Filme zum Super-GAU:Das Kino liebt die Katastrophe

Radioaktivität ist unsichtbar - wie also zeigt ein Film die atomare Gefahr? Leinwandbilder von "Silkwood" bis zum aktuellen Tschernobyl-Film "An einem Samstag", der am Donnerstag ins Kino kommt.

Martina Knoben

Das Kino liebt die Katastrophe - den Armageddon, the day after. Filme, die von der Welt nach einem Atomschlag erzählen, hat es deshalb vor allem in den Zeiten atomarer Hochrüstung reichlich gegeben, die zivile Nutzung der Kernenergie aber war selbst nach dem Super-Gau von Tschernobyl vergleichsweise selten Thema. Radioaktivät sieht man nicht, deshalb tut sich das Bildermedium Film damit so schwer.

Kinostarts - ´An einem Samstag"

Sie rennen weg und die Kamera läuft mit: Auch im Film des russischen Drehbuchautors und Regisseurs Alexander Mindadze, An einem Samstag, stehen die Angst und die Hetze im Vordergrund.

(Foto: dpa)

Gleichzeitig stellt das Phantomhafte der Atomenergie eine Herausforderung dar, die dem Spukhaften des Kinos sehr entspricht.

Die eindringlichsten Bilder, die sich der Film von den Gefahren der Kernkraft gemacht hat, sind denn auch kein globaler Post-Doomsday-Effekt, sondern das blitzartig unbewohnbar gewordene Heim der Titelheldin in Mike Nichols' "Silkwood" (1983). Meryl Streep spielt sie - eine Technikerin in einer Brennelemente-Fabrik, die nach einer Kontaminierung zur leidenschaftlichen Gewerkschafterin wird. Im Haus der unbequemen Angestellten wird darauf Plutonium placiert. Männer in Schutzanzügen räumen ihren gesamten Besitz aus, schnellstens wird alles, bis zum unersetzbaren Bild ihrer Kinder, in Plastiktüten eingeschweißt und zu Sondermüll erklärt, die Tapete von den Wänden gekratzt, bis keine Spur von Karen Silkwood in den Räumen mehr übrig ist.

Das Zuhause, das zum Sperrgebiet wird, zur verbotenen "Zone", die den Tod bringt, ist ein zentrales Motiv bei der Darstellung der Atomkraft im Kino. Ein weiteres ist die Wolke - erstmalig in Jack Arnolds "The Incredible Shrinking Man", 1957, damals sah man ihr die Verwandtschaft mit dem Atompilz noch an. Sie wächst dem Protagonisten drohend entgegen und hinterlässt, als sie diesen umhüllt, metallisch schimmernde Partikel auf seiner Haut, die ihn später fürchterlich schrumpfen lassen.

Das Reaktorunglück von Tschernobyl hat das Motiv der Wolke, aus der sich kontaminierter Regen ergießt, in der Realität bestätigt. "Die Wolke" heißt denn auch das bekannteste Buch zum Thema, nach dem 2006 Gregor Schnitzlers gleichnamiger Jugendfilm entstand.

Er greift - bei der Thematik die absolute Ausnahme - auf die zweifelhaften Muster des Katastrophenfilms zurück, um von den Folgen eines Reaktorunfalls zu erzählen. Da bewährt sich dann die reine Liebe zweier Jugendlicher in einer verstrahlten Welt. Der emotionale Nukleus bleibt intakt, was der Erzählung vom Zerfall einer ganzen Gesellschaftsordnung in den Rücken fällt.

Die menschliche Natur steht auf dem Prüfstand

Es hat auf unseren Planeten nicht wenige Umweltkatastrophen gegeben, keine aber wurde als so apokalyptisch wahrgenommen wie das Reaktorunglück von Tschernobyl. Wenn es im Film um den Störfall geht, steht gern unsere Zivilisation als Ganzes, ja die menschliche Natur selbst auf dem Prüfstand: ihr Glaube an die Beherrschbarkeit der Natur und die grenzenlosen Möglichkeiten der Technik.

