Süddeutsche Zeitung

Klassik:Bad im Streicherstrom

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Kirill Petrenko und das Staatsorchester debütieren in der Elbphilharmonie

Von Rita Argauer, Hamburg

Das Bayerische Staatsorchester hat kein Signature-Stück. Denn als Opernorchester zeichnet es sich eher durch stilistische Flexibilität aus. Zu den Opern und Balletten kommen pro Saison sechs Akademiekonzerte, in denen das Orchester Symphonik spielt. Und das Programm des jüngsten Akademiekonzerts gibt man nun unter Generalmusikdirektor Kirill Petrenko als Debüt in der Hamburger Elbphilharmonie. Ohne Signature-Stück, mit dem man sich in dem neuen Saal vorstellt. Dafür mit umso mehr Überraschung.

Denn in dieser latent verrückten "Manfred-Symphonie", die Tschaikowsky 1885 nach einem Gedicht Lord Byrons komponierte, erschafft das Orchester einen umwerfenden Wahnsinn zwischen spätromantischer Opulenz und kühl-schneidender Moderne. Petrenko zeigt ein weiteres Mal, dass er ein meisterhafter Dompteur des emotionalen Sturms ist. Es ist eine klug organisierte Überwältigung, die sich über die vier Sätze ergibt. Die Struktur bleibt klar, die Agogik und die Dynamik verwischen nichts, dennoch breitet sich der Leidensweg der Titelfigur hochdramatisch aus.

Das sei in diesem Ausmaß selbst für die Musiker überraschend gewesen, erklärt der Hornist und Orchestervorstand Christian Loferer nach dem Konzert, als ein sichtlich gut gelaunter Petrenko vorbeiläuft und grinsend ruft: "Der gibt meine Interviews." Petrenko selbst redet nie mit der Presse, aber Loferer erzählt, dass er in diesem Konzert gespürt habe, wie sehr es auch den Maestro mitgenommen habe: "Man hat gemerkt, dass er losgelassen hat", sagt er, und ja, im dritten Satz schien es, als badete Petrenko mit groß ausholenden Gesten im Streicherstrom. Durch die rundere Aufstellung hatte Loferer hier, anders als im Münchner Nationaltheater, alle Mitmusiker im Blick: "Dann beginnen alle an einem Strang zu ziehen, und es wissen alle, dass gerade etwas Außergewöhnliches passiert", erzählt er.

Auch das Publikum ist mitgenommen von diesem immer weiter aufblühenden Orchester. Es gibt stürmischen Applaus, der anders als in München keine Selbstverständlichkeit in sich trägt. Das Münchner Publikum klatscht so, als habe man schon vorher um die Großartigkeit gewusst. Das Hamburger Publikum ergießt seinen Applaus in einem ehrlich überraschten Sturm.

Schon im ersten Teil des Konzerts - Julia Fischer und Daniel Müller-Schott mit Brahms' Doppelkonzert - hört man nach dem ersten Satz ein paar Applaus-Anläufe. Hier ist der Klang kompakter, Fischer und Müller-Schott, die dieses Konzert seit 15 Jahren zusammen spielen, erklingen als eine Einheit, die sich in den Forte-Passagen oft nur minimal vom Tutti des Orchesters abhebt. Es ist Fischers Debüt in der Elbphilharmonie, Müller-Schott tritt bereits das dritte Mal dort auf. Fischer sei bei einem neuen Saal prinzipiell neugierig und auf diesen natürlich besonders, sagt sie vor dem Konzert. Das zeige sich auch am Interesse ihres Freundeskreises, sie sei gleich mit zwölf Leuten im Schlepptau aus München angereist.

Doch der beste Saal erreicht seinen Zweck erst durch die Musiker. Und das Staatsorchester liefert in Hamburg ein Konzert, das die Elbphilharmonie und das Orchester selbst für die bewährt umwerfenden Konzerte Petrenkos ungewohnt hell strahlen lässt.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2018
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