Süddeutsche Zeitung

Kino:Unvereinbar vereint

Sie ist aus dem Westen, er aus dem Osten, zusammen sind sie schwer verliebt: In seinem Film "Zwischen uns die Mauer" erzählt Norbert Lechner eine wahre Geschichte aus den Achtzigerjahren - dafür musste der Münchner kreativ tricksen

Von Bernhard Blöchl

Der Mann, der die Berliner Mauer wieder aufbauen ließ, heißt Norbert Lechner und kommt aus München. Anfang dieses Jahres ist der 57-Jährige mit seinem Team nach Breslau gefahren. "Da hat unser Ausstatter eine Fake-Mauer hingestellt, die wir digital noch bearbeitet haben." Daraus wiederum ist eine kleine Szene für einen Spielfilm entstanden, der an diesem Donnerstag in den Kinos anläuft: Das deutsch-deutsche Drama "Zwischen uns die Mauer" basiert auf Katja Hildebrands autobiografischem Roman aus dem Jahr 2006. Es geht darin um zwei Teenager, die sich in den Achtzigern ineinander verlieben, sie aus dem Westen, er aus dem Osten. Lange gibt es kein Zusammensein von Dauer. Dann fällt die Mauer.

Eigentlich wollte Lechner die Berliner Mauer schon viel früher wieder aufbauen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, schon vor mehr als zehn Jahren. 2007 war das Drehbuch fertig, und der Autor und Regisseur war Feuer und Flamme für sein Projekt. Als er den Roman in die Hände bekommen hatte, wusste der erfahrene Filmemacher, ein Spezialist im Adaptieren ("Toni Goldwascher", "Tom und Hacke"), sofort: "Das will ich machen." Sein zweiter Gedanke: "Warum ist Hollywood noch nicht draufgekommen?" Er sicherte sich die Rechte, diese "fast ikonische Geschichte" zu verfilmen. Allerdings fand er lange keinen Fernsehsender, der ihn dabei unterstützen wollte. Zur Finanzierung eines großen Kinofilms braucht man ja hierzulande meist zweierlei: Fördergeld und einen Sender. Für das Jubiläum "20 Jahre Mauerfall" war Lechner zu knapp dran, außerdem gab es offenbar Zweifel an den jungen Protagonisten. "Das sind ja Jugendliche, das ist nicht unsere Zielgruppe", habe er sich sagen lassen. "Ich habe das dann ziemlich frustriert weggelegt", erzählt er beim Gespräch in München, ein paar Tage nach der Weltpremiere des Films beim Fünf-Seen-Filmfestival in Starnberg.

Vor ein paar Jahren dann ein neuer Anlauf. Denn jedem Jubiläum folgt ja im Lauf der Jahre ein noch größeres, bedeutenderes. Lechner arbeitete das Drehbuch um, das er gemeinsam mit der Berliner Autorin Susanne Fülscher entwickelt hatte. "Wir müssen da noch mal in die Tiefe gehen." Er zog die ihm bekannte Kollegin Antonia Rothe-Liermann hinzu, die, ursprünglich aus Dresden, die Ostgeschichte komplett neu aufrollte. Und auch mit der Senderunterstützung sollte es nun klappen. "Inzwischen ist ja auch das Fernsehen draufgekommen, dass Jugend als Zielgruppe ziemlich wichtig ist", sagt Norbert Lechner und schmunzelt, wie er oft schmunzelt. Er scheint ein verschmitzter Typ zu sein. Einer, der mit seiner Firma Kevin Lee in der Regel selbst produziert. Einer auch, der liebend gerne mit jungen Schauspielern zusammenarbeitet.

Hier nun hat er zwei besonders beeindruckende gefunden: Lea Freund, geboren sieben Jahre nach dem Mauerfall, ist eine der Stärken des Films. Die Feinheiten in der Mimik und ihre Präsenz lassen die Wahl-Berlinerin, die erst kurz vor den Dreharbeiten die Schauspielschule Charlottenburg abgeschlossen hat, in der Rolle der leidenden Verliebten aufblühen. "Die hat echt was drauf", lobt der Regisseur und erzählt, dass sich Freund eigentlich nur für eine kleine Rolle per E-Mail direkt bei ihm beworben habe. ",Kleine Bewerbung', hatte sie im Betreff notiert, das fand ich total sympathisch." Auch Tim Bülow nimmt man die Zerrissenheit und die Wut auf das System der Unfreiheit in seiner Rolle als verliebter junger DDR-Bürger ab. Bis die Mauer fällt und die beiden klären können, ob ihre Gefühle füreinander Bestand und sie selbst die nötige Ausdauer haben, lässt Lechner Stasi, Eltern und Grenzschützen tun, was sie tun müssen. Das fordert auch vom Zuschauer etwas Ausdauer. Eine Art Blaupause für das Projekt sei Richard Linklaters "Before Sunrise" gewesen, sagt Lechner. "Diesen Spirit braucht dieser Film."

Ebenso wichtig wie die Frage der Schauspieler war die Frage nach der Authentizität der Kulissen, und hier kommt wieder Breslau ins Spiel. Anfangs dachte Lechner, man könnte das doch in Berlin drehen. "So naiv war ich wirklich." Einen Tag lang sei er "mit dem Auto durch die Hauptstadt gegurkt", wie er erzählt. "Es war total ernüchternd." Das Ostberlin aus seiner Erinnerung, "das sieht alles überhaupt nicht mehr so aus". Dann habe er den Tipp mit Breslau bekommen. "Das Spannende war, dass ich erfahren habe, dass diese schlesischen Städte von denselben Architekten gebaut wurden, die auch Berlin gebaut haben. Offensichtlich war das eine eigene Szene." So sind denn auch die Außenbilder größtenteils dort entstanden, unter anderem auch jene Einstellung, in der das junge Paar von Osten aus in das Grenzgebiet spaziert und dann in der Ferne die Mauer zu sehen ist: Lechners "Fake-Mauer". Eine andere Szene an der Mauer wurde in der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Hauptstadt gedreht, und auch die Abschiede am Tränenpalast sind am Originalschauplatz entstanden. "Das sind ja fast nur Nachtbilder", sagt Lechner. "Sachen, die man nicht sehen durfte, die haben wir hinterher noch digital entfernt." Der Grenzübergang Friedrichstraße wurde indes komplett nachgebaut: "in Detmold, in einer Fabrikhalle".

Norbert Lechner selbst war 27, als die Mauer fiel. "Ich kann mich an den 9. November nicht mehr erinnern", gibt er zu. "Ich habe jedenfalls nicht Fernsehen geguckt, weil ich keinen Fernseher hatte." Mit Freunden habe er in den Tagen und Wochen danach viel diskutiert. "Mit dem hat ja niemand gerechnet." Lechner war damals freier Mitarbeiter für den Bayerischen Rundfunk, davor hatte er an der Uni in München Literatur- und Filmwissenschaft studiert. Geboren ist er in München, heute lebt er in Augsburg.

Mit Büchern, Filmen und der Übertragung von dem einen in das andere Format kennt er sich aus. Hier hat er die Literaturvorlage zwar im Wesenskern erhalten, aber doch viel verändert, etwa ein Treffen in Prag dazuerfunden und eine Freundin mit Fluchtgedanken. Erleichternd für Lechner war kürzlich eine E-Mail, die er von der Autorin Katja Hildebrand bekommen habe. "Sie ist sehr glücklich", sagt der Regisseur. Der Geist der Geschichte, die Stimmung, all das sei so, wie es war. Und sie muss es wissen. Sie hat diese Liebe über die Grenze hinweg selbst erlebt.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019
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