Kino:Von Bienen und Blumen

Kino: Zurück zur Natur: Die Jugendlichen fliehen vor dem Internetwahnsinn, der ihren Alltag bestimmt, in den Wald.

Zurück zur Natur: Die Jugendlichen fliehen vor dem Internetwahnsinn, der ihren Alltag bestimmt, in den Wald.

(Foto: Farbfilm)

Der Regisseur Philipp Hirsch schickt in seinem Spielfilmdebüt "Raus" die Generation Smartphone in den Wald. Ist das Leben dort besser?

Von Martina Knoben

Der Film beginnt mit dem Sound falscher Versprechungen: Tue Gutes, und dir wird Gutes widerfahren! Glaube an dich, dann kannst du schaffen, was du willst! Sei du selbst! Alles wird gut! Dieser Collage einlullender Sprüche stellt Glocke (Matti Schmidt-Schaller) schnell die etwas naive, etwas zu selbstgewisse Einsicht eines jugendlichen Weltverbesserers entgegen: "Unsere Welt ist am Arsch, weil die Falschen am Drücker sind. Da hilft nur eines - dagegen drücken."

Glockes erster Versuch als politischer Aktivist aber endet gleich mal mit einer fürchterlichen Blamage. Gerade als er über Oben und Unten, die Klassenfrage doziert, bricht er durch das Dach eines Dixie-Klos - Hunderttausende in den sozialen Netzwerken lachen sich kaputt. "Ich will hier raus", jammert Glocke, "neugeboren werden, einen Neustart wie beim Computer." Mit vier anderen Jugendlichen, die sich nur aus dem Internet kennen, folgt er dem Ruf eines ominösen Fremden namens Friedrich in die Berge. Zurück zur Natur!

"Raus" beginnt als flott geschnittener, frecher Spaß-Trip, mit ironischen Seitenhieben auf die Generation Smartphone, die sich desillusioniert, altklug und erfahren gibt, in der Natur aber bald ziemlich dumm dasteht. Die jugendlichen Aussteiger im deutschen Mischwald werden von Rentnern mit Nordic-Walking-Stöcken überholt oder erklimmen einen vermeintlich einsamen Hügel, um oben auf eine Großstadt zu blicken. Auch heftigster Regen am Abend vertreibt die Naturromantik - aber nur ein bisschen. "Raus" hatte überdreht begonnen, findet im Wald und später in der Wildnis aber in einen erzählerischen Trott. Vögel zwitschern. Grün grünt. Ein Bach plätschert. Die Jugendlichen baden in einem See. Man lernt sich kennen, obwohl "Friedrich" ihnen in seiner Internetbotschaft befohlen hatte, ihre Vergangenheit zurück zu lassen, nichts von ihren Vorleben zu erzählen. Beim Schlammbaden fallen erste Hemmungen, das Ganze mutet wie ein Abenteuer-Wellness-Wochenende an, bei dem man den Alltag mal lässig hinter sich lassen kann.

Weil Regisseur Philipp Hirsch, Jahrgang 1973, die Sehnsucht seiner Protagonisten nach einem anderen, ehrlicheren Leben aber ernst nimmt, stehen seine Aussteiger schnell vor diversen Prüfungen. Dabei werden zivilisatorische Grenzen überschritten, an denen man gerne festgehalten hätte. Die Gruppe wehrt sich, als ein Biker übergriffig und ein Hüttenwirt sehr, sehr unfreundlich wird - es sind mutwillig herbeigeschriebene Konfliktsituationen, bei denen die Jugendlichen zeigen, was in ihnen steckt (es ist nicht nur Gutes).

Die Entdeckung von wilden Bienen und ihres Honigs mündet in eine - ironisch verkitscht fotografierte - Liebesszene, Glocke will endlich seine Jungfräulichkeit verlieren. Aus den Liebesbienen aber werden bald Folterbienen. Hirsch zitiert damit eine Szene aus dem Horrorfilm "The Wicker Man" von 2006, die Szene ist verstörend.

Plausibel aber ist die Verrohung der Jugendlichen nicht, ebenso wenig wie die Aussteiger-Utopie am Schluss. Der Twist, den Hirsch seiner Geschichte gibt, aber ist interessant: Es ist der Gedanke, dass erst die Lüge das wahrhaftige Leben möglich macht.

Raus, D 2018 - Regie: Philipp Hirsch. Buch: Thomas Böltken, Hirsch. Kamera: Ralf Noack. Schnitt: Jan Ruschke. Mit: Matti Schmidt-Schaller, Milena Tscharntke. Verleih: Farbfilm, 101 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: