Klassik:Evas Ehe, unser Alltag

Zubin Mehta dirigiert Haydns "Schöpfung" in München und erinnert daran, dass dieses Oratorium immer auch der Selbstversicherung des Bürgertums diente, dass es allzu schlimm schon nicht kommen wird.

Von Michael Stallknecht

Als Joseph Haydn "Die Schöpfung" komponierte, war in Frankreich soeben das Blut in Strömen von der Guillotine geflossen und hatte Europa nur den ersten in der Reihe der Koalitionskriege hinter sich. Das Oratorium beginnt denn auch mit der Darstellung des Chaos, das aber bereits nach wenigen Minuten einem strahlenden C-Dur weicht. Haydn und sein Librettist Gottfried van Swieten feiern eine harmonische Weltordnung im Sinne der Aufklärung, die ja eigentlich gerade ihre Nachtseiten gezeigt hatte: Adam und Eva sind hier frei von Schuld, die vom Komponisten liebevoll klangmalerisch gezeichneten Tiere fressen einander nicht, und über allem strahlt licht die Sonne, die soeben zum ersten Mal aufgegangen ist.

Es könnte gerade dieser Kontrast zur Realität gewesen sein, der der "Schöpfung" schon bei den ersten Aufführungen ihren Erfolg über alle verfeindeten Linien hinweg sicherte, wie der kluge Jörg Handstein im Programmheft der Münchner Philharmoniker spekuliert. Die Stärke der aktuellen Aufführung im Münchner Gasteig aber ist es, dass man der Wohlproportioniertheit der harmonischen Ordnung folgen kann, ohne dass es langweilig dabei würde.

Am Pult steht beziehungsweise sitzt der 83-jährige Zubin Mehta, der nach einer längeren krankheitsbedingten Pause im letzten Jahr wieder dirigiert. Die klanglichen und dynamischen Aufrauhungen, mit denen die historische Aufführungspraxis inzwischen Werke wie die "Schöpfung" dynamisiert hat, waren seine Sache nie. Mehtas Metier ist das Klassische im emphatischen Sinne der Haydnschen Epoche, sind Ausgewogenheit und Maß. Noch das anfängliche Chaos erscheint hier beherrschbar, der lichtende C-Dur-Schlag legt es nicht auf Überwältigung an, und das Brüllen des Löwen oder das Wühlen des Wals am Meeresgrund werden nur soweit ausgekostet, dass sie Teil ihrer auch musikalisch stabilen Welt bleiben.

Den Philharmonikern entlockt Mehta dafür einen lichtdurchfluteten Klang, strukturiert und makellos, auch in der Balance zwischen Tutti und den zahlreichen Soli wie denen des großartigen Flötisten Michael Martin Kofler. Der Philharmonische Chor leuchtet trotz großer Besetzung immer wieder die Pianobereiche aus, indem er plastisch phrasiert und artikuliert. Die Textverständlichkeit ist fast ebenso hoch wie bei den Solisten, die besser kaum besetzt sein könnten: René Pape verwöhnt mit den erforderlichen Basstiefen bis hinunter zu einem eingeschobenen tiefen D, strebt aber ohne alles Stimmgeprotze immer wieder subtil nach liedhaften Farben. Mojca Erdmann bindet die Koloraturen wie die Konsonanten makellos in den Fluss ihres Soprans ein. Zum homogenen Terzett ergänzt die beiden Dmitry Korchak, der mit ebenmäßig geführtem Tenor ebenfalls klassischen Tugenden huldigt.

Nur einmal brechen Erdmann und Pape aus, wenn gegen Ende Eva ihrem Adam Gehorsam schwört: Sie machen mit darstellerischen Mitteln eine kleine Operettenszene daraus, die bereits darum weiß, dass Ehen in der weiteren Geschichte der Menschheit so nicht funktionieren werden. Vom Publikum lachend goutiert, zeigt es wie in einem Kippbild, was Aufführungen der "Schöpfung", bis heute, auch sind: die Selbstversicherung eines parallel zur musikalischen Klassik an die Macht gekommenen Bürgertums, dass darauf hofft, dass es allzu schlimm schon nicht kommen wird.

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