Klassik:Das dicke Ende kommt noch

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Auch beim "Siegfried" aus Wagners Ring führt Kirill Petrenko das bayerische Staatsorchester zu einer Spitzenleistung. Und die Idee von Andreas Kriegenburg, einen Drachen aus Menschen zu bauen, geht immer noch auf.

Von Harald Eggebrecht

Der Reichtum an Farben des Dunklen, Finsteren, Bedrohlichen, den Richard Wagner im Orchester seines "Siegfried", dem dritten Teil des "Ring des Nibelungen" entfaltet, ist grenzenlos. Das fällt besonders dann auf, wenn ein Dirigent wie Kirill Petrenko in den ersten beiden Aufzügen keine Nuance dieser Welt des Abgründigen aus Hinterlist und Lügen auf Seiten Mimes und Alberichs und dagegen der fröhlichen Rohheit bei Jung-Siegfried, also aus dunklen Trieben und lachendem Ungestüm außer Acht lässt.

Nie klingt das großartige Staatsorchester bei dieser Wiederaufnahme dick oder zu laut, nie gibt es jenen routinierten Passepartoutklang, mit dem sich manche bei Wagners Musik zufrieden geben. Petrenko lenkt die vielen Aufsplitterungen des Klangs, die blitzschnellen Farbwechsel mit brennender Aufmerksamkeit. So betont er das Geflecht dieser nahezu experimentellen Musik, das die Handlung assoziationsreich kommentiert und kontrastiert. Da tönt ein Wispern und Wabern, das plötzlich wild herausfahrend unterbrochen wird, um sogleich launenhaft ins zart Träumende, ins brütende Sinnieren oder drohend Unheimliche zu geraten.

Erda erhebt sich aus einem Menschenhügel und klagt über Wotan - ein großer Moment

Andreas Kriegenburgs Idee, mit Menschenkörpern zu inszenieren, bringt starke Bildeindrücke hervor: Etwa wenn die Bühne sich in eine vielgestaltige Schmiede verwandelt, als Siegfried sein Schwert Nothung schmiedet. Oder wenn bei der Rätselwette zwischen dem Wandrer Wotan und Mime, dem Zwerg, der Siegfried Vater und Mutter zugleich sein will aus jedoch böser Absicht, Wotans Antworten auf Mimes Fragen nach den drei Geschlechtern unter der Erde, auf ihr und in den Wolken, sogleich als Szenen im Hintergrund lebendig werden. Erst recht imponiert im zweiten Aufzug der gewaltige aus Menschenleibern gebildete Drachenkopf, aus dem sich nach Siegfrieds tödlichem Streich dann der sterbende Riese Fafner löst.

Dazu gehört die bewegliche Selbstverständlichkeit der Sänger. Stefan Vinke überzeugt als robust pubertierender Held der Ahnungslosigkeit mit kraftvoll präsenter, weniger strahlender Stimme, der aber nicht nur die heldischen Momente, sondern auch die des Grübelns und am Ende des Erschreckens, bezwingend auslebt. Der Mime von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke vibriert sehr komisch zwischen Mördertücke und Weinerlichkeit, John Lundgrens Alberich bebt vor Gier nach Macht, der Wandrer des Egils Silius kann ehern dröhnen und ist doch längst nur Getriebener der eigenen Fehler.

Ein großer Augenblick ist es, wenn sich Okka von der Damerau als Erda aus einem Menschenhügel erhebt und Wotans Meineidigkeit beklagt. Mirella Hagens Waldvogel zwitschert so, dass Siegfried nicht widerstehen will. Ain Angers Fafner stirbt in staunender Basstrauer. Am Ende aber erwacht Nina Stemmes Brünnhilde so strahlend wie der Tag. Und so berührend im Schmerz um den Verlust ihrer Göttlichkeit. Der unwissende Held und die die Götterdämmerung voraussehende einstige Walküre - ein sehr ungleiches Liebespaar. Bravi für alle und besondere Ovationen für Kirill Petrenko.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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