Kino:Und immer lockt das Weib

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In seiner Filmkomödie "Fikkefucks" seziert Jan Henrik Stahlberg genüsslich die männliche Triebhaftigkeit und ihre Folgen.

Von Tobias Kniebe

"Es ist Sommer. Ich bin siebzehn Jahre alt. Ich jobbe als Rettungsschwimmer auf Ikaria, einer kleinen Insel in der Ägäis. Ich bin durchtrainiert und habe Schlag bei Frauen. Sie sind blond und brünett, mollig und schlank, jung und warm. Und ich bin glücklich. Und frei."

Ein Mann spricht diese Worte, aus dem Off, zu Beginn des Films "Fikkefuchs". Er zitiert dabei seine eigenen biografischen Aufzeichnungen, die den Titel "Memoiren eines Frauenverstehers" tragen sollen.

Die Stimme gehört Jan Henrik Stahlberg. Er hat, zusammen mit Wolfram Fleischhauer, auch das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Und schon die Art, wie er diese ersten Sätze ausspricht, etwa den "Schlag bei Frauen", weist seine Figur als zertifiziertes Arschloch aus.

Was bemerkenswert ist. Denn bisher hat man ihn nicht einmal gesehen. Und seine Worte sind zwar peinliche Männerpoesie, aber frauenfeindlich sind sie an dieser Stelle noch nicht.

"Fikkefuchs" ist der lustigste und womöglich auch wichtigste deutsche Film des Jahres

Wie schafft es Stahlberg, einerseits diese Arschlochhaftigkeit von der ersten Sekunde an glaubhaft zu machen, sich andererseits aber in keiner Weise, nicht einmal einen Millimeter weit, von seiner Figur zu distanzieren? Das gehört zu den vielen kleinen Wundern dieses erstaunlich gnadenlosen, erstaunlich komischen, erstaunlich entlarvenden Films.

Hart wird es nämlich schon, als wir diesen Poeten der Liebe - Richard Ockers heißt er, Rocky genannt - dann wirklich sehen. Zwar wirkt seine Behauptung, früher mal ein Frauenschwarm gewesen zu sein, nicht gänzlich absurd. Jetzt aber ist er 49 Jahre alt, hat wirre graue Haare, eine Kahlstelle hinten in der Mitte, ein müdes Gesicht, einen unvorteilhaft tief hängenden Spitzbauch und - in der ersten Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit - einen großen Pissfleck auf der Hose.

Hier fließen, heißt das wohl, nicht nur die pseudoliterarischen Bekenntnisse. Die aber fließen munter weiter. "Ich mag junge Frauen", säuselt Rocky. "Ich bin mir da treu geblieben. Ich will das Reh, stolz, schüchtern und schwer, sehr schwer zu kriegen. Die ausgediente Hirschkuh am Wegesrand interessiert mich nicht. Sie ist etwas für Heuchler, die Angst haben vor der Einsamkeit. Tja. Die hatte ich nie." Während dieses inneren Monologs steht er an einer Ladentheke und beäugt voller Herablassung eine ältere, übergewichtige Kassiererin.

"Ich mag junge Frauen, ich bin mir da treu geblieben": Rocky (Jan Henrik Stahlberg, links) und Thorben (Franz Rogowski) nach einer durchzechten Nacht. (Foto: Alamode)

Aber warum, in Dreiteufelsnamen, sollte man einem solchen Mann jetzt folgen, gar einen ganzen Film mit ihm ansehen? Sind die Zeiten nicht gerade so, dass solche Typen jetzt mal keine Redezeit mehr beanspruchen dürfen? Dass andere selbsternannte Fikkefüchse allerorten geächtet, ausgeschlossen und aus den Annalen getilgt werden? Muss das jetzt sein?

Ja, es muss. "Fikkefuchs" ist der lustigste und womöglich auch der wichtigste deutsche Film des Jahres. Besonders für Männer lässt sich, gestützt auf eine kleine Fokusgruppe unter Kollegen, Folgendes festhalten: Dieser Rocky ist nah genug dran an der Wirklichkeit, um bei seinen Geschlechtsgenossen Fremdschämattacken, schrilles Auflachen und echte Erkenntnisqualen zu provozieren. Was für Frauen dann ja auch sehr aufschlussreich sein dürfte.

Und vielleicht sollte man, bevor alles noch viel unappetitlicher wird, kurz klarstellen, dass es in diesem Film am Ende um Liebe geht. Nicht unbedingt um die Liebe zwischen Männern und Frauen, auch nicht zwischen Fikkefüchsen und Fikkefüchsinnen, aber Liebe nichtsdestotrotz. Für die es dann, gewissermaßen durch einen Eingriff der griechischen Götter, sogar eine Belohnung gibt.

Zunächst aber wird alles erst einmal doppelt so schlimm, denn zu dem alten Fikkefuchs gesellt sich ein junger. Während sich der alte immerhin als Schöngeist sieht, der die scheuen Rehe mit seinem Charme, seinem Klavierspiel und seiner Bildung zu betören sucht, gehört der junge der Generation Selfie und Youporn an. Er hält die Dialoge in seinen Lieblingspornos für die Art, wie Männer und Frauen nun mal kommunzieren, um Geschlechtsverkehr anzubahnen. Dies führt zur versuchten Vergewaltigung an einer Rossmann-Kassiererin samt Einweisung in die Psychiatrie und anschließender Flucht nach Berlin.

