Klassik:Wen Gott liebt

"Böse bin ich, weil böse hat mich Gott gemacht": David Pountneys Inszenierung von Carl Nielsens Bibeloper "Saul und David" in Kopenhagen blickt voller Skepsis auf die Religion - und ist überraschend modern.

Von Egbert Tholl

Im stärksten Moment dieser über weite Strecken von wuchtigen Chören getragenen Oper ist ein Mann - ein Sänger - allein. Saul ist König des Volkes Israel, das Volk ist im Krieg mit den Philistern. Opferhandlungen, die nur der Prophet Samuel vollziehen darf, sollen die Kämpfe einleiten, doch Saul wollte nicht warten. Da wird ihm von Samuel der Zorn Gottes und das Ende seiner Herrschaft prophezeit.

Nun also ist Saul allein und hadert mit Gott. Der kunstvoll gebaute, spätromantisch überbordende Orchestersatz dünnt aus zu karger Begleitung; mit hart kontrollierter Wut formuliert der eben noch als grandioser Herrscher auftrumpfende Bass Johan Reuter die Selbsterklärung Sauls: "Gott ist böse, und böse bin ich, weil böse hat mich Gott gemacht."

Die Religionsskepsis, die daraus spricht, wirkt ausgesprochen modern, obwohl Carl Nielsens Oper "Saul und David" schon 1902 in Kopenhagen uraufgeführt wurde. Nielsen hat hierzulande und vor allem im angelsächsischen Raum einen guten Ruf als Symphoniker - zu seinem 150. Geburtstag veranstalten etwa die Berliner Festspiele im September ein zehntägiges Festival mit Kammermusik und großen Orchesterwerken. Gleichwohl ist er außerhalb Skandinaviens als Opernkomponist weitgehend unbekannt. Vor einigen Jahren inszenierte David Pountney als Intendant bei den Bregenzer Festspielen seine andere Oper "Maskerade". Nun hat wieder Pountney inszeniert, am königlichen Opernhaus Kopenhagen.

"Saul und David" ist ein Bibeldrama mit oratorienhaften Zügen, darin vergleichbar Schönbergs "Moses und Aron". Einerseits greift das Werk die Epik der biblischen Vorlage auf - vom Kampf Davids gegen Goliath etwa erfährt man durch einen Botenbericht. Andererseits widmet sich Nielsen mit Hingabe der Psychologie der beiden Protagonisten. Nebenfiguren werden eher zu Typen - aber der zentrale Konflikt wird wunderbar plastisch, einschließlich der darin enthaltenen Vorbehalte gegenüber Religion.

Bei ihrer Uraufführung wurde die Oper auch als Abbild der Sturheit einiger dänischer Könige empfunden. Heute tritt, auch dank Pountneys Regie, der Glaubensaspekt stärker in den Vordergrund. Saul ist auch ein Lear, ein Herrscher, der sich schwer tut, sein Reich kommenden Generationen zu überlassen. Dazu gibt ihm Pountney die Züge eines Popanz, umgeben von einer prächtig uniformierten, mit Maschinengewehren ausgerüsteten Palastwache (Bühne und Kostüme: Robert Innes Hopkins). Aber Pountney macht Saul nie zur Karikatur, setzt auf die noch im Wahn virile Erscheinung Johan Reuters.

David hingegen ist ganz der junge Tor, ein Parsifal, der die Menschen mit seinem Gesang betört - was Niels Jørgen Riis mit lyrischer Tenorpracht bestens gelingt. Die leuchtenden Farben seiner Stimme sind wie eine Verheißung in der ansonsten vorherrschenden Düsternis. Und eines wird deutlich, quasi durch den biestigen Propheten Samuel (Morten Staugaard) als Schiedsrichter: Gott liebt die, die sich ihm unterordnen. Saul ist ein selbstbestimmter Herrscher - Gott indes liebt den braven, naiven David, der sein Werkzeug ist. Am Ende wird David als die neue Hoffnung Israels gefeiert. Doch im Jubel der fabelhaft lebendig singenden Chormassen schleicht von hinten ein Gespenst heran - Samuel -, der den neuen König vom Podest stößt und selbst die Faust in die Höhe reckt.

Die Bühne wird von zwei Betonwabenwänden dominiert, man denkt dabei an Gaza oder Ramallah. Pountney ist über die vielen Jahre als Regisseur immer feiner geworden; er hat ein Gespür für Assoziationsräume entwickelt, nimmt den Zuschauer als Mitdenkenden ernst, ohne ihn mit einer Interpretation zu gängeln. Schade, dass das Orchester unter Michael Schonwandt nur im Lyrischen überzeugt - im Dramatischen bleibt vieles zu undifferenziert. Doch die Klangfarben-Dramaturgie zwischen dem dunklen Saul und dem lichten David funktioniert prächtig.

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