Kino:Unter Druck

Kino: Sohn und Vater: Richard Wershe Junior (Richie Merritt) und Richard Wershe Senior (Matthew McConaughey).

Sohn und Vater: Richard Wershe Junior (Richie Merritt) und Richard Wershe Senior (Matthew McConaughey).

(Foto: Sony)

Yann Demange erzählt in seinem Kinofilm "White Boy Rick" die Geschichte eines Jungen, der in den Achtzigerjahren vom FBI als Undercover-Informant angeworben wurde - mit nur 14 Jahren.

Von Susan Vahabzadeh

Es gibt Häuser, denen sieht man auf den ersten Blick an, dass die Hoffnung schon vor einer ganzen Weile ausgezogen ist. In so einem wohnt Rick. Es ist alles da für eine Kindheit, die man einigermaßen aushalten kann, aber es nützt nichts. Das Haus wirkt vernachlässigt, und keiner scheint sich um den Jungen zu kümmern. Die Achtzigerjahre haben gerade begonnen, Rick (Richie Merritt) ist 14 Jahre alt; seine Mutter ist fort, die Schwester ist unlängst zu ihrem dubiosen Freund gezogen. Seine Freunde sind schwarze Jungs aus der Gegend, deren ältere Brüder mit Drogen handeln. Das macht Ricks Vater nicht - er verkauft Waffen, unter der Hand. Keine idealen Bedingungen für einen Teenager.

Yann Demanges Film "White Boy Rick" basiert auf einem realen Fall. Es ist nichts Besonderes an diesem Jungen. Es ist wenig Eifer erkennbar, in die Schule geht er nicht, aber er hat auch keine der Macho-Allüren, mit denen die älteren Jungs um ihn herum Eindruck zu schinden versuchen. Seine Freunde nennen ihn White Boy, weil das für sie sein hervorstechendstes Merkmal ist. Der echte Rick Wershe brachte es dennoch früh zu kriminalistischer Berühmtheit. Er wurde der jüngste Informant, den das FBI je beschäftigt hat, und es ist von vorneherein klar, dass gewissenlose Kräfte im Spiel gewesen sein müssen.

Im Film sieht das so aus: Zwei Agenten, die kaltschnäuzige Alex Snyder (Jennifer Jason Leigh) und Frank Byrd (Rory Cochrane) sind Ricks Vater auf der Spur. Richard Wershe Sr. versucht, der Ermittlung mit Coolness zu begegnen. Aber die ist dahin, als er kapiert, was die Agenten getan haben. Sie haben den Jungen unter Druck gesetzt, ihnen mit den Brüdern seiner Freunde zu helfen; wenn er mitmacht, lassen sie Ricks Vater in Frieden. Rick beliefert das FBI, was gefährlich genug ist.

Rick hat plötzlich Geld, und mit dem Geld kann er ein bisschen Hoffnung kaufen

Aber bald schon steigt er richtig ein in das Geschäft, das er da erlernt hat. Und sein Vater schwankt zwischen Entgeisterung und Respekt, weil der Junge letztlich mehr für die Familie tut als er selbst. Richard Sr. ist ein widersprüchlicher Charakter, eine Paraderolle für Matthew McConaughey: Manchmal schwach, am Rande der Depression, aber wenn er sich zusammenreißt, ist er voller Leben, willens, noch einmal zu träumen, etwas auf die Beine zu stellen für seine Kinder. Denn die sind, letztlich, sein Ein und Alles. Man merkt es nur nicht gleich. Und es verschwindet hinter seiner eigenen Verführbarkeit. Manchmal meint man, er müsste wissen, was richtig ist. Aber er hat, bei aller Liebe, seinem Sohn keine Anleitung fürs Leben zu bieten.

Rick hat plötzlich Geld, und mit dem Geld kann er ein bisschen Hoffnung kaufen. Also steigt er ernstlich ein in das Geschäft in der Nachbarschaft. Der Vater kann jetzt eine Videothek eröffnen, die beiden holen Ricks drogensüchtige Schwester heim und setzen sie auf Entzug, Rick wird zu einer Hochzeit im Haus des Bürgermeisters eingeladen, und er kann ein Mädchen beeindrucken. Es wäre von einem, der nicht einmal alt genug ist, ein Auto zu fahren, zu viel verlangt, die Konsequenzen dessen abzusehen, worauf er sich da einlässt.

Yann Demange hat das gut in Szene gesetzt, die Klamotten und die Möbel und die schlechten Frisuren sind so präzise getroffen, dass man meint, Songs zu hören, die gar nicht im Film vorkommen; und "White Boy Rick" ist toll besetzt, hervorragend gespielt. Aber der Film hat doch eine Schwäche. Die Zeit, in der Rick Wershe falsch erzogen, ausgenutzt und verführt wurde, ersteht zwar auf der Leinwand wieder, aber nur visuell. Das Drehbuch ist viel weniger genau. "White Boy Rick" bietet nicht das kleinste Detail, das Ricks Schicksal in einen größeren Kontext einordnen würde, eine kalte Sozialpolitik, eine Drogenpolitik, die allein auf Festnahmen und Verurteilungen abzielt und keinen Gedanken an Prävention verschwendet. Wenn das alles keine Rolle spielt, ist die Geschichte von Rick nur eine Anekdote von einem Jungen, dessen Vater gern fürsorglich gewesen wäre, aber nie herausgefunden hat, wie das geht.

White Boy Rick, USA 2018 - Regie: Yann Demange. Buch: Andy Weiss, Logan Miller, Noah Miller. Kamera: Tat Radcliffe. Mit: Matthew McConaughey, RIchie Merrit, Jennifer Jason Leigh. Sony, 111 Min.

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