Dabei wird diese Zivilisation als etwas äußerst Flüchtiges spürbar. In jedem Moment kann die Uhr angehalten werden wie damals in Tschernobyl, als die Bewohner ihre Häuser innerhalb von Stunden räumen mussten und eine geisterhafte "Zone" entstand. Und der radioaktive Abfall strahlt in eine so ferne Zukunft hinein, dass Michael Madsen seinen philosophischen Dokuthriller über ein Endlager in Finnland "Into Eternity" (2010) nannte und ihn an ein imaginäres Publikum der Zukunft adressierte.

Weil der Gau als ultimativer Bankrott unserer technokratischen Moderne gilt, mutet auch Andrej Tarkovskijs 1978/79 entstandener "Stalker" wie ein Film zum Thema an,obwohl die lebensgefährliche, durch Zivilisationsmüll gekennzeichnete spukhafte "Zone", in die der Stalker als Pfadfinder mit zwei Gefährten aufbricht, kein realer Ort ist, sondern ein metaphysischer: An ihr und in ihr müssen sich die Menschen - "der Schriftsteller" und "der Wissenschaftler" - bewähren; sie hat das mutierte - behinderte, aber auch mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattete - Kind des Stalkers hervorgebracht.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie der neue Film in die aktuelle politische Debatte passt.

Menschen werden zu Büßern

In dieser (auch moralisch) kontaminierten Welt werden die Menschen zu Büßern. Das Kind des Stalkers trägt ein Kopftuch über dem möglicherweise kahlen Kopf, genauso wie das verstrahlte Mädchen in der "Wolke". Auch Karen Silkwood, die am Anfang des Films so sexy und lebensfroh aussieht, wirkt schließlich mönchisch in ihrer weißen Arbeitskleidung, und sie wird mehrfach schmerzhaft geprüft, wenn ihr bei der Dekontaminierung die Haut vom Leib geschrubbt wird. Das Höllenfeuer des Reaktors, der Kernenergie überhaupt, befördert die Menschen ins Purgatorium - ein biblisches Bild, dem das ebenso wuchtige mythologische Bild des Prometheus zur Seite steht.

Aufwühlendes Tschernobyl-Drama: ´An einem Samstag"

Bilder, die eine Ästhetik des Schrecklichen einfangen: Das dämonische Glühen des Reaktors wird in vielen Filmen zum Schlüsselbild.

(Foto: dpa)

Auch in Alexander Mindadzes Film "An einem Samstag", dem ersten russischen Film überhaupt über das Reaktorunglück von Tschernobyl - er startet Donnerstag in unseren Kinos - ist das dämonische Glühen des Reaktors ein Schlüsselbild. Es ist der 26.April 1986. Noch ist es dunkel, nur Block 4 des Kernkraftwerks leuchtet orange-rot in der Nacht. Es ist ein surreales Bild für ein Ereignis, das nicht sein kann, weil es nicht sein darf, weil ein solcher Unfall nicht vereinbar wäre mit der Fortschrittsideologie der Sowjetunion. Ein paar Funktionäre überlegen, was zu tun sei, ob die Stadt evakuiert werden soll: "Morgen ist Samstag. Sollen wir das Leben anhalten?" Der Störfall wird zum Super-Gau der Menschlichkeit.

Die Katastrophe wird aus der Perspektive von Valerij (Anton Shagin) geschildert, der früher Schlagzeuger einer coolen Band war, inzwischen loyaler Parteifunktionär ist. Er sieht die Feuerwehr zum Kraftwerk rasen und lässt nicht locker, bis er weiß, was geschehen ist - bis er vielleicht mehr von der atomaren Hölle gesehen hat, als ein Mensch verkraften kann. Ist Valerij ein Todeskandidat?

Die Stadt, Pripyat, die knapp 50000 Einwohner zählte vor dem Reaktorunfall, ist es. Aus heutiger Perspektive ist es kaum erträglich, mitanzusehen, wie hier "das Leben weitergeht", obwohl die Zeit längst angehalten wurde wie im Märchen.

