Klassik:Der Applaus endet, wenn der Vorgeiger gegangen ist

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Verneigung im Namen der Kollegen: Simon Rattle verabschiedet Florian Sonnleitner in den Ruhestand. (Foto: Peter Meisel)

Die BR-Symphoniker feiern den Abschied von Konzertmeister Florian Sonnleitner.

Von Reinhard Brembeck

Wenn Florian Sonnleitner als allererster Geiger, als Konzertmeister der BR-Symphoniker auf die Bühne kommt, dann strahlt er eine Ruhe und Weitsicht aus, die er dem chinesischen Weltweisen Lao Tse abgeschaut haben könnte. So war das auch am vergangenen Freitag im Münchner Herkulessaal. Da wirkte Sonnleitner geradezu verklärt. Das Programmheft kündigte dem Publikum an, dass dies der letzte Arbeitstag Sonnleitners in diesem Orchester sei. Was sich dann ereignete, musste selbst dem hartherzigsten Hörer die Tränen in die Augen treiben.

Seit ein paar Jahren kommt einmal im Jahr Simon Rattle zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Es sind das bisher immer grandiose Höhepunkte geworden im an Höhepunkten nicht armen Münchner Konzertleben. Offensichtlich läuft da eine ganz heiße Liebesaffäre, der man noch eine sehr lange Dauer wünscht.

Bei Rattle sind die Symphoniker unerhört leise und zart und warm und aufmerksam. Dabei ist er überhaupt kein Bauchmusiker wie Gergiev, Barenboim, Thielemann und auch oft der nüchterne BR-Symphoniker-Chef Jansons. Rattle ist ein intellektuell gebrochenes Musikantentum eigen. Weshalb ihm Wagner, Mozart, Puccini und Brahms nicht so gut liegen wie Robert Schumann, Joseph Haydn und Gustav Mahler. Die sind ihm Seelenverwandte. Also setzte Rattle jetzt Schumanns Dritte und Mahlers "Lied von der Erde" an.

Bei Mahlers "Lied von der Erde" wird endlich einmal spürbar, was dieser Titel verspricht

In seinen Symphonien zwingt sich der sprunghafte Aphoristiker Schumann zur großen Form. Das gebiert eine Spannung, die traditionelle Dirigenten gern durch romantisches Überschäumen zuklittern. Die Meister der historischen Aufführungspraxis dagegen tendieren dazu, die Brüche, Schrammen und Schründe zu betonen. Rattle, gerade 63 Jahre alt geworden und im sechzehnten und vorletzten Jahr Chef der Berliner Philharmoniker, schafft mittlerweile die gelassene Balance zwischen Schumanns Wollen und den inneren Widerständen dagegen. Allein dafür hätte man ihn in jedem anderen Konzert feiern müssen.

Dann aber begann das "Lied von der Erde" und damit eine völlig neue musikalische Zeitrechnung. Wie jeder andere Tenor auch hatte Stuart Skelton mit seiner exponierten Partie zu kämpfen, die einen irrsinnigen Druck auf die zart verhangenen chinesischen Gedichte ausübt. Doch die Musiker und Rattle ließen sich davon nicht anstecken. Sie liebkosten die brüchige Melancholie der zwischen Asiensehnsucht, Romantik und Moderne tänzelnden Verse und ihrer Musik: "Dunkel ist das Leben, ist der Tod."

Rattles Frau Magdalena Kožená war dann von Anfang an ganz bei Mahler und den Musikern. Kožená, die einst als quirliger Derwisch über die Bühnen fegte, zeigt jetzt eine ruhige Empfindungstiefe, die so ganz mit ihrer dunklen und vollen Mezzosopranstimme harmoniert. Keine Pose, nichts Schrilles, nichts Gewolltes.

So ging es dann tiefer und tiefer in Mahlers "Lied von der Erde" hinein, der weltumfassende Anspruch des Titels wurde endlich einmal in einem Konzert spürbar. Gerade weil Rattle alle Sentimentalität und alles romantische Gewese mied. Für den finalen "Abschied" brauchen die meisten Dirigenten eine Stunde. Rattle kam mit 22 Minuten aus. Das Stück aber wirkte durchaus nicht gehetzt. Stattdessen erlaubte dieses Tempo jene Schwerelosigkeit, die Rattle als sein höchstes Gut pflegt. Sie entwindet die Musik aller Erdenschwere, aller Unklarheiten.

Und dann der wirkliche Abschied. Nikolaus Pont, der Intendant der BR-Symphoniker, spricht bewegt und fern aller Abschiedskonvention. Danach ergreift Rattle in seinem charmanten British-German das Wort, dankt Florian Sonnleitner im Namen aller Dirigenten, die mit diesem Orchester und diesem Vorgeiger arbeiten durften. Rührung schwappt durch den Raum, das Publikum will und will nicht mit dem Klatschen aufhören.

Zuletzt spricht Sonnleitner. Sein Gesicht ist eines der markantesten in der Münchner Orchesterlandschaft. Immer wirkt es nobel, leicht distanziert zutiefst mit der Musik affiziert. Da dankt ein stolzer Handwerksmeister (mehr können große Musiker nicht sein) seinen Kollegen, dem Dirigenten, dem Publikum. Und zuletzt nimmt er sein Orchester unter dem nicht enden wollenden Jubel mit vom Podium. Letztmals.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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