Kirill Serebrennikow vor Gericht:Bretter, die den Knast bedeuten

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Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow 2018 in einem Gerichtssaal in Moskau. (Foto: Emile Alain Ducke/dpa)
  • In Moskau hat der Prozess gegen den Theaterregisseur Kirill Serebrennikow und seine Mitangeklagten Sofia Apfelbaum, Alexej Malobrodskij und Jurij Itin gegonnen.
  • Ihnen wird vorgeworfen, das Projekt "Plattform" nicht mit dem Ziel geschaffen zu haben, Theater zu machen, sondern als kriminelle Vereinigung, um staatliche Fördermittel zu unterschlagen und untereinander aufzuteilen.

Von Julian Hans, Moskau

Nein, sagt Kirill Serebrennikow, als die Richterin Irina Akkuratowa ihn nach der Anklageverlesung fragt, ob er verstanden habe, was ihm zur Last gelegt wird. "Nein. Die Worte verstehe ich, aber den Sinn kann ich nicht begreifen."

Es wirkt, als sprächen die Parteien an diesem ersten Tag der Hauptverhandlung im Saal 433 des Moskauer Meschtschanski-Gerichts von völlig verschiedenen Dingen. Erst referiert der Staatsanwalt in seiner Anklageverlesung über anderthalb Stunden alle Details der Buchhaltung des Theater-Projekts "Plattform" aus über drei Jahren. Eine nicht enden wollende Reihe aus Ziffern und Überweisungsnummern, die alle auf eines hinauslaufen: Serebrennikow habe mit den Mitangeklagten Sofia Apfelbaum, Alexej Malobrodskij und Jurij Itin 2011 das Projekt "Plattform" nicht mit dem Ziel geschaffen, Theater zu machen. Vielmehr hätten sie eine kriminelle Vereinigung gegründet und von Anfang an den Plan gehabt, staatliche Fördermittel zu unterschlagen und untereinander aufzuteilen. Apfelbaum soll als Mitarbeiterin des Kulturministeriums die Gelder vergeben haben, die Malobrodskij und Itin als Produzenten des Projekts mit deren künstlerischem Leiter Serebrennikow ausgaben.

Russland
:Dann sagte irgendjemand: "Fass!"

Ab heute steht eine Gruppe um den Regisseur Kirill Serebrennikow in Moskau vor Gericht. Der Vorwurf: Unterschlagung von Fördergeldern. Viele vermuten Putins Beichtvater hinter der Attacke auf das moderne Theater.

Von Julian Hans

Dann tritt Serebrennikow in den Zeugenstand und erklärt, was es heißt, Theater zu machen. Am Ende des ersten Prozesstages ist zumindest das klar: Buchhaltung und Theater sind sehr verschiedene Dinge. Da Letzteres aber nicht ohne das Erste auskommt, gibt es diesen Prozess.

"Gab es zu wenige Aufführungen? Waren 80 000 Zuschauer nicht genug?", fragt der Anwalt

Im Zeugenstand erinnert sich Serebrennikow dann, wie alles angefangen hat bei jenem Treffen mit dem russischen Präsidenten im März 2011. Dmitrij Medwedjew äußerte seinen Wunsch, das Russland auch auf dem Gebiet der Kunst wieder den Anschluss an die Weltspitze finde. Serebrennikow steckte dem Präsidenten ein Konzept zu, auf dem seine Ideen zur Kombination von Theater, Tanz, Musik und Video knapp erläutert waren. Monate später kam per Post das Okay aus dem Kreml und tatsächlich ist es der Truppe seitdem gelungen, dass russisches Theater in der ganzen Welt gefeiert wird. Der 49-Jährige hat in Stuttgart, Berlin und Wien inszeniert, seine Filme wurden auf den Festivals in Cannes und Locarno gezeigt. Gerade hatte in Zürich Mozarts "Così fan tutte" unter seiner Regie Premiere - inszeniert aus dem Hausarrest. Dutzende USB-Sticks gingen zwischen Moskau und Zürich hin und her, mit Aufnahmen von den Proben und den Anweisungen des Regisseurs, überbracht von Serebrennikows Anwalt.

In welcher Währung soll ein Künstler die Fördergelder eigentlich zurückzahlen, die der Staat ihm überwiesen hat? "Gab es zu wenige Aufführungen? Waren 80 000 Zuschauer nicht genug? Gab es zu wenige begeisterte Rezensionen oder zu wenige Preise für unsere Stücke?", fragt Serebrennikows Anwalt. In den drei Jahren und drei Monaten, die die "Plattform" bestand, wurde sie zwei Mal mit der Goldenen Maske ausgezeichnet, dem wichtigsten Theaterpreis des Landes. Gerade ist Serebrennikow ein weiteres Mal nominiert.

Es hat sie doch gegeben, die gefeierten Aufführungen von Lewis Carrolls "Jagd auf den Snark", Ovids "Metamorphosen" und Shakespeares "Sommernachtstraum". Das lässt sich leicht belegen, die Aufführungspläne sind ja erhalten und auch die Rezensionen. Aber wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, soll das alles nicht zählen. Es zählt die Buchhaltung, nicht die Kunst. "Nach der Logik der Ermittler haben wir das Geld geklaut, um im Anschluss von dem gestohlenen Geld drei Jahre die Projekte der Plattform durchzuführen", fasst es der Regisseur zusammen.

Es sind in der Vergangenheit häufig Prozesse vor russischen Gerichten als absurdes Theater bezeichnet worden. Aber bei dieser Aufführung sitzen erstmals wirklich Theatermacher auf der Anklagebank. Und das Stück hat echte Tragik: Dass Geld verschwunden war, hatten die Leiter des Projekts selbst festgestellt. Das war im Herbst 2014; bei einer internen Buchprüfung fiel auf, dass Abrechnungen nicht stimmten. Insgesamt fehlten für das Jahr 2014 etwa fünf Millionen Rubel, nach damaligem Kurs etwa 100 000 Euro. Zur Rede gestellt, gab die Buchhalterin Nina Masljajewa zu, Geld abgezweigt zu haben. Dass sie bereits einschlägig vorbestraft war, wurde erst später bekannt. Aber ihre Chefs scheuten sich, sie anzuzeigen. Um die Zuwendungen aus dem Kulturministerium in Bargeld umzuwandeln, hatte Masljajewa Scheinaufträge an Drittfirmen vergeben, die ihr das überwiesene Geld bar zurückgaben und für diese Dienstleistung einige Prozent behielten - eine Praktik, die illegal ist und dennoch verbreitet. Statt die Buchhalterin anzuzeigen, traf die Produzentin Jekaterina Woronowa eine fatale Entscheidung, die komplette Dokumentation zu vernichten. Nach den ersten Festnahmen setzte sie sich ins Ausland ab. Die Buchhalterin Masljajewa schloss einen Deal mit den Ermittlern, belastete ihre Chefs und darf deshalb in einem eigenen Prozess mit einem milden Urteil rechnen.

Bühnen und Museen können in Russland kaum arbeiten, ohne Schleichwege durch das Paragrafendickicht zu nehmen. Jedes andere Theater und wohl jedes Museum könnte mit ähnlichen Vorwürfen vor Gericht gebracht werden. Das ist ein zusätzlicher Grund für die Solidarität unter Kollegen. Mit dieser Angst im Kopf überlegt man es sich besser zweimal, ob man eine kritische Inszenierung auf die Bühne bringt, oder lieber eine, die nirgends Anstoß erregt.

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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