"Leberkäsjunkie" im Kino:Bayrischböse und grandios

Leberkäsjunkie

Hund, Kind, Mord: Polizist Franz Eberhofer (Sebastian Bezzel) ist im Stress.

(Foto: Constantin)
  • Der Provinzkrimi "Leberkäsjunkie" versucht, die Frage zu klären, ob Leberkäs denn nun tatsächlich ein unveräußerliches bayerisches Kulinarikkulturgut ist.
  • Die mittlerweile sechste Verfilmung der Bücher von Rita Falk ist die bisher beste, was vor allem an einer Frau liegt: der urgewaltigen Schauspielerin Eva Mattes.

Von Reinhard J. Brembeck

In den Substruktionen der Münchner Peterskirche zum Viktualienmarkt hin findet sich eine Reihe von kleinen und alteingesessen bayerischen Metzgereien. Man sollte es tunlichst vermeiden, vom Hunger getrieben in eine derselben einzutreten und eine "Kas-Kas-Semmel" zu verlangen, also eine Semmel (nordisch: Brötchen) mit einem Leberkäs, der als zusätzliche Ingredienz genau das enthält, was der Produktname bösartig verspricht, ohne es zu bieten. Denn der Kas-Kas kann einen traditionellen und traditionell nicht sehr gesprächigen Metzger zu einer Suada verleiten, an deren langem Ende der Hungrige noch hungriger ist, er allerdings weiß, dass der Kas-Kas ein Schmarrn ist und er eben mit einer ordinären Leberkassemmel vorliebnehmen muss.

Was jetzt ganz natürlich zu der interessanten Frage überleitet, ob und inwiefern der Leberkäs ein unveräußerliches bayerischer Kulinarikkulturgut ist. Diesen Titel dürfen unhinterfragt die meisten in Bayern gebrauten Biersorten in Anspruch nehmen, die Weißwurst, der Radi, der Butter und die Schweinshaxn. Aber der Leberkäs? Da sich die Bavaristik bisher nur sehr zögerlich dieser brennenden Frage angenommen hat, waren Autorin Rita Falk und ihr Verfilmregisseur Ed Herzog schier in der Pflicht, endlich Klarheit zu schaffen. Der mittlerweile sechste Eberhofer-Krimi heißt also folgerichtig "Leberkäsjunkie" (was einer Vorverurteilung des Forschungsgegenstands gleichkommt) und es geht dabei ... um Eva Mattes.

Mattes spielte einst in Rainer Werner Fassbinders Filmen mit, sie war Peter Zadeks Desdemona im "Othello" von William Shakespeare und hat auch sonst in Hunderten Filmen und Bühnenproduktionen bis hin zum "Tatort" geglänzt. Und jetzt taucht dieses Mordsweib in Niederkaltenkirchen, dem an der fiktiven Grenze zwischen Nieder- und Oberbayern gelegenen Tatort, auf, und jeder halbwegs zurechnungsfähige Zuschauer muss zwangsläufig an die urgewaltige Überschauspielerin Therese Giehse denken und an die "Münchner Gschichten", so wuchtig, so herb, so urbayerisch, so konzessionslos, so bayrischböse und so grandios ist dieser Auftritt. Die Mattes nimmt sich hier mit einem grandiosen Hang zur ungeschminkten Altershässlichkeit wie ein Vulkan aus im gestriegelten Fanshop des FC Bayern.

Am besten meint es die Liebe diesmal mit Eberhofers Vater

Aber der Geist der Giehse, reanimiert durch Mattes, wirkt sich wunderselig auf alle Mitspieler und den ganzen Film aus, der mit seinen 96 Minuten grad nicht die Grenze erreicht, wo in jedem Film der selig machende Kinoschlaf beginnt. Durch die Mattes kriegt alles eine wohltuend existenzielle Wucht. So auch die genreübliche Szene mit der dörflichen Kreisverkehrlocation. Endlich wird klar, dass dieses Bild, das jeden eingefleischten Katholiken an den unendlichen Leerlauf des Rosenkranzes erinnert, nichts anders meint als das bayerische Leben selbst. Konkret das Leben des Dorfpolizisten (Sebastian Bezzel hat seinen treudooftückischintelligenten Blick noch einmal vervollkommnet) mit seiner Susi, der Lisa Maria Potthoff das ganze Dilemma anhängt aus alleinerziehender Mutter, die Karriere machen und die romantische Liebe will.

Mittlerweile ist diese Nicht-und-manchmal-ganz-ein-wenig-doch-Beziehung um ein windelscheißendes Baby angereichert, das pädagogisch wertvoll auch seiner ersten Obduktion mit einer kohlschwarz gebrannten Leiche beiwohnen darf (dabei kotzt der Vater und nicht der Sohn), für deren Tod erst mal ein schwarzer Kicker verantwortlich gemacht wird. Das schwarze Bayern denkt eben nur ungern um die Ecke herum.

Das Gesunde an diesem Kulinarikfilm ist, dass er wie schon die Vorgängerfilmprodukte derb krachledert, aber dennoch ganz leichtgängig eine weitere existenzielle Ebene einzieht. Denn dieses Mal ist die Liebe kein Geplänkel, sondern das asozial brutale Monster, das hier fast alle zum Straucheln bringt, sie zumindest aus der Bahn wirft. Die Mattes liefert dazu nur die Folie der ungeliebten und deshalb bösartigen, asozialen und verfressenen Alten. Am besten meint es die Liebe mit Eberhofers Vater, den Eisi Gulp bisher immer nur vertrocknet knarzig sentimental als Rentnerjunkie zeichnen durfte, was willst du mit über 50 Jahren als Single auch sonst schon machen. Aber jetzt taucht die richtige Frau auf, Gulp spielt hinreißend unbeholfen kindisch den Galan, und die beiden tauchen auf eine Mittelmeerinsel ab. Da sind Kitsch und Wahrheit siamesische Zwillinge.

Aber nicht jede der Filmlieben geht so schön aus, wie diese Altersliaison beginnt. Wenn jemand mit einer Frau im Münchner Johanniscafé anbandelt, dann sollte er zumindest vorsichtiger sein als der Birkenberger, dessen direktes Naturell bei Simon Schwarz immer auf der Kippe torkelt zwischen genial, naiv und deppert. Schon mal was von den Anonymen Sexsüchtigen gehört? Aber die Liebe schlägt hier noch sehr viel tiefere Wunden, sie lässt bluten, mordet. Ed Herzog kennt keine Sentimentalitäten und kein Mitleid, er lässt sich vom Grauen aber auch nie die Regiezügel aus der Hand nehmen und balanciert es mit dem Bayerischen. Wundervoll, wie leicht ihm das fällt.

Eine Liebe allerdings endet wirklich übel ungesund. Gemeint ist des Eberhofers Liebe zum Leberkäse, der ihm mit seinem Cholesterin die Adernporen so verstopft, dass er nur jämmerlich schnaufend noch eine Treppe hinaufkommt. Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn seine Susi ausnahmsweise und bedingt durch eine durchgesoffene Nacht in seinen Armen aufwacht. Aber auch für dieses Problem gibt es eine Lösung, beweist der ganz Film doch, dass im Gegensatz zu Bier, Radi, Weißwürst etc. der Leberkäs kein schützenswertes bayerisches Kulturgut ist. Jetzt muss nur noch der Großcineast Söder Markus ein Einsehen haben, den Leberkäs im Zuge seiner neuen Klimaoffensive verbieten lassen, und dann wird der Eberhofer sportlich wie eh und je durch die siebte Falk-Verfilmung fensterln können.

Leberkäsjunkie, D 2019 - Regie: Ed Herzog. Buch: Stefan Betz nach dem Roman von Rita Falk. Kamera: Stephan Schuh. Mit: Sebastian Bezzel, Simon Schwarz, Eva Mattes. Constantin, 96 Minuten.

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