Sein Name ist Thorben, er wird von aufgebrachten Frauen auch mal "Quasimodo" genannt, und er wird von Franz Rogowski gespielt, dem man diese Art des Außenseitertums grundsätzlich abnimmt. Rogowski schafft es, diesen Thorben zunächst als wirklich gefährlich erscheinen zu lassen - bei seiner nächsten Frustattacke könnte Schreckliches passieren -, zugleich aber auch als zugänglich. Aus diesem jungen Mann spricht ein ungefiltertes, bisweilen fröhlich krähendes Es, das von einer Geilheit jenseits der kommerzialisierten Erotik träumt, die sein Leben ruiniert hat. Diese Geilheit sucht er nun überall, in einer ziemlich aberwitzigen Szene sogar in den uneinsehbaren Schluchten des Berliner Holocaust-Mahnmals.

Der alte und der junge Fikkefuchs, die gemeinsam das ganze männliche Problembären-Spektrum von Harvey Weinstein bis Rainer Brüderle abdecken, finden sich zunächst auch gegenseitig abstoßend. Dann aber werden sie ein Team - was mit dem nie ganz geklärten Verdacht zu tun hat, sie könnten Vater und Sohn sein. Der alte jedenfalls denkt, er könne dem jungen in Sachen Verführung, Kommunikation, Weltläufigkeit und Bildung noch etwas beibringen, was dann zu Szenen wie jener führt, wo sie gemeinsam vor Gustave Courbets Gemälde "Der Ursprung der Welt" stehen.

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"Eine der schönsten Vulven in der Geschichte der Malerei", sagt der alte Fikkefuchs.

"Man sieht ja nichts. Das ist ja voll der Busch!" kräht der junge.

"Sag mal! Die haben sich doch nicht alle rasiert damals. Wie armselig bist du eigentlich?"

Armselig sind sie aber natürlich beide. Was sich am härtesten nach einem durchzechten und komplett erfolglosen Anmacher-Trip zeigt, bei dem erst im Taxi nach Hause und dann im Badezimmer sämtliche menschlichen Schließmuskeln nacheinander versagen - und die Kamera sich einfach weigert, wegzuschauen. Das geht auch deshalb, weil der Film keinerlei Förderung hat und keinerlei öffentlich-rechtliche oder bildungsbürgerliche Gatekeeper passieren musste. Hier darf aus Ekel erst einmal Fassungslosigkeit werden, dann ein Lachkrampf, dann unerklärliche Euphorie.

Wobei, ein paar Erklärungen gibt es schon. Ein Leitsatz für Erzähler lautet zum Beispiel, dass man seine Figuren nicht schonen darf, was Filme fast immer tun, besonders deutsche - dieser hier aber nicht. Sodann offenbaren sich in Rocky ganz wunderbar die Strategien des männlichen Selbstbetrugs, in diesem Fall bis zur kompletten Realitätsverleugnung. Woraus schließlich - mit der eher unfreiwilligen Hilfe einer Frau, die Aufreißer-Kurse für frustrierte Casanovas gibt (ebenfalls genial: Susanne Bredehöft) - eine genauso grauenvolle wie tröstliche Utopie erwächst: das Ding einfach knallhart bis zum Ende durchziehen, ohne je in der Wirklichkeit aufzuschlagen. Sind wir Männer wirklich solche Idioten?

"Auch du kriegst Falten und Tränensäcke und Orangenhaut und Reiterhosen!"

Wahrscheinlich ja. Denn Rocky ist nicht nur ein notorischer Wahrheitsverweigerer, was sich selbst betrifft - er ist gleichzeitig auch das Gegenteil, nämlich ein Narr, der Klartext reden darf. Etwa in dem Moment, als eine schöne junge Blondine ihn in einer Bar mit einem trockenen "Alter, geh schiffen" abserviert - und er sich daraufhin zu einem Monolog aufschwingt: "Ja, du bist jetzt jung und schön. Schon mal drüber nachgedacht, was in ein paar Jahren sein wird, wenn du über vierzig bist? Meinst du, du existierst dann überhaupt noch für uns Männer? Nein! Auch du kriegst Falten und Tränensäcke und Orangenhaut und Reiterhosen. Und ob du dagegen verzweifelt ankämpfst oder es ganz tapfer erträgst, du verfällst. Ja, so ist das. Das tun wir alle. Und ich hab mir das nicht ausgedacht."

Wer sich an dieser Stelle bei dem Gedanken ertappt, diese Theorie der Geschlechterbeziehungen im 21. Jahrhundert sei ja nun nicht rundheraus, nicht letztgültig oder völlig von der Hand zu weisen - der ist definitiv ein Fall für den Film "Fikkefuchs".

Fikkefuchs , D 2017 - Regie: Jan Henrik Stahlberg. Buch: Stahlberg, Wolfram Fleischhauer. Kamera: Ferhat Topraklar. Mit Stahlberg, Franz Rogowski, Susanne Bredehöft. Verleih: Alamode, 104 Min.

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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