Klassik:Dunkle Hymnen

Dina Ugorskaja spielt im Herkulessaal aufregend Klavier

Von Egbert Tholl

Natürlich weiß man nicht, wie Vardan Maminonian hier gespielt hätte, hätte er keinen Unfall gehabt. Aber er fiel aus - hoffentlich geht es ihm besser -, und Dina Ugorskaja sprang ein. Sie lebt in München, stammt aus St. Petersburg, ihr Vater, Anatol Ugorski, brachte ihr das Klavierspielen bei, daneben studierte sie Komposition. Das tut sie auch, komponieren, was man ihrem Spiel anmerkt. Sie analysiert den Totentext, während sie ihn in Töne umsetzt. Das ist aufregend. Nun spielte sie im Herkulessaal jenes Recital, das sie zum Antritt ihrer Wiener Klavierprofessur spielte. Schumanns "Gesänge der Frühe", Skrjabins siebte Klaviersonate und Schuberts letzte Klaviersonate B-Dur.

Im zweiten Satz, dem Andante von Schuberts Sonate, gibt es eine Stelle, in der mehrmals hintereinander synkopiert vier Akkorde aufeinander folgen, worauf die linke Hand über die rechte greift und ein kleines Pling dazusetzt, eine Spielerei, wie eine flüchtige Idee. Man muss Dina Ugorskaja dabei beobachten, wie sie diesen Ton setzt, ganz zart, dann zuckt die Hand zurück, als hätte sie etwas Verbotenes getan, schwebt leicht flatternd über den Tasten. Dann spielt sie eine Variation dieser Stelle ohne Übergreifen, immer noch so scheu, dass hier eine unendliche Poesie aus Vorsicht, Genauigkeit und aber letztlich doch Unabdingbarkeit entsteht. Ist es richtig, was ich hier tue? Aber ich muss es tun, das scheint ihr durch den Kopf zu gehen. Kehrt die Stelle abermals wieder, ist sie sich ihrer Sache sicher.

Der Abend beginnt mit dunkelschwerer Ruhe (Schumann), aus der sich ein schwerer Hymnus erhebt. Später wird man den Eindruck nicht los, Ugorskaja habe nicht nur den Bauplan eines jeden Stücks so im Kopf, dass sie mit dem Erklingen des ersten Tons den letzten mitdenkt, sondern auch einen konzisen Plan für den ganzen Abend. Die betörende, fast tränentreibende Schönheit, die sie im Schubert findet und am Ende in etwas auflöst, was man in ihren Maßstäben federleichte Fröhlichkeit nennen könnte, die wirkt dann am Ende abgerungen ihrem Umgang mit Schumanns Eingangsstück. Dort interessiert sie die Mischung aus grollender Unruhe und Impressionismus mehr als das, was man erwarten würde. Sie liest Musik sehr genau.

Also nichts ist mit romantischem Wohlfühlprogramm, bei Skrjabin ohnehin nicht. Da wird ihr Spiel zu echter Arbeit - nicht dass sie sich es jemals leicht machte. Die Arbeit ist sowohl physisch als auch eine des Denkens von Musik. Nichts macht Ugorskaja so, wie man es kennt. Deshalb soll sie bald wieder spielen, vielleicht auch sehr bekannte Stücken. Ihre Aufnahme von Bachs "Wohltemperierten Klavier" jedenfalls ist eine Wucht.

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