Klassik:Fundamentaler Konflikt

Oper Moses und Aron; Dresden

Geistigkeit oder Sinnlichkeit: Lance Ryan als Aron in Dresden.

(Foto: Ludwig Olah)

Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" scheint aktueller denn je. Calixto Bieito hat sie in Dresden wieder einmal inszeniert.

Von Wolfgang Schreiber

Sogar eine Opernintendanz kann, wie Filme in Hollywood, mit einem Erdbeben beginnen und sich langsam steigern. Der Schweizer Peter Theiler, neu an der Spitze der Dresdner Semperoper, hat seine erste Spielzeit nicht mit der "Zauberflöte" begonnen, sondern mit einer der sperrigsten Opern der Moderne: Arnold Schönbergs Zwölftonwerk "Moses und Aron". Donnerwetter: An dem Opernhaus, das dem Dresden-Tourismus durch Popularität Tribut zollen muss, soll Ungewöhnliches mit Gegenwartsbezug stattfinden.

Der frühere Regie-Berserker Calixto Bieito, zwei hochrangige Protagonisten, ein fabelhaftes Chorkollektiv und Alan Gilbert am Pult wuchteten ein Experiment, das viel Beifall bekam. Die biblisch-spröde Gedanken- und Bekenntnisoper, inspiriert vom jüdischen Glauben inmitten des aufkommenden Antisemitismus der Zwanziger, erscheint aktueller denn je.

Schönberg, vom Protestantismus zum Judentum zurückgekehrt, vollendete zwei Akte der Oper im Jahr vor Hitlers "Machtergreifung", nur in Prosa gibt es den dritten Akt, der in Dresden auch nicht aufgeführt wird. Der Komponist, der in die USA emigrierte und 1951 starb, hätte die Zeit gehabt, seine Oper fertigzustellen: Was er nicht finden konnte, war die Lösung des fundamentalen Konflikts zwischen Moses und Aron.

Das Alte Testament gibt die Handlung vor. Moses empfängt durch die Stimme aus dem Dornbusch den Auftrag Gottes, gemeinsam mit dem Halbbruder Aron die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft zu befreien. Moses, der Mann des reinen Gott-Gedankens, predigt Bilderverbot, Aron macht dem Volk den unsichtbaren Gott mit realen Wundern, schmackhaft, er ist der Populist. Die Frage des Stücks: Wie kann Gottes Existenz dem Volk der Angst vermittelt werden?

"Kein Bild kann dir ein Bild geben vom Unvorstellbaren", schleudert der Gedankenprophet Moses, hier John Tomlinson in stolzer Zerrissenheit Aron entgegen, dem Verfechter der Sinnlichkeit und der Rede, den der Tenor Lance Ryan mit heroisch gleißendem Belcanto verkörpert. Auf Bilder haben Calixto Bieito und seine Bühnenbildnerin Rebecca Ringst denn auch, gleichsam moseshaft, verzichtet, die kahle Bühne ist in blendendes Weiß getaucht, eine Schräge nach hinten lässt an den Berg Sinai denken, wo Moses die Gesetzestafeln von Gott empfing. Und die Schräge hinunter wälzt sich die Volksmasse Israels, die, völlig haltlos geworden, zu den alten Götzen zurückkehrt und in einer ekstatischen Orgie hemmungsloser Sexualität und Selbstzerstörung versinkt.

Die Szene der obszönen Goldene-Kalb-Anbetung ist noch jeder "Moses"-Inszenierung zum Realismus-Test geworden: Vier nackte Jungfrauen auf offener Bühne von Priestern töten zu lassen, die mystische Performance in Schönbergs akkurater Regieanweisung darf selbst Bieito nicht zeigen. Stattdessen stampfen sich vier Chorgruppen um den Sächsischen Staatsopernchor in Alltagsfetzen in den wildesten Ausdruckstanz ruinöser Gefühle und Aktionen hinein. Die komplexe Intonation und Rhythmik meistern die Chöre dabei übrigens mit Bravour. Und die Entfesselung des Gedankens lässt Bieito, eine Spur blutleer, in einer kalten Videobotschaft wie aus dem Silicon Valey gipfeln, von wo uns die Überflutung durch Bytes und Algorithmen durch das Weltmeer von Zahlen und Zeichen zu retten verspricht. Moses' Antwort: Er zerschlägt die Gesetzestafel.

Weder Moses noch Schönberg wollten ihn sanktionieren, den "Triumph der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, streng genommen einen Triebverzicht", wie ihn Sigmund Freud in seiner letzten Schrift "Der Mann Moses" an die Wand malte. Dieses Dilemma hat die Dresdner Aufführung, durch die Alan Gilbert mit Sensibilität und Wucht dirigierte, in der Schwebe gehalten.

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