Süddeutsche Zeitung

Klassik:Auf dem Tanzboden

Seit zehn Jahren existiert das Zimmermann Streichtrio, obwohl es für diese Besetzung nur wenige große Meisterwerke gibt. Jetzt spielte die Formation in München Arnold Schönbergs Trio und Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen.

Von Michael Stallknecht

Die Injektion ging direkt ins Herz, um Arnold Schönberg das Leben zu retten, nachdem er im Jahr 1946 einen Herzinfarkt erlitten hatte. Das Grauen des nahen Todes und des Krankenhausaufenthalts verarbeitete er nach eigener Aussage im Streichtrio op. 45, bis hin zu den einkomponierten Nadelstichen. Aufgeführt wird das zwanzigminütige Werk gleichwohl selten, weil es wie viele von Schönbergs späteren Werken als sperrig gilt. Es braucht schlicht drei Virtuosen an Violine, Bratsche und Cello, die die horrenden spieltechnischen Herausforderungen so weit hinter sich lassen können, dass der Ausdrucksgehalt hinter der komplexen Zwölftontechnik deutlich werden kann. Frank Peter Zimmermann, Antoine Tamestit und Christian Poltéra stürzten sich nun im Münchner Prinzregententheater mit solcher Spielwut in das Stück, dass beim Violinisten Zimmermann schon zu Beginn die Haare vom Bogen flatterten. Entsprechend unmittelbar wurden die emotionalen Zustände von Erregtheit wie von Ruhe, Schicksalsergebenheit, auch stillem Trost hier erfahrbar.

Seit gut zehn Jahren spielen die drei schon regelmäßig als Trio zusammen. Dass die Musikgeschichte nicht wirklich viele bedeutende Stücke für ihre gemeinsamen Auftritte kennt, führt sie dabei regelmäßig auf Entdeckungsreisen. Also steht nach Schönbergs Streichtrio gleich noch ein Werk auf dem Programm, das in dieser Form ein echtes Experiment ist. Die drei haben, angeregt durch eine ältere Bearbeitung des Geigers Dmitri Sitkowetski, Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen für sich transkribiert. Dahinter steckt die Beobachtung, dass das für Cembalo geschriebene Werk über weiteste Strecken dreistimmig ist. Gerade die Kanons unter den dreißig Variationen folgen dem Prinzip der barocken Triosonate.

Die Figurationen rasen nur so durch und über die Instrumente, angetrieben von einer schwindelerregenden Präzision im Zusammenspiel.

Die Frage nach der Legitimität stellt sich sowieso nicht bei einem Komponisten, der seine Stücke vielfach für die verschiedensten Besetzungen einrichtete. Und die nach der musikalischen Relevanz einer solchen Bearbeitung auch nicht mehr, wenn Zimmermann, Tamestit und Poltéra sich mit leidenschaftlicher Spiellust auf die Goldberg-Variationen stürzen. Wo sich den Pianisten beim Spiel auf dem Flügel gern mal die Finger verknoten, dürfen die drei ungehemmt aufspielen. Die Figurationen rasen nur so durch und über die Instrumente, angetrieben von einer schwindelerregenden Präzision im Zusammenspiel. Hörbar geschult an den Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis, betonen die drei vor allem das tänzerische Element, was den einstündigen Zyklus zu einer geradezu körperlichen Erfahrung werden lässt.

Vielleicht wäre in dieser Fassung mehr an meditativer Versenkung gerade in den langsamen Variationen möglich, wenn etwa der Geige in der 13. und der 25. Variation endlos sich aufschwingende Linien zufallen, wie sie Bach für dieses Instrument beispielsweise auch in seiner Matthäuspassion schrieb. Zimmermann, von jeher auch als großer Verweigerer bekannt, setzt da lieber auf einen schlanken Ton und reiche Detailphrasierung statt auf den großen emotionalen Bogen. Umso deutlicher lassen er und seine Streicherkollegen werden, was bei Bach am Ursprung des Variationsprinzip steht: variatio delectat, Variationen sollen Spaß bringen. Und in der letzten Variation, bei der Bach zwei Gassenhauermelodien seiner Zeit verwendete, streichen sie im doppelten Sinne des Wortes die volksmusiktypischen Quinten so lustvoll heraus, als spielten sie tatsächlich auf einem Tanzboden auf. Umso schöner, dass ihre Bearbeitung bald auch auf CD erscheinen wird.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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