Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen – und welche nicht

Lesezeit: 4 Min.

Frau im Krieg: Kate Winslet als Lee Miller in einer Szene des Films „Die Fotografin“. (Foto: Kimberley French/dpa)

Kate Winslet bringt das Leben der Fotografin Lee Miller auf die Leinwand, Demi Moore stürzt sich in den Körperhorror von „The Substance“. Die Starts der Woche in Kürze.

Von Kathleen Hildebrand, Susan Vahabzadeh, Martina Knoben, Josef Grübl, Fritz Göttler, Tobias Kniebe, Doris Kuhn

Der schöne Sommer

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Kathleen Hildebrand: Deva Cassel, die Tochter von Monica Bellucci und Vincent Cassel, spielt in dieser Verfilmung eines Romans von Cesare Pavese die (selbstverständlich) schöne Amelia, ein Nacktmodell für Künstler in Turin am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die junge Schneiderin Ginia (toll: Yile Yara Vianello) ist fasziniert von ihr, lässt sich aus ihrer kleinbürgerlichen Lebenswelt herauslocken. Im Hintergrund dräut das Geschrei der Faschisten, aber Regisseurin Laura Luchetti bezieht die Politik nicht weiter ein in dieser Emanzipationsgeschichte, die so allzu nah an vielem Schongesehenen bleibt und schön und sanft verplätschert.

Die Fotografin

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Susan Vahabzadeh: Kate Winslet hat absolut recht – es ist nicht zu fassen, dass es erst jetzt einen Film gibt, der Lee Millers Leben erzählt. Die Amerikanerin machte in den Zwanzigerjahren als Model und Muse in New York und Paris Furore, später wurde sie mit Reportage-Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg berühmt. Zu Lee Millers Besonderheiten gehörte ein sehr eigener, unkonventioneller Blick auf andere Frauen. Dass die Filmemacherin Ellen Kuras, die als Kamerafrau eine Reihe sehr ungewöhnlicher Filme gemacht hat, dann doch ein sehr konventionelles, auf eine Lebensphase konzentriertes Porträt abliefert, ist also ein bisschen enttäuschend. Das Ergebnis bildet so nur einen Teil von Lee Miller ab – aber den spielt Kate Winslet auf der Höhe ihrer Kunst.

Favoriten

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Martina Knoben: Eine Wiener Grundschulklasse, alle Kinder mit Migrationshintergrund. Ruth Beckermann begleitet sie in ihrem Dokumentarfilm vom zweiten bis zum vierten Schuljahr, konzentriert sich auf die Schüler, weniger auf die (durchaus charismatische) Lehrerin. Woran es beim Schulsystem hapert und was klappt; wie „systemrelevant“ die migrantischen Familien sind, deren Berufe die Kinder einmal aufzählen, und was es bräuchte, damit Integration gelingt – einige brandaktuelle gesellschaftspolitische Fragen werden beantwortet, ohne ein Wort Kommentar. Was das (rein beobachtende) dokumentarische Kino im besten Fall kann: im Kleinen, Konkreten das große Ganze spiegeln.

Jenseits von Schuld

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Josef Grübl: Sie schreiben ihm Postkarten aus dem Urlaub, schicken Fotos und telefonieren mit ihm. Doch vor dem Fernseher fließen die Tränen: Die Eltern des Krankenhausmörders Niels Högel müssen damit leben, dass ihr Sohn mindestens 87 Morde begangen hat. Katharina Köster und Katrin Nemec konzentrieren sich in ihrem Dokumentarfilm ganz auf die Mutter und den Vater (nicht auf den Sohn), es geht um Schuldgefühle, Scham und die Frage, wie weit Elternliebe gehen kann. Ein sehr intimer Film, der seine Protagonisten nicht vorführt, der aber auch keine Antworten darauf gibt, was nicht zu beantworten ist.

Rosalie

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Fritz Göttler: Ziemlich ungerührt nimmt der Mann das Geld entgegen, das der Schwiegervater ihm überreicht, als er ihm seine Tochter zur Verheiratung bringt – es kommt gelegen, die Kneipe geht schlecht. Es ist eine Heirat, wie sie im 19. Jahrhundert nicht unüblich war. Sehr irritiert ist der Mann allerdings, als er entdeckt, dass seine hübsche Braut Rosalie Körperbehaarung und einen Bart hat, eine genetische Besonderheit, die sie durch Rasieren kaschiert. Benoît Magimel ist der Mann, füllig, aber mit wunderbarem Gleichmut, Nadia Tereszkiewicz ist Rosalie, grazil und stark. Um das Geschäft zu beleben, lässt sie den Bart eines Tages stehen, als Attraktion – die durch das neue Medium weiter ausgebaut wird, die Fotografie. Die Reaktionen der Dörfler sind erstaunlich entspannt, im zweiten Film von Stéphanie Di Giusto, nur nicht beim Geschäft und bei der Religion. Vor allem, als Rosalie ganz unerhörte neue Freiheiten ins Spiel bringt.

Samia

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Fritz Göttler: Die schnellste Läuferin der Welt zu werden, das ist der große Traum von Samia Yusuf Omar. (Und auch: eigene Laufschuhe zu besitzen). Gar nicht so einfach für ein Mädchen in Somalia, mit seiner zerrissenen Gesellschaft und Politik. Familie und Freunde unterstützen sie, vor allem der Vater – der bei einem Anschlag ein Bein verlor. Samia gewinnt einen Stadtlauf, damit fängt es an, bei den Olympischen Spielen in Peking wird sie dann letzte im 200-Meter-Vorlauf. Niemals darfst du dem Feind deine Angst zeigen, weist der Vater sie an. Yasemin Samdereli („Almanya - Willkommen in Deutschland“) hat Samias Traum wie ein Märchen in der Realität eingebettet. Als die Moralwächter der islamistischen Miliz sie schikanieren, muss Samia fliehen, fällt skrupellosen Schleppern in die Hände. Und ertrinkt beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, in Richtung Italien. Ein Sportfilm, der das Genre aufregend auf unbekanntes Terrain führt.

Speak No Evil

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Tobias Kniebe: Hollywood-Remake des gleichnamigen, verstörenden Thrillers aus Dänemark, in dem sich eine junge, politisch korrekte Familie aus Kopenhagen von einem niederländischen Serienkiller-Paar wehr- und willenlos zur Schlachtbank führen ließ. Für die Horrorschmiede Blumhouse übernimmt James Watkins das Konzept einer langsam ins Schaurige kippenden Wochenend-Einladung bei netten Urlaubsbekannten – beharrt aber auf den alten Genreregeln, die das Original gerade sprengen wollte: Im Angesicht des Todes wird noch die nervigste Yoga-Mom plötzlich zur Kampfmaschine.

System Change

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Doris Kuhn: Beginnend im Protestcamp gegen die Rodung des Dannenröder Forsts fächert Klaus Sparwassers Dokumentation die Aktionen für und gegen den Klimaschutz in Deutschland auf. An Klartext wird nicht gespart, man redet über die Verträge des Pariser Klimaabkommens, die zugunsten von Wirtschaftswachstum und Profit gebrochen werden, man redet generell über eine alte und eine neue Weltanschauung. Umdenken wird gefordert, mal wütend von Demonstranten, mal analytisch formuliert von Wissenschaftlern. Bald geht es bei der Klimakatastrophe nur noch um Zeit, nicht mehr um Handlungen, das lernt man erneut. Dass diese Erkenntnis kaum helfen wird, auch.

The Substance

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Susan Vahabzadeh: Ein Film kann gleichzeitig nicht richtig großartig sein und doch so spektakulär, so vollgestopft mit Gedanken, dass man ihn gesehen haben sollte. Die Französin Coralie Fargeat schickt Demi Moore durch eine physische Tour de Force als aus Altersgründen gefeuerte Fernseh-Fitness-Trainerin, die mithilfe einer heimlich erworbenen, unheimlichen Substanz bereit ist, ihren aktuellen Körper zu zerstören, um den früheren zurückzubekommen. Wie sich hier eine Persönlichkeitsspaltung vollzieht, ist keineswegs immer logisch – aber es gibt sehr viele Momente, in denen Fargeat perfektionssüchtigen weiblichen Selbstekel bildgewaltig auf den Punkt bringt. Übertreibung macht eben anschaulich.

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