Klassik:Augustin Hadelich spielt Ligeti

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(Foto: Label)

Von Harald Eggebrecht

"Wie ein Naturlaut" hat Gustav Mahler als Anweisung über den extrem zarten Beginn der 1. Symphonie geschrieben. Ähnlich aus dem Nichts heraus fängt György Ligetis fünfsätziges Violinkonzert von 1992 an, das er für den bedeutenden Geiger Saschko Gawriloff komponierte. Der ferne Violinton pendelt zwischen D- und A-Saite, andere Geigen mischen sich mit Glissandi ein, es wird wilder und kontroverser mit exotischen Okarinas, die schon vor 12 000 Jahren geblasen wurden, mit Lotusflöten und heftigen Perkussionsgewittern, bevor alles schwermütig verlischt. Der zweite Satz gibt sich in Variationen gleichsam "mittelalterlich", das Intermezzo zuckt als flirrendes Geigenfeuerwerk auf, die Passacaglia weitet sich bis zum Schrei, der 5. Satz Appassionato endet in einer verrückten, alles nur denkbar Geigenmögliche ausreizenden Kadenz, danach sind die Energien wirklich erschöpft.

Neu, fremdartig, splittrig, Asiatisches, Südamerikanisches, Afrikanisches nutzend, vierteltönige Chöre einsetzend hebt das Stück so mitreißend ab, dass es zu einem der erfolgreichsten Stücke heutiger Musik geworden ist, das viele große Geiger spielen. Denn es steckt auch voller Kantilene, Melodie, attraktiver Spiellust und einer wahrlich unerschöpflichen Klangfantasie.

"Im Konzertsaal entfaltet sich dieses Violinkonzert als Spektakel", schreibt Augustin Hadelich im Booklet seiner fulminanten Einspielung mit dem Norwegischen Radio Orchester unter Miguel Harth-Bedoya (Warner Classics). Nur 25 Musiker braucht es, um diese so abenteuerliche, überraschende wie berauschende Welt entstehen zu lassen. Nicht nur der Solist muss mit allen Wassern höchster Virtuosität gewaschen sein, auch die anderen Musiker müssen extrem reaktionsschnell und geistesgegenwärtig agieren für die aufregenden Dialoge, Szenen und Ausbrüche.

Hadelich spielt eminent ausdruckskräftig mit toller Überlegenheit, ohne je die gewollte Widerständigkeit der Partitur zu glätten. Seinen durchgebildeten Ton vermag er allen Klangmasken und -provokationen Ligetis furios anzuverwandeln. Und die Kadenz von Thomas Adés treibt den Artisten Hadelich endgültig auf die violinistische Zirkuskuppel: Grandios!

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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