"Klagenfurt revisited":Letzte Ausfahrt Klagenfurt

Wie Autoren aus der DDR die letzten Bachmann-Wettbewerbe vor dem Mauerfall gewannen.

Von Lothar Müller

Kurz vor ihrem Untergang war die DDR noch einmal sehr erfolgreich. Und zwar im Ausland, in Klagenfurt. Autoren, die der DDR-Literatur zugerechnet wurden, gewannen die vier letzten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbe vor dem Fall der Mauer. Die Ostberlinerin Katja Lange-Müller, Siegerin des Jahres 1986, lebte da zwar seit zwei Jahren in Westberlin, und Wolfgang Hilbig, Sieger im Sommer 1989, hatte bereits 1985 mit einem Reise-Visum die DDR verlassen, aber das imaginäre Trikot ihrer Herkunft war ihnen geblieben. Angela Krauss war 1988 aus Leipzig angereist, Uwe Saeger 1987 aus Uckermünde.

Das Literarische Colloquium Berlin und die Österreichische Botschaft warfen in ihrer gemeinsamen zweitägigen Veranstaltung "Klagenfurt revisited" dreißig Jahre nach dem Mauerfall einen Blick zurück auf diese eigentümliche Serie. Rasch wurde klar, dass sie erst im Rückblick als solche erscheint und dass ihr weder eine List der Geschichte noch ein kulturpolitisches Kalkül der jeweiligen Jury zugrunde lag, sondern der gewöhnliche Gang der Dinge. Thomas Wegmann von der Universität Innsbruck, der das Presseecho ausgewertet hat, zeigte in einer Blütenlese von Zitaten, wie sich die Zäsuren überlagerten. Ebenso viel Aufmerksamkeit wie die DDR-Autoren fand der medienkritisch debattierte Einzug der Fernsehkameras in Klagenfurt, und überhaupt firmierte der Wettbewerb zwar unter dem allumfassenden Titel "Tage der deutschsprachigen Literatur", aber der Proporz der Herkunftsländer wurde allseits aufmerksam registriert.

Sigrid Löffler, Jurorin des Jahres 1987, damals, in der Zeit der Waldheim-Affäre, tief in den publizistischen Kampf gegen die Legende verstrickt, Österreich sei das erste Opfer Hitlers gewesen, sah den Wettbewerb zumal auf der Jurorenebene durch die Bundesdeutschen dominiert, denen gegenüber die Teilnehmer aus der DDR als natürliche Bündnispartner der kleineren Länder, Österreichs und der Schweiz, erscheinen konnten.

Wie wäre es, wenn die Siegertexte von damals an den Wörthersee zurückkehrten?

Auf der Jury-Seite saß 1987 wie Sigrid Löffler die Schriftstellerin Helga Schubert aus der DDR, nicht eben eine Vertrauensperson der kulturpolitischen Behörden ihres Staates. Man hatte ihr als zweiten nach Klagenfurt entsandten Juror Werner Liersch an die Seite gestellt, einen engen Vertrauten von Hermann Kant, dem Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes. Helga Schubert hat nach 1989/90 in ihre Stasi-Akte Einblick genommen und berichtete nicht nur über die Manöver, mit denen ihr eine ersehnte Teilnahme am Wettbewerb 1980 untersagt wurde, sondern auch über eine Hintergrundvoraussetzung der Ausreisegenehmigungen nach 1986. Sie bestand darin, dass Marcel Reich-Ranicki, Gründungsfigur des Wettbewerbs seit 1977, im Jahr 1986 seine Tätigkeit als Jury-Sprecher beendet hatte. An seine Stelle trat Peter Demetz, in Prag geborener Literaturprofessor aus Yale. "Der bekannte Anti-Kommunist Reich-Ranicki" war aus Sicht der DDR-Behörden Beleg für den Auftrag des Klagenfurter Wettbewerbs, DDR-Autoren zu manipulieren und gegen ihren Staat in Stellung zu bringen.

Mit seinem Abgang wurde das rivalisierende Interesse an einer kulturpolitischen Profilierung der DDR auf internationalem Terrain stärker. Die Presseschau von Thomas Wegmann zeigte, dass aber in der DDR - wie generell über den Bachmann-Wettbewerb - auch über die Erfolge von Angela Krauss und Uwe Saeger allenfalls in kargen Meldungen so knapp wie möglich berichtet wurde.

Das erschien plausibel, als Angela Krauss und Uwe Saeger im LCB am Wannsee gemeinsam mit Katja Lange-Müller noch einmal ihre Siegertexte lasen. Es gab darin wenig Aufbruch und Zukunft, eher Abbrüche und Untergeher, sei es in Gestalt des eigenen Vaters in "Der Dienst" bei Angela Krauss, sei es in Gestalt eines Genossen, der beim Staatsfeiertag auf der Ehrenbühne steht in "Ohne Behinderung, ohne falsche Bewegung ..." bei Uwe Saeger. Die Ausweglosigkeit beider Texte wurde durch den Kontrast zum sprachspielerisch-antiautoritären Ton in Katja Lange-Müllers Groteske "Kaspar Mauser - Die Feigheit vorm Freund" nicht geringer. Hätte auch noch der 2007 verstorbene Wolfgang Hilbig seine grandiose Erinnerung an einen Jungen vorgetragen, der er selbst war und den das panische Gefühl des Verlassenseins in die "gottlose Beschäftigung des Schreibens treibt", die Dämonen aus der DDR wären vollständig gewesen.

Wenn Volker Hage, bundesrepublikanischer Kritiker und Bachmann-Juror von 1988 bis 1994, auf den Ernst der DDR-Literatur in der Vorwendezeit und die Spielformen im Westen zurückblickte, zeichnete sich ein Wahrnehmungsmuster ab, das in den Neunzigerjahren an Einfluss gewinnen sollte, die Opposition zwischen ostdeutschem "Pathos" und westdeutscher "Ironie". Was aber, wenn die Siegertexte von damals in die Gegenwart zurückkehrten? Sie hätten, sagte die aktuelle Bachmann-Jurorin Insa Wilke, "im heutigen Klagenfurt keine Chance". Offen blieb, ob dies ein Urteil über die Texte oder die Kritik war.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: