Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Gérard Depardieu sucht eine neue Geschmacksrichtung, und Channing Tatum lässt die Hose runter - die Filmstarts der Woche in Kürze.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Arboretum

Anna Steinbauer: Das Teenagerleben im Thüringer Hinterland kurz nach der Wende ist wenig ereignisreich bis trostlos und bisweilen blutig. Sebastian und sein Freund Erik zocken Konsole oder werden von Nazis zusammengeschlagen, ab und zu erscheinen Monster und andere Tote im Moor und stacheln sie zu schrecklichen Dingen an. Julian Richbergs Debütfilm "Arboretum" ist Teenagehorrortrip, dämonischer Amoklauf und Fantasy-Albtraum an der deutsch-deutschen Grenze, wo Gewalt die Dorfbiografien prägt. Auch wenn der Regisseur und Drehbuchautor zu viel hineinpackt und die Figurenentwicklung nicht ganz stimmig ist, wird hinter den Bildern eine gewaltige Wut spürbar.

Die Aussprache

Susan Vahabzadeh: Es ist ein Ort, der aussieht, als spiele diese Geschichte vor hundert Jahren: Die Frauen in einer Mennoniten-Kolonie haben endlich Beweise, dass sie nicht etwa immer wieder im Schlaf von Dämonen vergewaltigt wurden, sondern von Männern aus der Kolonie. Die Männer verlangen Vergebung, und eine Gruppe von Frauen diskutiert nun stellvertretend auf einem Heuboden, welche Konsequenzen sie ziehen sollen. Eine wortgewaltige Parabel - die dann doch zu einem mitreißenden Film zusammenfindet: darüber, dass man Vergebung nicht erzwingen kann, aber auch nicht aufhören zu lieben, nur weil es das Beste wäre. Von allen Filmen, die die "Me Too"-Debatte hervorgebracht hat, ist Sarah Polleys sicher der ungewöhnlichste.

Der Geschmack der kleinen Dinge

Anke Sterneborg: Wenn sich das Kino dem Essen zuwendet, dann geht es in der Regel auch um die Liebe, die durch den Magen geht, um die Toleranz, die es zwischen den Kulturen stiftet, oder gar um den Sinn des Lebens. Der ist dem alternden Sternekoch Gabriel Carvin (Gérard Depardieu) abhandengekommen, weshalb Slony Sow ihn auf der Suche nach der fünften Geschmacksrichtung Umami nach Japan schickt. Dabei ist der Film ein buntes Buffet mit zu vielen verschiedenen Gerichten, von Culture-Clash-Komödie über Roadtrip, Familiengeschichte und Best-Ager-Sinnsuche zur Depressionstherapie.

Knock at the Cabin

Fritz Göttler: Ein Film vom Genre Home Invasion: eine Bande wilder Kerle attackiert eine einsame Hütte im Wald ... oder vielleicht doch nicht. Denn M. Night Shyamalan schüttelt - dafür kennt man ihn, darauf gründet sein Erfolg - die Spielregeln kräftig und ziemlich absurd durcheinander. Die Bande warnt vor Katastrophen und dem Weltuntergang, der könne nur verhindert werden, wenn eines der Familienmitglieder in der Hütte, in einem biblischen Deal, freiwillig sich opfere. Die Familie besteht aus einem Paar junger Männer und einem adoptierten Mädel. Einer aus der Bande ist Dave Bautista: diesmal ein sanfter Schullehrer mit Brille.

Luanas Schwur

Fritz Göttler: Luana ist aufmüpfig, sie mischt sich gern in die Spiele der Jungen am Wasser ein. Dem Vater will sie aber folgsam sein, als er einen Mann für sie festsetzt, also bricht sie die Liebesbeziehung zu ihrem Jugendfreund ab. So verlangt es der Kanun, der alte Kodex, der damals das Leben in den albanischen Bergen regelt - es sind die Sechziger, die Zeit des rigiden Kommunismus des Enver Hoxha, der Religion untersagt. Doch dann zweifelt der ausgesuchte Mann Luanas Jungfräulichkeit an, tötet in einer Auseinandersetzung den Vater. Um der Hochzeit mit dem Mörder zu entgehen, leistet Luana ihren Eid, wird zur Burrnesha, zur "Schwurjungfrau": Sie trägt hinfort Männerkleidung, übernimmt die Pflichten eines Mannes, auch die Blutrache, und verzichtet auf Liebe. Bujar Alimanis Film hat die unaufdringliche archaische Konsequenz eines amerikanischen Western.

