Klage gegen die Yale University:Grabschänder Bush

Der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark verklagt die Yale University. Er fordert die Herausgabe eines alten Indianerschädels. Einer der Vorfahren des Ex-Präsidenten war der Grabräuber.

Claus Biegert

Ramsey Clark sitzt in einem Ohrensessel, ein Buch auf den Knien. Neben ihm ragen Bücherstapel bis zu den Armlehnen. Durchs offene Fenster dringen die Geräusche der Stadt New York, das Zirpen der Zikaden, Verkehr, Polizeisirenen. Eine Brise trägt den Duft von geröstetem Kaffee ins Wohnzimmer des Apartments in Greenwich Village. Ein solches Bild der Muße ist selten in seinem Leben. 81 Jahre ist er inzwischen alt.

US-Justizminister Ramsey Clark, Foto: AP

Menschenrechtsanwalt Ramsey Clark setzt sich für das Recht der Bösen und Dämonisierten ein.

(Foto: Foto: AP)

Von Fidel Castro bis Saddam Hussein

Unter Lyndon B. Johnson war er Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika. Zuvor war er als Staatsanwalt und Staatssekretär im Justizministerum eine Schlüssefigur der Bürgerrechtsära. Er überwachte das Ende der Rassentrennung an den Schulen in den Südstaaten und den Schutz von Martin Luther Kings Märschen von Selma nach Montgomery. Seit seinem Abschied von Washington 1969 ist er Menschenrechtler und Anwalt.

Die Fälle, die er als Anwalt aufgriff, waren schon immer Fälle, die andere nicht anrührten, um ihren Ruf nicht zu beschädigen. Clark wurde mit ihnen zu einer Schlüsselfigur der amerikanischenLinken. In der bürgerlichen Mitte galt er bald als Radikaler, denn zu seinen Mandanten zählten viele, die Amerika als Staatsfeinde betrachtet, und einige, die Angst und Schrecken in der Welt verbreiteten: Kubas Staatsoberhaupt Fidel Castro, der indianische Gefangene Leonard Peltier, Kurdenführer Abdullah Özalan, Diktatoren wie Charles Taylor aus Liberia, Serbenführer Slobodan Milosevic und Iraks Präsident Saddam Hussein.

Auf das Böse angesprochen, sagt er schlicht: "Einen Großteil meines Lebens habe ich damit verbracht, gehasste und gefürchtete Personen zu verteidigen." Clark spricht leise, der Akzent des Texaners wirkt exotisch in New York. "Wie übel auch die Vergehen eines Täters sein mögen, wir müssen dafür sorgen, dass auch auf jene ein fairer Prozess wartet, die wir am meisten verabscheuen und fürchten. Das gehört zur Integrität und Redlichkeit eines gesellschaftlichen Systems, das sich Demokratie nennt."

Eigentlich selbst ein Staatsfeind

1992 gründete Clark im Vorfeld des damaligen Golfkrieges das "International Action Center" IAC, eine Aktionsgruppe, die inzwischen Büros in Washington, New York, San Fancisco und Boston unterhält. Das IAC kümmerte sich seit seiner Gründung um so ziemlich alle wunden Punkte der amerikanischen Politik - um den Irak, Haiti, den Nahen Osten, Kuba, Serbien, um Uranmunition, politische Gefangene und Rassismus. Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 wird das New Yorker Büro des IAC zu einem der wichtigsten Zentren der neuen Friedensbewegung, weil es nur wenige Meter vom Union Square entfernt liegt, an dem sich die New Yorker in den Tagen nach den Anschlägen zu spontanen Trauerfeiern ud Demonstrationen versammeln.

Letztes Jahr wurde Clark für seine Arbeit mit dem Human Rights Award der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Im Internet hagelte es dazu Angriffe. Er wurde verhöhnt , senil sei er, geistig verwirrt, eigentlich selbst ein Staatsfeind.