Radioaktivität sieht man nicht. Auch in "An einem Samstag" ist ein metallischer Geschmack das einzige, was die Bewohner von Pripyat von der lebensgefährlichen Strahlung wahrnehmen. Aber Valerij weiß, dass er schnellstens weg muss, nur - er schafft es nicht. Dabei rennt er ständig und die Kamera mit ihm, der enge Bildausschnitt unterstreicht noch seine Hetze. Erst muss Vera, Valerijs Freundin, zur Flucht überredet werden, dann bricht ihr vor dem Bahnhof ein Absatz ab, ihr Pass muss geholt, Geld für die Flucht besorgt werden, schließlich findet sich Valerij als Drummer seiner ehemaligen Band bei einer Hochzeit wieder.

Durch die Katastrophe von Fukushima gewinnt Mindadzes Film, der noch auf der Berlinale als nicht weiter bedeutender Beitrag zum 25. Jahrestag des Unglücks wahrgenommen wurde, ungeahnte Aktualität. Er beschreibt Formen von Verdrängung, insofern ist er eine Punktlandung, immerhin waren in Deutschland die Laufzeiten der Atomkraftwerke gerade verlängert worden, bedurfte es eines zweiten Super-Gaus nach Tschernobyl, um die Gefahren der Atomenergie ins politische Bewusstseinzu rufen. Was aber zeigt uns dieser Blick in die Vergangenheit noch?

Saufen, tanzen, Schuhe kaufen

Dass es vor dem Verhängnis kein Entrinnen gibt und dass es um die Menschen, die hier saufen, tanzen, Schuhe kaufen und sich schlagen, am Ende nicht einmal schade ist. Der Fatalismus des Films, der sich an den Fehlentscheidungen seiner Figuren auch noch berauscht, will keinen einzigen Gerechten unter vielen Sündern finden, ist damit dann doch eher ein böses Bild der damaligen Sowjetunion als ein Kommentar zur Kernkraft.

Der überzeugendere Film zur Lage ist Volker Sattels "Unter Kontrolle", der das Dokumentarfilmfestival in München am 4. Mai eröffnet, am 26.Mai in die Kinos kommt. Sattel untersucht die Ästhetik der Phantomenergie: Er hat in diversen Kernkraftwerken drehen dürfen, zeigt in ruhigen Cinemascope-Bildern, meist schockierend unaufgeregt, eine ungeheuerliche Technik: Leuchten, Röhren, Kabel, Schalttafeln, Brennstäbe, Arbeiter in Bademänteln, damit die Kleidung nicht kontaminiert wird, den zentralen Kontrollraum, in dem der Mensch als potenzieller Störfallauslöser gilt - um seinen Fehlleistungen vorzubeugen, werden diverse technische Sicherungen eingebaut. Dazu Meldungen wie diese: "TF60T1 Abfall des Messwertes circa einK, innerhalb drei Tagen, ohne Auftrag LTN". Alles ist hermetisch an dieser Technik, selbst die Endlagerung - into eternity - im nuklearen Sarg.

Die Kernenergie erscheint als Technologie der Kontrolle, wie schon im Klassiker "Das China Syndrom", 1979, mit Jane Fonda und Jack Lemmon, in dem der Kontrollraum als vieldeutiges Motiv etabliert wird: Sinnbild für den Zwang zur totalen Kontrolle, auch der öffentlichen Meinung, des einzelnen, dabei der Unmöglichkeit, immer alles überhaupt voraussehen zu können.

Mit äußerster Konsequenz hat sich der Filmkünstler Derek Jarman dieser Kontrolle entzogen. Im Wissen um seine Aids-Erkrankung hatte er für seine letzten Lebensjahre ein Haus gekauft: eine ehemalige Fischerhütte in Dungeness, in Blickweite zum dortigen Kernkraftwerk.

V SUBBOTU, Russland/Ukraine/D 2011 - Regie, Buch: Alexander Mindadze. Kamera: Oleg Mutu. Schnitt: Dasha Danilova, Ivan Lebedev. Mit: Anton Shagin, Svetlana Smirnova-Marcinkevich, Stanislav Rjadinskij. Verleih:NFP, 99 Minuten.

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