Kirche: Kapitalismuskritik von der Kanzel:"Die Welt ist kein Urwald"

Abrechnung mit dem kriselnden Kapitalismus zu Weihnachten: Die deutschen Bischöfe der evangelischen und katholischen Kirche wettern massiv gegen die "gnadenlose Religion des Konsums".

Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen haben sich in den Weihnachtspredigten der deutschen Bischöfe niedergeschlagen. Die meisten der obersten Vertreter der evangelischen und katholischen Kirchen nutzten die vollen Gotteshäuser, um ihrer Kritik den an Exzessen von Kapitalismus und Konsum freien Lauf zu lassen.

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Grollen zum Fest der Liebe: In ihren Weihnachtspredigten üben die deutschen Bischöfe Kritik an Exzessen des Kapitalismus. Dieses Archivbild zeigt den Münchner Erzbischof Marx

(Foto: Foto: ddp)

Der katholische Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sagte: Es mache nachdenklich, wenn über Nacht zur Lösung von Finanz und Wirtschaftsproblemen Milliardenbeträge bereitgestellt würden und andererseits die Mittel fehlten, um das Kindergeld um mehr als zehn Euro zu erhöhen oder Kindergärten und Schulen stärker zu bezuschussen.

Zollitsch kritisierte in seiner Predigt im Freiburger Münster den Umgang vieler Unternehmen mit ausgebildeten jungen Menschen. Viele würden "in schier endlosen Warteschleifen" als Praktikanten eingestellt oder bekämen bestenfalls befristete Verträge.

Angesichts der bestürzenden Entwicklungen der Finanz- und Wirtschaftsmärkte vermutete Bischof Norbert Trelle vom Bistum Hildesheim, "dass hier nicht nur wirtschaftstheoretische Grundregeln missachtet wurden, sondern dass christliche Grundsätze weggebrochen sind und sozialethische Maßstäbe sich aufgelöst haben."

"Immer mehr, immer luxuriöser"

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick rief dazu auf, den eigenen Lebensstil zu überprüfen. Heute sei das Leben zumindest im Westen zu sehr von Maßlosigkeit, Abgrenzung gegeneinander, ängstlicher Sorge um sich selbst und Egoismus bestimmt. Dies sei die Ursache für viele der heutigen Krisen.

Nicht nur Spitzenmanager, sondern auch viele "wie Du und ich" seien maßlos gewesen in ihrer Gier, sagte der Geistliche im Bamberger Dom. "Immer mehr, immer luxuriöser, immer schneller", sei die Devise gewesen. Dieser Lebensstil mache aber menschlich arm und verbreitere die Kluft von Wohlhabenden und Bedürftigen. Außerdem zerstöre er die Umwelt und fördere soziale Kälte.

Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, monierte im Münchner Liebfrauendom Tendenzen zu einer inhumanen Ökonomie. "Eine Wirtschaft, die sich nicht am Menschen orientiert, die die Würde des Menschen nicht in den Mittelpunkt stellt, zerstört letztlich die Grundlagen des menschlichen Miteinanders", sagte Marx während der Christmette. Die Welt sei kein Urwald, sondern von Gott gehalten, um von den Menschen gestaltet zu werden.

Ähnlich äußerte sich der Passauer Oberhirte: Bischof Wilhelm Schraml kritisierte, dass an die Stelle des Glaubens die "gnadenlose Religion des Marktes und Konsums" getreten sei. Die weltweite Finanzkrise und ein "frostig gewordenes soziales Klima" seien der Beweis dafür.

"Wachstum ist kein Gott"

Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen wies in seiner Weihnachtspredigt am Heiligabend auf die dunklen Prognosen von drohender Rezession und Arbeitslosigkeit hin. "Wir haben die Globalisierung der Wirtschaft gelernt, die der Nächstenliebe aber noch nicht", sagte Thissen am Mittwoch im Hamburger Mariendom. "Es muss uns nachdenklich machen, dass die Milliarden jetzt zur Stärkung der Wirtschaft vorhanden sind", sagte er. "Nicht aber vorhanden waren sie und sind sie für den Kampf gegen tausendfachen täglichen Hungertod im Süden der Erde."

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke warnte in seiner Weihnachtspredigt im Eichstätter Dom vor einem gesellschaftlichen Druck zu ständiger Perfektionierung der Menschen. Dies ängstige viele und mache sie zu einem "getriebenen Ich". Das Leistungsschema der Wirtschaft und des Konsums dürfe nicht auf die Religion übertragen werden.

Weihnachten ist nach den Worten Hankes ein Kontrast zum "harten Imperativ fortwährender Selbstoptimierung". Der gesellschaftliche Druck zu ständiger Perfektionierung ängstige viele Menschen und mache sie zum "getriebenen Ich", sagte Hanke im Eichstätter Dom. Gleichzeitig kritisierte er die unmenschlichen Erfahrungen, sich in einer Welt des Wirtschaftsdenkens keine Schwächen leisten zu dürfen und ständig in Bewegung bleiben zu müssen.

Auch die evangelischen Bischöfe übten Kapitalismuskritik: Margot Käßmann sagte in der Marktkirche Hannover: "Fernsehen, Geld und Lottozahlen sind weniger wichtig als Glaube, Liebe, Hoffnung", sagte die Theologin und fügte hinzu: "Wachstum ist kein Gott, den ich anbete, sondern ein nachhaltiger Lebensstil. Und Gottvertrauen ist wichtiger als Geld."

Im Braunschweiger Dom stellte Landesbischof Friedrich Weber kritische Fragen zum Umgang mit Armut in unserer Gesellschaft. Es sei bedrückend, dass vor allem viele Kinder von Armut betroffen seien, sagte der evangelische Geistliche.

Angesichts der vielen Kriege auf der Welt hat Bayerns evangelischer Landesbischof Johannes Friedrich die Christen zu mehr gesellschaftlichem und politischem Engagement aufgerufen. Ein "engagiertes" und "massives" Eintreten für den Frieden sei unerlässlich, sagte Friedrich am ersten Weihnachtsfeiertag in seiner Predigt in der Münchner St. Matthäuskirche laut Redetext. Eine unpolitische Haltung sei für Christen "eigentlich seit der Verkündigung der Engel auf den Hirtenfeldern" nicht mehr möglich.

Friedrich rief die Gläubigen auch zu einem verstärkten Einsatz für den sozialen Frieden in Deutschland auf. Soziale Gerechtigkeit sei kein unerreichbares Ideal, sondern "die wichtigste Voraussetzung für Frieden und Freiheit in unserem Land".

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