Clark zitiert aus dem Buch vor ihm. Es ist die Geschichte von Geronimo, jenem Apachenkrieger, der die US-Armee in einem zähen Guerillakrieg aufrieb. Der Bücherstapel rechts neben ihm besteht aus Literatur zur Geschichte der Apachen sowie der Indianerkriege und Umsiedelungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Er hat Werk um Werk durchforstet, um sich zu wappnen für seinen neuen Fall. Es geht um Grabschändung, um Geheimorden und um Großvater Bush.

Zu seinen Lebzeiten war auch Geronimo einer, der Angst und Schrecken verbreitete. "Er galt als Terrorist", sagt Clark. Als Anwalt interessiert ihn die Entwicklung einer gefürchteten Figur zu analysieren - und das Problem der Dämonisierung: "Sobald man Menschen zu Dämonen erklärt, kann niemand mehr ein gutes Wort über sie sagen." Das macht dann einen fairen Prozess oft unmöglich.

Geronimo, der eigentlich Goyathlay (der Gähnende) hieß, gehörte zum Stamm der Bedonkohe, einem Zweig der Apachen. Im Sommer 1850, Goyathlay war gerade 21 Jahre alt, schlugen die Bedonkohe, angeführt von ihrem Häuptling Mangas Coloradas, ihr Lager in den Casas Grandes in der mexikanischen Provinz Chihuahua auf.

Exemplarisches Kapitel in der Geschichte des Guerillakriegs

Um Handel zu treiben ritten die Männer in die nahe Siedlung Janos. Ihre Vorräte und Waffen ließen sie dabei unter Obhut ihrer Familien und einiger Krieger zurück. Auf dem Heimweg kamen ihnen ein paar abgehetzte Frauen mit ihren Kindern entgegen, die vor Entsetzen kaum sprechen konnten: Ein Trupp mexikanischer Soldaten hatte das Lager der Bedonkohe überfallen und fast alle getötet. Goyathlay fand unter den Toten seine Mutter, seine Frau Alope und seine drei kleinen Kinder. In seiner Autobiographie, die er kurz vor seinem Tode diktierte, sagte er dazu: "Ich betete nicht. Ich sah keinen Sinn mehr im Leben. Ich schwor Rache."

Er war jetzt Geronimo auf dem Kriegspfad. Er kämpfte gegen den Landraub durch die Goldsucher, und mit jedem Angriff des Militärs wuchs sein Hass. 1885 verlor er seine zweite Familie, nur ein Sohn überlebte. Was folgte, gilt heute als exemplarisches Kapitel in der Geschichte des Guerillakriegs: Mit nur 35 kampffähigen Kriegern, acht Jugendlichen und 101 Frauen mit Kleinkindern, ohne jegliche Versorgungsbasis, hielt er 5000 US-Soldaten samt ihrer 500 indianischen Scouts in Schach. Das war ein Viertel der damaligen US-Armee, dazu kamen noch rund 3000 Soldaten auf mexikanischer Seite.

Der Wilde war gezähmt, sein Widerstand gebrochen

Er tauchte auf wie ein Geist und war im nächsten Moment wieder mit der Landschaft verschmolzen, meldeten damals die Gazetten. Nach achtzehn Monaten ergab er sich. 1909 starb er in Fort Sill im Bundesstaat Oklahoma an Lungenentzündung. "Er gab dem Sprichwort Recht, nachdem nur ein toter Indianer ein guter Indianer ist", kommentierte die New York Times seinen Tod. Am Ende seines Lebens trug er Anzug und Zylinder, steuerte für Fotografen einen Cadillac, bekannte sich zu Jesus Christus und marschierte in Präsident Teddy Roosevelts Parade. Der Wilde war gezähmt, sein Widerstand gebrochen.

Jetzt lebt der Widerstand wieder auf. Geronimos Erben, die von Ramsey Clark vertreten werden, wollen die Gebeine ihres Helden im Quellgebiet des Gila River begraben. Ein US-Gesetz hilft ihnen dabei: Der Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA) von 1990 soll die sterblichen Relikte von Ureinwohnern, wie sie bis heute vor allem in den Sammlungen von völkerkundlichen Museen lagern, wieder in den Schoss ihrer Stämme zurück bringen.

