Kinobranche im Wandel:Lola flennt

Äußere Harmonie und innere Zerrissenheit: Es fließt Geld. Doch niemand ist glücklich. Und verantwortlich ist auch keiner. Das Chaos im System staatlicher Beihilfen vergiftet selbst die Erfolge des deutschen Films.

Tobias Kniebe

Die Filmindustrie ist weltweit verunsichert: Die Zuschauer bleiben weg, die Umsätze sinken, bewährte Hollywood-Rezepte funktionieren nicht mehr. Doch es gibt auch Chancen: Wieder geht ein deutscher Film ins Oscar-Rennen, die Berlinale, die am heutigen Donnerstag beginnt, zeigt mehr deutsche Filme denn je, die Regierung verspricht neue Finanzierungsmodelle. Grund genug für eine Artikelfolge, die neue Antworten auf eine alte Frage sucht: Was braucht der deutsche Film, um erfolgreich zu sein?

Kinobranche im Wandel: Szene aus "Elementarteilchen" von Oskar Roehler. Ein Film, der auf der Berlinale läuft (s.u.!) und am 23. Februar in die Kinos kommt.

Szene aus "Elementarteilchen" von Oskar Roehler. Ein Film, der auf der Berlinale läuft (s.u.!) und am 23. Februar in die Kinos kommt.

(Foto: Foto: Constantin)

Wer lange genug in der hiesigen Filmbranche unterwegs ist, macht eine interessante Entdeckung: Im Grunde sind alle unzufrieden - und zwar praktisch immer. Also auch in Momenten, wenn gerade Oscar-Nominierungen gefeiert und starke Filme auf der Berlinale präsentiert werden, wenn also nach außen der Eindruck entsteht, der deutsche Film klopfe sich mal wieder selbst auf die Schulter. Die verborgene Wahrheit sieht anders aus: Die härteste Kritik an den aktuellen Publikumserfolgen (und wahlweise auch am Oscar-Kandidaten) kommt stets von anderen Filmemachern, die gerade nicht im Rampenlicht stehen - natürlich nur privat und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Trifft man aber auf die momentan Erfolgsverwöhnten, findet man ebenfalls keine glücklichen Menschen: Geld, Preise und neue Angebote bedeuten ihnen meist weniger als das Gefühl, in Wahrheit ungeliebt zu sein und von den eigenen Kollegen nicht vollständig akzeptiert zu werden.

Dieser Befund wird schnell mit einer angeblichen, von Missgunst getriebenen, deutschen Mentalität erklärt. Das ist jedoch Unsinn. Der wahre Grund liegt im System: in einer ungemütlichen, extrem unentschiedenen Grundpositionierung, in der die Branche seit Jahrzehnten feststeckt, und in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diesen Zustand mitverschuldet haben und immer weiter zementieren. Das deutsche Kino steht in keiner seiner vielen Facetten souverän auf eigenen Beinen. Es bewegt sich im engen Rahmen staatlich definierter Beihilfen in Form von Fördergeldern, Rundfunkgebühren und Zwangsabgaben, die alle auf einer naiven Grundannahme basieren: Dass Film stets Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatzbeschaffer zugleich sein könne und müsse. Diese verordnete Einebnung aller Gegensätze hat falsche äußere Harmonie und echte innere Zerrissenheit zur Folge.

Es hilft also nichts: Man muss die Absurditäten dieses Systems immer wieder erklären und anprangern - so lange, bis die Politiker begreifen, dass bessere Lösungen nötig sind. Ein guter Ausgangspunkt könnte dabei eine Meldung aus dem Wirtschaftsteil sein: Bernd Eichinger, hieß es neulich, habe nun ein Privatvermögen von mindestens 36 Millionen Euro. Sofort hat man das Bild eines traditionellen Filmproduzenten vor Augen, der durch seinen Spürsinn für Stoffe zu Kapital gekommen ist, stets auf der Suche nach neuen Erfolgen, der sein Geld clever einsetzt und weiter vermehrt. Film als eigenständige, vom Staat unabhängige Industrie, Entertainment als Wirtschaftszweig. Ein klares Modell, dem jeder Erfolg zu gönnen wäre. Aber so funktioniert es nicht. Wenn Eichinger einen neuen Stoff hat, den er für gewinnträchtig hält, wie zum Beispiel die Verfilmung des Weltbestsellers ¸¸Das Parfum", dann beantragt er als erstes Förderung. Für das ¸¸Parfum" hat er aus diversen Töpfen mindestens 6,2 Millionen Euro bekommen. Dem Mann ist dafür kein Vorwurf zu machen - das System will es so. Würde er nicht so handeln, hätte er einen enormen Wettbewerbsnachteil.

Alle lächeln. Es geht aufwärts.

Wenn das ¸¸Parfum" nun ein Erfolg wird und Gewinn macht, muss Eichinger die Fördersummen zurückzahlen, dann waren die 6,2 Millionen eine günstige Zwischenfinanzierung. Wenn nicht, sieht der Steuerzahler das Geld nicht wieder, das begrenzt das Risiko des Produzenten. Aber selbst in diesem Fall hätte die Herstellung des Films noch Arbeitsplätze geschaffen. Egal wie es ausgeht, es geht also immer um Formen der Wirtschaftsförderung. Die Gefahren dieses Modells sind aus anderen subventionierten Branchen bekannt: Die Akteure sind in Versuchung, träger zu werden, weniger neue Ideen zu produzieren und Fall von Misserfolgen noch lauter nach staatlicher Hilfe zu rufen. Aber die Realität ist dennoch klar: Selbst Hitproduzenten wie Eichinger wären alleine kaum stark genug, etwa mehrere große Flop hintereinander zu verkraften, sie könnten ohne Subventionen auf Dauer nicht operieren. Also muss Wirtschaftsförderung sein. Die Frage ist nur, wie.

Ein Modell, das der Aufgabe angemessen wäre, kann man leicht skizzieren: Da müssten Leute, die sich auf dem Kinomarkt wirklich auskennen, persönlich für ihre Förderentscheidungen einstehen, und sie würden an einem klaren Kriterium gemessen: an der Höhe ihrer Rückflüsse. Anders ausgedrückt: Wenn sie Eichinger und sein ¸¸Parfum" unterstützen und damit eine gute Nase beweisen, der Film ein Erfolg wird und die 6,2 Millionen Fördergelder zurückkommen, bleiben sie im Amt. Falls nicht, und falls das öfter passiert, und falls sie obendrein den ¸¸Schuh des Manitu" ablehnen, weil sie Bully Herbig nicht lustig finden, werden sie gefeuert und durch neue Entscheider ersetzt. Bis jemand kommt, der die Gesetze des Marktes versteht. Das kann eine Weile dauern - aber irgendwann würde es funktionieren. In der Realität funktioniert es natürlich überhaupt nicht.

Im Jahr 2004 gab die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen zum Beispiel 29,8 Millionen Euro aus, im nächsten Jahr kamen 2,8 Millionen zurück, also weniger als zehn Prozent - was unter dem Gesichtspunkt einer erfolgsorientierten Wirtschaftsförderung eher lächerlich wäre. Es wird aber niemand gefeuert, und die meisten Entscheidungen fallen sowieso in Gremien, sodass man hinterher keinen Einzelnen verantwortlich machen kann. Aber, und jetzt kommt die nächste Verwirrung des Systems: Auch die Entscheidungsträger der Förderungen sind in gewisser Weise unschuldig. Schon von ihren Statuten her sind sie vollkommen überlastet. Einerseits sollen sie zwar Wirtschaftsförderung betreiben, dann aber auch Kulturförderung, außerdem europäische Koproduktionen stärken und ausländische Produzenten an ihre jeweiligen Standorte locken. Auf diese Weise gibt es niemals eine klare Erfolgs- oder Misserfolgsbilanz. Die Aufgabe der Politik wäre es, die Performance ihrer Förderungen objektiv zu bewerten. Nur hat kein Politiker derzeit eine Ahnung, wie er das eigentlich machen soll.

Wie bei so vielen regulatorischen Missstände in diesem Land ist die Verwirrung am Ende aber gewollt, weil sie auf angenehme Art verhindert, dass man Farbe bekennen muss. Indem viele widersprüchliche Ziele in noch mehr unterschiedlichen Institutionen vermengt werden, muss man nie konkret werden: Was bedeutet der Film als erfolgreiches Wirtschaftsgut, wie viel ist er uns wert? Wie wichtig sind uns Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen in der Filmwirtschaft? Wie hoch ist besonders der Film als Kulturgut einzuschätzen - also in einem strukturellen Rahmen, wo er nicht unbedingt Gewinn machen und Rückflüsse generieren muss, dafür aber ein Gefühl für Identität schafft, von den Realitäten in diesem Land erzählt und im besten Fall auch internationale Anerkennung erfährt, und sei es nur im Kreis der Eingeweihten auf den großen Festivals? Viele interessante deutsche Filmemacher akzeptieren allein diesen kulturellen Rahmen für ihr Schaffen - und es erfüllt sie zu Recht mit Verbitterung, wenn sie immer wieder mit Urteilen konfrontiert werden, die in den Bereich der Wirtschaftsförderung gehören und mit ihrer Arbeit nicht das Geringste zu tun haben.

Die derzeitige Antwort, die wir auf diese Fragen geben, hängt nicht an Personen, sondern an Institutionen und ihren Regularien, und sie ist merkwürdig: Wir wollen immer alles zugleich, jeder kann alles und kennt sich mit allem aus, und am Ende dieses universalen Kuddelmuddels freuen sich dieselben Förderungen im ersten Absatz ihrer Erfolgsmeldungen über die Besucherzahlen eines Otto-Waalkes-Vehikels und im zweiten Absatz über einen Bundesfilmpreis für Romuald Karmakar. Wer es wagt, das öffentlich als Unsinn zu brandmarken, gilt als Miesepeter und Gefahr für die allgemeine Harmonie. Also lächeln alle und sagen, es könne nur aufwärts gehen. Sobald die Kameras aber ausgeschaltet sind, muss der deutsche Filme erst einmal tief Luft holen - und dann braucht er mindestens eine halbe Stunde, um angestaute Frustgefühle loszuwerden. Aber natürlich nur privat, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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