Magic Mike - The Last Dance

Philipp Bovermann: Magic Mike, der Stripper, dem die Frauen vertrauen, weil er eigentlich ein lieber Kerl ist, hat inzwischen einige Jahre auf dem muskulösen Buckel. Da wendet man sich anderen Dingen zu: Eine reiche Frau (Salma Hayek) nimmt ihn (Channing Tatum) mit nach London, um das gute Leben mit ihr zu genießen und ein angestaubtes Theaterstück mit Stripeinlagen aufzupeppen. Steven Soderbergh geht hier diversen Passionen nach, der Lust am männlichen Körper natürlich, aber auch dem Fetisch Geld. Denn als Frage über der Neuinszenierung des Theaterstücks soll eine Frage stehen: Warum eine Frau sich bitteschön zwischen Geld und Liebe entscheiden müsse?

Sorry Genosse

Josef Grübl: Bei der alles entscheidenden Frage bekommt der junge Mann einen Lachanfall, auch sonst ist der Ton in diesem Dokumentarfilm heiter. Dabei geht es um deutsch-deutsche Geschichte, um Geheimdienste und die Liebe eines jungen Paares: Es sind die Siebzigerjahre, er lebt im Westen, sie im Osten. Der Eiserne Vorhang kann sie nicht aufhalten, ständig suchen sie nach neuen Wegen, um zusammen zu sein. Neue Wege beschreitet auch Regisseurin Vera Maria Brückner, die nach etwa der Hälfte einen anderen Ton anschlägt, beinahe das Genre wechselt. Ein sehr verspieltes Debüt, das ganz nah bei seinen Protagonisten bleibt.

Stop-Zemlia

Annett Scheffel: Teenage-Angst auf Ukrainisch: Kateryna Gornostais Spielfilmdebüt fängt die Irrungen und Wirrungen einer Jugend zwischen erster Liebe und Identitätssuche hervorragend ein. Ihr immersives Porträt einer Gruppe von Schulfreunden in Kiew hat sie vor dem Krieg gedreht. Das Coming-of-Age-Drama ist eine Art ukrainisches "Euphoria": Auch hier experimentieren die Teenager mit Drogen, Sex, farbenfrohem Make-up und Selbstverletzung. Aber Gornostai geht es weniger um Provokation, Sucht und psychische Erkrankungen als vielmehr um eine authentische Repräsentation moderner jugendlicher Gefühlswelten.

Titanic

Kathleen Hildebrand: 25 Jahre nach dem Kinostart des damals teuersten und erfolgreichsten Films aller Zeiten kann man James Camerons Untergangsromanze nun noch mal im Kino sehen - in 3-D und digital aufpoliert. Das lohnt sich nicht nur aus nostalgischen Gründen. "Titanic" ist bemerkenswert gut gealtert, weil Cameron souverän mit seinen beträchtlichen Mitteln arbeitet. Die ikonischen Szenen am Bug, im Auto unter Deck und auf der schwimmenden Tür im Eiswasser des Nordatlantiks haben sich zu Recht ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt, die Geschichte ist angenehm feministisch, und wenn das Schiff auseinanderbricht, hält man immer noch überwältigt den Atem an. Ein Meisterwerk.

Utama

Sofia Glasl: Der trockene Husten des Lama-Hirten Virginio ist Störgeräusch und Orakelspruch zugleich. Hier in den bolivianischen Anden, die der Alte sein Leben lang nicht verlassen hat, gibt es kein Wasser mehr. Sein Enkel will ihn mit in die Hauptstadt nehmen, doch er weigert sich, die Heimat zu verlassen. Mehr Handlung braucht Filmemacher Alejandro Loayza Grisi nicht, um mit Kamerafrau Bárbara Álvarez aus der kargen Berglandschaft und ihren einsilbigen Bewohnern einen berührenden und kontemplativen Antiwestern über die Klimakatastrophe zu machen.

War Sailor

Fritz Göttler: Der Zweite Weltkrieg in dunklen, kalten, hoffnungslosen Bildern, absolut unheroisch, dafür sorgt schon das weite Meer, der schwarze Rauch über sinkenden Schiffen. Gunnar Vikene erzählt davon aus der Perspektive der Männer und Frauen der Handelsmarine, die das Material für die Schlachten liefern, sich durch minenverseuchte Gewässer kämpfen und zum Objekt feindlicher Angriffe werden - es gibt eine beklemmende Szene mit einem weißen deutschen U-Boot. Der junge Alfred muss seine Frau und die drei Kinder zu Hause lassen in Bergen, die Nazis besetzen Norwegen, die Briten bombardieren Bergen. Nach Kriegsende ist aber nicht alles vorbei ... Von Norwegen für den Oscar eingereicht.

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