout die größte Aufmerksamkeit erregen, sondern der hellholzige Flügel. Der sieht solide und wuchtig aus, aber - mancher im Münchner Cuvilliés-Theater mag beim ersten Ton enttäuscht: "Ach!" denken - er klingt leise, fern, zauberhaft und so gar nicht nach dem, was die Hörer von einem modernen Konzertflügel vergleichbarer Größe erwarten würden. Denn dort auf der Bühne steht ein Hammerflügel, der zarte Erbe des Cembalos und Vorläufer des heutigen, seit etwa 1875 üblichen Flügels, für den Meisterkomponisten wie Mozart, Beethoven, Schubert und Schumann komponiert haben. Der Hammerflügel machte in seiner 150-jährigen Geschichte eine große Entwicklung durch, von dezent zu dröhnend, von zauberhaft zu vorlaut. Der Graf-Flügel im Cuvilliés-Theater steht etwa in der Mitte dieser Entwicklung und wirkt anfangs bei den Mozart-Liedern ("Abendempfindung", "Luise", "Zither", "Chloë") etwas zu romantisch, zu klangvoll. Doch spätestens wenn Bezuidenhout, dieser zarte Sensibilist unter den Hammerklavierspielern, das späte c-Moll-Allegretto von Franz Schubert solo spielt, dann ist die Verwunderung in dem kleinen Rokokosaal mit den Händen zu greifen. Wo ein modernes Klavier selbst in extrem leise gespielten Passagen sich direkt vernehmlich an den Hörer wendet und Aufmerksamkeit einfordert, da entzieht sich der Hammerflügel, da raunt sein Ton und schwebt sehnsuchtstrunken leicht aus dem Elysium in den Saal. Anne Sofie von Otter ist die Grande Dame unter den Sängerinnen der historischen Aufführungspraxis, und sie weiß genau, warum sie ihren Mozart-Schubert-Lindblad-Berwald-Liederabend zusammen mit diesem Hammerflügel bestreitet. Denn Otter will und bietet keine Überwältigung und keine Dramatik, sie lässt ihre Stimme federleicht durch die Lieder schweben, sie streichelt die Kantilenen, sie tönt die Höhe im Leisen ab, sie gurrt die Tiefe. All dies wäre ihr so nie und nimmer möglich, wenn das Instrument an ihrer Seite dem Direkten und Diesseitigen ergeben wäre wie ein moderner Flügel. Und so entsteht ein vollkommener Zauber.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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