Kino:Unser Christus ist der größte

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Vor seinem Unfall hat Jacek (Mateusz Kościukiewicz) eine Freundin - Szene aus dem Film "Die Maske". (Foto: Verleih)

Mit "Die Maske" entlarvt die Regisseurin Małgorzata Szumowska die Bigotterie ihrer Heimat Polen.

Von Philipp Stadelmaier

Jacek ist ein junger Mann mit langen Haaren und Lederjacke. Er hört gern und laut Heavy Metal und will nur noch raus aus der polnischen Provinz, nach England, nach London. Aber Jaceks Schwager macht ihm lautstark klar, dass er sich diese Pläne abschminken kann. Zum einen gehöre ein Pole nach Polen, zum anderen machten die Engländer gerade die Grenzen dicht: "Die lassen das Pack eh nicht mehr rein."

Willkommen im Europa der Gegenwart! Jeder gehört genau da hin, wo er geboren ist, und nirgendwohin sonst. Großbritannien verlässt die EU, und auch sonst sind die meisten Grenzen dicht. Offen sind allerdings noch die Supermärkte: Gleich am Anfang stürmt eine halb nackte Meute einen Elektronikmarkt, um bei "Weihnachtsschnäppchen für Nackedeis" abzustauben. Ansonsten gibt es kaum einen Grund, sich aufzuraffen. Selbst, wenn getanzt wird. Wie hypnotisiert und versteinert sitzen die Leute bei einer Weihnachtsfeier, nur Jacek (Mateusz Kościukiewicz) und seine Freundin bringen Bewegung herein.

"Die Maske" heißt der Film, für den die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska 2018 auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Die Welt, die sie beschreibt, ist in Regungslosigkeit und Apathie verfangen, alle sind eng ins geistige Korsett des Katholizismus gezurrt. So arbeitet man in der Nähe des Dorfes an einem megalomanen Bauvorhaben, einer gigantischen Christusstatue, welche die größte ihrer Art werden soll, größer noch als jene von Rio de Janeiro. Auch Jacek arbeitet auf der Baustelle. Bis er eines Tages einen schweren Unfall hat.

Wir schauen mit dem Blick eines deformierten Menschen auf die Welt

Als er im Krankenhaus wieder aufwacht, ist alles anders: Sein Kopf ist bei dem Unfall so verunstaltet worden, dass man ihm ein neues Gesicht transplantiert hat. Zunächst sehen wir nur, was er sieht, während er die Augen schließt und wieder öffnet, während die Bildränder unscharf bleiben. Es ist die subjektive Wahrnehmung des Helden. Schon zuvor arbeitet Szumowska mit diesem Effekt. Was einem aber da noch wie eine unnötige Ästhetisierung vorkam, hat nun auf einmal einen Sinn. Denn nun schauen wir mit dem Blick eines deformierten Menschen auf die Welt, erkennen durch sein entstelltes Gesicht (und seine Augen) die viel gravierendere, weil moralische Entstellung jener Menschen, die ihm am nächsten sind. Zunächst ist Jacek ein Star, die Ärzte werben mit der Transplantation, der ersten ihrer Art in Polen. Seine Familie und die Dorfgemeinschaft reagieren verhalten bis feindselig. Die Freundin wendet sich von dem "Monster" ab, die eigene Mutter hält ihn für einen Perversen - die Strafe Gottes für ein schlimmes, unbekanntes Vergehen.

Die Bewegungslosigkeit, die Apathie, sie waren nur Vorboten eines versteiften Blickes, der einen bekannten Menschen partout nicht wiedererkennen will. Jaceks neues Gesicht wird zur Projektionsfläche einer Gesellschaft, die selbst die kleinsten Ambivalenzen nicht aushält und stattdessen in Jacek lieber den Teufel persönlich erkennen will. Der Junge kann aufgrund der Transplantation nicht mehr richtig sprechen? Er muss besessen sein! Man ruft nach einem Exorzisten. Es sind genau diese Ambivalenzen, mit denen Szumowska ironisch spielt und zu deren Schauplatz sie Jaceks Gesicht, also die "Maske", werden lässt, auf der man alles lesen kann oder das Gegenteil. Lächelt er oder nicht? Ist das noch der Sohn seiner Mutter, oder nicht mehr? Ist er schon der Teufel, den man austreiben muss?

Den Exorzismus macht Jacek spaßeshalber mit, um am Ende die Idioten bloßzustellen, die ihn umringen: "Habt ihr eigentlich einen Knall?" Die "Maske", das ist ein Stigma, das einen zum Fremden macht, aus einer Gemeinschaft ausgrenzt. Ob es sich um Muslime, Roma, Schwule oder Juden handelt, die hier von den guten, weißen, katholischen Europäern immer wieder verspottet werden, oder um eines ihrer eigenen Mitglieder. Dass Jacek in seinem Leidensweg zu einem ironischen Wiedergänger von Jesus wird, dessen monumentale Statue er miterrichtet hat, ist nur folgerichtig. Solidarisch mit Jacek ist, neben seiner aufopferungsvollen Schwester, nur der Kopf dieser Statue, der am Ende über der Landschaft thront und sich angewidert abwendet.

Twarz , Polen 2018. - Regie: Małgorzata Szumowska. Buch: Szumowska, Michał Englert. Kamera: Englert. Mit Mateusz Kościukiewicz, Agnieszka Podsiadlik, Małgorzata Gorol. Grandfilm, 91 Min.

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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