Kino und Gesellschaft:Vergesst Robin Hood!

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Die Banditinnen von "Ocean's 8" auf dem Weg zum Coup. Sie verteidigen das Establishment, dem sie selbst angehören. (Foto: Barry Wetcher)

Filmhelden und gute Gangster waren mal dazu da, Reiche zu düpieren und Armen zu helfen. Dem neuen Blockbuster-Kino sind Menschen ziemlich egal. Es umarmt den Kapitalismus.

Von Susan Vahabzadeh

Danny und Debbie Ocean sind nicht miteinander verwandt. Innerhalb des Kino-Universums, das nur noch Fortsetzungen und Prequels und filmübergreifende Bande kennt, sind sie es natürlich schon. Debbie, die Heldin von "Ocean's 8", gespielt von Sandra Bullock, ist die Schwester von George Clooneys Figur Danny in "Ocean's 11" und den beiden Nachfolgern. In "Ocean's 8" wird Debbie gleich in der ersten Szene die Frage gestellt, ob sie das Betrügen und Rauben so im Blut hat wie ihr Bruder. Sie sagt natürlich nein, um dann, so wie er, sofort mit den Vorbereitungen für einen Riesencoup zu beginnen: Sie will mit ihrer Gang die Met-Gala ausrauben. So machte es Danny Ocean auch. Und doch sind diese beiden Charaktere keine Verwandten. Danny Ocean war ein Nachfahre von Robin Hood. Debbie stammt eher von den Brink's-Räubern ab, die 1983 mit drei Tonnen Gold durchbrannten und es hinterher nicht gewesen sein wollten.

Es gehörte zum Charme von Danny Oceans Bande, dass sie Leute ausraubte, die einem vorher als widerlich dargestellt wurden. Da wurde das geklaute Geld an den Slotmaschinen von Las Vegas unters Volk geworfen, ein Arbeiterstreik in einer Würfelfabrik angezettelt, heulend Oprah Winfrey zugeschaut, wie sie armen Familien Häuser schenkt. Debbie geht erst mal zu Bergdorf & Goodman und klaut sich eine Luxus-Ausrüstung zusammen, vom Yves-Saint-Laurent-Make-up bis zum Pelzmantel. Den Danny-Ocean-Filmen, entstanden am Anfang des neuen Jahrtausends, wohnte aller Gangster-Romantik zum Trotz ein bisschen unaufdringliche Kapitalismus-Kritik inne. In "Ocean's 8" wird der Kapitalismus umarmt.

Zoom - die Kinopremiere, Es fehlt der Jazz: "Ocean's Eight" im Kino (Video: SZ)

Die Superhelden der amerikanischen Blockbuster von heute, beklagte Chris Edwards unlängst im Guardian, leben die Dystopie der Blockbuster von früher - sie verteidigen ein Establishment, zu dem sie selbst gehören. Edwards beschlich dieser Gedanke wohl vorwiegend, weil er sich "Avengers - Infinity War" angesehen hatte, das neueste Epos aus der Filmabteilung des Comic-Verlags Marvel. Da ist etwas dran. Noch vor ein paar Jahren war der Riesen-Konzern, der die Macht an sich gerissen hat, ein klassischer Bösewicht des amerikanischen Kinos - so wie der gierige Großgrundbesitzer im Western. Das Robin-Hood-Motiv gehörte in Hollywood über Jahrzehnte irgendwie dazu. Und im Gangsterfilm gab man sich viel Mühe, sympathischen Gangsterfiguren ihren Charme zu erhalten, in dem die, die sie ausraubten, es irgendwie verdient hatten. Selbst da macht "Ocean's 8" nicht mehr mit. Danny suchte sich seine Opfer mit Bedacht aus, Debbie sucht sich einfach nur jemanden mit viel Geld und einer Sicherheitslücke.

Wer früher einfach nur schweinereich sein wollte, galt als Feind

Inzwischen hat Robin Hood, der ausgefuchste Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, als Vorlage für Filmfiguren ausgedient. Die Gefahren, die es zu bekämpfen gilt, sind nicht mehr von dieser Welt. Bei den Avengers wird der Kampf geführt gegen Thanos, der die Hälfte allen Lebens in der Galaxie auslöschen will. Da dieses Leben für die nächste Fortsetzung bestimmt wiederhergestellt wird, ist aber auch das egal.

Es gab, als sich die Superhelden-Filme noch häufiger mit Filmen über menschliche Figuren abwechselten und eine so irdische Story wie "Forrest Gump" ein Blockbuster sein konnte, einen kleinbürgerlichen "Spider-Man". Der bekam es tatsächlich noch mit Feinden zu tun, die einfach nur schweinereich werden wollten, koste es, was es wolle - und das machte sie zum Feind. Da gab es einen Showdown, zudem Spidey mit Hilfe aller Bauarbeiter der Stadt kam, die ihm mit ihren Kränen eine Brücke über die Straßenzüge hinweg bauten, eine wunderbar solidarische Szene.

Jetzt herrscht Solidarität nur noch innerhalb einer Clique, die selbst an der Macht ist. In "Avengers - Infinity War", der derzeit im Kino läuft, ist Peter Parker, Spider-Man, eine von etwa zwei Dutzend Hauptfiguren - die Welt aber, in der er in den alten Filmen lebte, kommt nicht mehr vor. Marvel hat seinen Filmen die Normalsterblichen so gründlich ausgetrieben, und überhaupt sind ja alle längst in der halben Galaxie unterwegs. Man erfährt aber nichts über die Lebensumstände auf den einzelnen Planeten. Damit hat sich auch die Frage erledigt, wie die Gesellschaften, die da gerettet werden sollen, gestaltet sind - man sieht sie nicht. Jedenfalls sind Superhelden dafür zuständig, sie zusammenzuhalten, nicht etwa gewählte Regierungen. In "Batman vs. Superman" fand sie noch in ein paar Szenen hinein, die Welt mit den Sterblichen, die ihre Autos nicht hochheben können. Allerdings waren es vorwiegend sterbliche Superreiche.