Im Fall des Apachenkriegers aber gibt es ein Problem: Geronimos Schädel ist weder in einem Grab, noch in einem Museum. Wie aus der Anklageschrift 1:09-cv-00303 hervorgeht, liegt der Totenkopf auf dem Altar der Geheimgesellschaft "Skulls and Bones"(Schädel und Knochen) in einem fensterlosen, von Gerüchten umrankten Bau, genannt "The Tomb"(Die Grabkammer) auf dem Campus der Yale University in New Haven im Bundesstaat Connecticut.

Wie kommt der Schädel des Apachen dorthin? Wenn man den Zeugnissen von "Skulls and Bones" glauben darf, dann weilten 1918 vier Studenten der Elite-Universität Yale zu einem Artillerie-Training in Fort Sill in Oklahoma. Vor ihrer Rückkehr an die Ostküste plünderten die vier ein Grab, zu dem sie eine Eisentür aufbrechen mussten. Daraus brachten sie einen Schädel, zwei Oberschenkelknochen und ein Sattelhorn mit. Eine Festschrift von 1933, zum 100. Geburtstag der Geheimverbindung, brüstet sich mit der Tat und ordnet Knochen und Grabbeigaben Geronimo zu.

Eine Handvoll Kinderknochen

Was heute Abscheu erregen würde, war damals ein Kavaliersdelikt, unter Archäologen und Anthropologen sogar üblich. Als Mangas Coloradas, der Häuptling der Bedonkohe, 1863 in Gefangenschaft gefoltert und anschließend von Soldaten erschossen wurde, trennte man noch am gleichen Tag den Kopf vom Rumpf und kochte ihn.

Lesen Sie auf Seite 2, was die Männer des Bush-Clans mit dem Verschwinden der Knochen zu tun haben.

Grabräuber Bush

Den gesäuberten Schädel ließ der befehlshabende Offizier umgehend zu einem Anthropologen nach Boston schicken, der nach dem Vermessen erstaunt feststellte, dass das Hirnvolumen des Indianers das des Lexikonautors Daniel Webster überragte. Der große Schädel des Mangas Coloradas gilt heute als verschollen. Das letzte Mal wurde er im Umfeld des staatlichen Museums Smithonian Institution gesehen. Dort wird der Besitz abgestritten.

Den Fall Mangas Coloradas kennt kaum einer. Geronimo kennt jeder. Seine Porträts hingen in den sechziger Jahren in Studentenwohnungen neben Che und Dylan. Seine Aura wird durch die vier Grabräuber aus Yale noch mysteriöser, denn einer von ihnen war Prescott Bush, Vater des CIA-Direktors und späteren Präsidenten George Bush, und Großvater des letzten Präsidenten George W. Bush. Alle drei Bushs waren Mitglieder der "Skulls and Bones".

Ein bauchiges Glas mit Knochen auf dem Konferenztisch

Eine gewisse Genugtuung ist nicht zu überhören, wenn Ramsey Clark die drei Generationen "Bonesmen" in der Familie Bush aufzählt. Wahrscheinlich wäre die Tat ohne Aufsehen geblieben, hätte nicht in den achtziger Jahren der Stammesvorsitzende der San Carlos Apachen in Arizona, Ned Anderson, sich um die Rückführung der sterblichen Reste Geronimos aus Oklahoma in die Heimat der Bedonkohe bemüht. Kaum ging der Plan durch die örtliche Presse, meldete sich bei Anderson per Telefon ein anonymer Informant.

Der mysteriöse Anrufer dirigierte ihn zu einem Postamt in der Stadt Tempe Anderson fand dort ein Kuvert mit einem Foto aus dem Inneren des "Tomb" auf dem ein Schädel, Beinknochen und Zaumzeug eines Pferdes zu sehen waren. Als nächstes folgte eine Einladung nach New York. Ob der Informant damit zu tun hatte, ist unklar. 1986 flog Anderson an die Ostküste.

