Als der Schlussakkord langsam verhallt, muss auch Paavo Järvi lächeln. Verständlich, denn was da gerade ausklingt, ist bemerkenswerte Musik: Sergei Prokofjews erstes Violinkonzert, ein Werk zwischen den Zeiten, einerseits ganz romantisch-melodisch, andererseits weist es harmonisch deutlich ins 20. Jahrhundert hinein. Wirklich besonders wurde das Konzert aber durch die glückliche Fügung, die Järvi, das Philharmonia Orchestra London und Hilary Hahn als Solistin zusammen in den Gasteig geführt hat.
Schon der erste Satz von Prokofjews Konzert ist erbarmungslos, er lässt die Solistin völlig exponiert, kein Orchestertutti, auf dem die Sologeige aufbauen könnte. Vielleicht steht Hahn deshalb nicht an der Bühnenkante, stattdessen zieht sie sich recht weit ins Orchester zurück. So ist sie auch in den schroffen Sul-ponticello-Passagen nie überpräsent, die Saalakustik verstärkt diese vornehme Zurückhaltung noch. Das ist aber nichts Schlechtes: Hahn ist stets im engen Kontakt mit Järvi und dem Orchester - so entsteht jener sphärisch-impressionistische Klang, der so überraschend für Prokofjew ist.
Hilary Hahn ist eine Virtuosin, die sich nicht aufspielt, sie meistert die ausufernden Glissandi des zweiten Satzes, die Doppelgriffe, die rasanten Wechsel zwischen Bogen und Pizzicato und wirkt dabei völlig unangestrengt. Kein Wunder, dass die große Violinistin nicht ohne eine Zugabe gehen darf: Sie spielt das Andante aus Bachs zweiter Violinsolosonate BWV 1003. Es ist eher ein Adagio bei ihr, nicht unbedingt historisch "korrekt", aber von sanfter Schönheit, die das Stück zum emotionalen Höhepunkt des Konzertes macht.
Aber auch ohne Solistin musiziert das Philharmonia Orchestra auf ausgezeichnetem Niveau: Paavo Järvi setzt bei Ludwig van Beethovens Coriolan-Ouvertüre auf starke Kontraste. Vor Kurzem spielte seine Deutsche Kammerphilharmonie Bremen an gleicher Stelle das gleiche Stück, die Handschrift des Dirigenten war in beiden Konzerten deutlich: Lange reizt er die Pausen nach den Tutti-Schlägen aus, arbeitet dann die Nebenstimmen genau heraus. Manchmal sorgt sich Järvi aber mehr um seine Streicher, steuert sie zwar genau, verliert aber die Bläser ein wenig, die dann nicht ganz auf den Punkt spielen.
Im zweiten Konzertteil wurde Sergei Rachmaninows zweite Sinfonie geboten. Ein großes Epos, spätromantisch, melodisch, manchmal auch pathetisch. Järvi fordert erst Zurückhaltung vom Orchester, baut Spannung auf und lässt diese sich endlich im ersten Thema entladen. Im dritten Satz lassen sich die Streicher des Philharmonia Orchestra glücklicherweise nicht von der Melodie zu sehr verführen, sie bleiben wunderbar homogen, und auch die Bläsersolisten spielen schön. Im folgenden großen Tutti schaffen Järvi und seine Musiker eine intensive Lyrik, die Rachmaninows Werk im besten Sinne filmmusikalisch werden lässt. Das Finale beginnt bei Järvi mit einem episch breiten Ritardando, um dann plötzlich im Mordstempo zum Schlussakkord zu rasen. Mit viel Effekt also endet dieses Werk, das Publikum ist begeistert.
Als sich Paavo Järvi mit der Valse triste von Jean Sibelius als Zugabe verabschiedet, fordert er ein unwahrscheinlich leises Pianopianissimo vom Orchester, das dennoch mühelos die Melodie kontrollieren kann. An solchen Musikern muss man Freude haben.