In einem Hochhaus, so erzählt er, sei er von zwei Mitgliedern der "Skulls and Bones" empfangen worden: Jonathan Bush, Bruder des damaligen Präsidenten und Endicott Peabody Davidson, dem Anwalt des Geheimordens. Auf dem Konferenztisch ein bauchiges Glas mit Knochen. Dies seien die umstrittenen Objekte, sagte man ihm, und schob ihm einen Vertrag zu. Er sollte, erinnert sich Anderson, unterschreiben, dass es sich um die Knochen eines 10jährigen Jungen handelte, die der Orden an ihn zurück gebe. Anderson unterschrieb nicht. Man trennte sich ohne Einigung.

"Zu dieser Zeit, klang alles noch sehr phantastisch", sagt Ramsey Clark. Was die Erben Geronimos dann auf den Plan rief und zu Clark Kontakt aufnehmen ließ, war eine Begebenheit im Herbst 2005: Der Journalist Marc Wortman stieß bei Recherchen in der Bibliothek der Yale University auf einen Brief, geschrieben von Bonesman Winter Mead am 7. Juni 1918 an Bonesman Frederick Trubee Davidson. Darin finden sich die Zeilen: "Der Schädel von Geronimo dem Schrecklichen, exhumiert aus dem Grab in Fort Sill ist jetzt sicher verwahrt im Inneren des T., zusammen mit seinen Oberschenkelknochen, Zaumzeug und Sattelhorn." Das war der fehlende Beweis. Der Adressat des entdeckten Briefes entpuppte sich als Vater jenes "Skulls and Bones"-Anwalts, der 1986 in New York den Stammesvorsitzenden Ned Anderson mit einer Handvoll Kinderknochen zufrieden stellen wollte.

Knochenmänner hüllen sich in Schweigen

Kaum hatte Harlyn Geronimo zusammen mit 18 Verwandten und Mitstreitern Ramsey Clark für den Fall gewonnen, meldeten sich Zweifler und Gegner.

Wer vor allem die Identität Geronimos anzweifelt, ist David Miller, eremitierter Historiker der Cameron University in Oklahoma, unweit von Fort Sill. Geronimos Grab, so Miller, sei auf dem alten Soldatenfriedhof gewesen, nur mit einem Holzkreuz versehen. Als Grab mit Eisentür identifizierte Miller das Grab des Kiowa-Häuptlings Kicking Bird. Die Universität Yale und ihre Knochenmänner hüllen sich dagegen in Schweigen.

Ungeachtet der Diskussion über die Echtheit der sterblichen Reste ist inzwischen zusätzlich ein Familienstreit entbrannt. Während Harlyn und seine Mitkläger ihre Blutverwandtschaft auf Lenna, eine Tochter Geronimos aus einer späteren Verbindung zurückführen, beruft sich der neue Kläger Lariat Geronimo auf die Linie von Geronimos Sohn Robert. Lariat stellt sich hinter die Apachen von Fort Sill und will Schädel und Gebeine wieder nach Oklahoma bringen lassen. Dorthin, wo die Touristen das Grab des legendären Apachen suchen.

"Como siempre - das alte Lied", meint Ramsey Clark traurig: "Indianer gegen Indianer und die US-Armee." Ihm geht es bei diesem Fall vor allem um die Achtung, die die Vereinigten Staaten gegenüber ihren Ureinwohnern fehlen lassen. Sollte Geronimo je in seiner Heimat im Quellgebiet des Gila River seine endgültige Ruhe finden, und sollte je der Plan in Erfüllung gehen, aus der Landschaft den Geronimo Apache Naturschutzpark entstehen zu lassen, dann wäre das in seinen Augen "ein Symbol für die Welt, den Krieg gegen die Natur zu beenden und seine indigene Bevölkerung zu achten." Er hat das Träumen nicht verlernt. Gleichzeitig gibt er sich keinen Illusionen hin. Dazu kennt er das Land, dem er mal in vorderster Front diente, nur zu gut.

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