Menschen oder gar die Organisationsform, in der sie leben - das hat in diesen Kontexten keinerlei Bedeutung. In "Avengers - Infinity War" sind die Menschen, (oder, wahlweise, die grünen Männchen), nur undefinierte belebte Materie, die im Off zerschossen wird, Kanonenfutter für Special-Effects-Szenen; die übermenschlichen Helden bleiben sonst lieber unter sich und liefern sich ihre Schlachten in entvölkerten Straßenzügen. Was für eine schreckliche Vision: Ein paar unsterbliche Superreiche kaspern das Geschick der Welt aus, das Fußvolk ist diffuse Masse, zum Abschuss freigegeben. Wenn der Tod nichts mehr gilt - dann ist die Idee, dass es relevant sein könnte, ob Menschen leiden oder nicht, außer Kraft gesetzt.

Schaut man sich an, was vor fünfzehn oder zwanzig Jahren mit Erfolg im Kino lief, sieht die Sache anders aus. "Titanic" war der größte Blockbuster der Neunzigerjahre - James Cameron verschob da die Perspektive auf die bekannteste aller Schiffskatastrophen, die bis dahin vor allem wegen der untergegangenen Superreichen und der Pracht der ersten Klasse Legende geworden war - Leonardo DiCaprio aber spielt einen Passagier aus der dritten Klassen. Wen hat es vor Camerons Film interessiert, dass es in der dritten Klasse kaum Überlebende gab? Oder Steven Spielbergs "Jurassic Park": Da beschwört Richard Attenborough mit seinem genmanipulierten Dino-Vergnügungspark fast die Apokalypse herauf, nur um des Geldverdienens willen. Da waren "Independence Day" (Außerirdische wollen die Welt ausbeuten), "Avatar" (Menschen wollen Außerirdische ausbeuten), "Fluch der Karibik" (Piraten verführen ordentliche Töchter von Kolonialherren zum wilden Leben auf See).

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Gemessen daran sind Superhelden nun wirklich Establishment. Schon deswegen, weil Typen wie Batman und Iron Man ja selbst nicht wissen, wohin mit ihrem Geld - sie sind keine Underdogs, sie sind Milliardäre mit besonderen Fähigkeiten. Nun ist das vielleicht auch irgendwie ehrlicher als Hollywoods vorgespiegelte Sympathie für gesellschaftliche Verlierer. Denn die kapitalismuskritischen Blockbuster wurden von sehr, sehr reichen Filmemachern wie Steven Spielberg und James Cameron gemacht und von Firmen finanziert und ins Kino gebracht, die den Riesenkonzernen, die in ihnen so oft als Schreckgespenst firmieren mussten, nicht ganz unähnlich sind.

1972, also viele Jahrzehnte, bevor die Superhelden das Kino unterjochten, schrieb Umberto Eco seinen Essay "Mythos Superman". Es besteht, schreibt er da, ein wesentlicher Unterschied zwischen Heldenmythen, von griechischen Göttern oder den Protagonisten nordischer Sagen, und den Superhelden von heute in der Zeitverschiebung - Herkules war eine fest in der Vergangenheit verankerte Figur, Superman aber wird erst noch sein. Er darf sich nicht verändern, damit man ihn, wie Herkules, immer wieder erkennen kann. Und doch ist er nicht Gegenstand einer abgeschlossenen Geschichte, sondern Leseware in einer im Kern konservativen Welt, die sich nie verändern darf. Metropolis ist ewig, und es bleibt immer gleich. Weil es, so Eco, bereits eine Welt ist, in der keine Entwürfe mehr zur Wahl stehen, sondern etwas Fertiges, das einem doch unbedingt gefallen muss.

Reflektiert das Kino nur die Wirklichkeit?

Damit hat Eco im Grunde vorausgesagt, was die Marvel-Universe-Filme und andere Comic-Verfilmungen sein werden - und alles, was im Kino so teuer und erfolgreich ist, dass es in Serie produziert wird: Die Figuren dürfen sich nicht verausgaben, keine Erfahrung machen, denn jeder Schritt in Richtung Tod, und wenn es nur eine Stunde ist, schrieb Eco damals, erzeugt unweigerlich Veränderung. Das Kino hat das mit den letzten Comic-Blockbustern ins Absurde getrieben - sterbende Superhelden werden flugs reanimiert, entweder im nächsten Film oder manchmal auch schon in dem Film, in dem sie gestorben sind.

Reflektiert das Kino am Ende, wenn es den Status quo gar nicht mehr antasten mag, nur die Wirklichkeit? Zumindest der Fernseh- und Serienteil der amerikanischen Unterhaltungsindustrie, der ja viel schneller auf Entwicklungen eingehen kann, befasst sich natürlich sehr wohl mit politischen Fragen. Serien werden oft sehr zeitnah produziert, und derzeit immer zeitnaher geschrieben - weil sich die Ereignisse so überschlagen, dass die Bücher angeglichen werden müssen, damit sie der Realität nicht allzu sehr hinterherhinken. In der Anwaltsserie "The Good Fight" wird in einer neuen Folge das ominöse Russland-Video gefunden, das die Amerikaner "pee-pee-tape" nennen und von dem man einstweilen nicht weiß, ob es existiert - es ist halt gar nicht so leicht, noch einen draufzusetzen auf das, was sowieso passiert. Die Wirklichkeit sei eben gerade, sagte Hauptdarstellerin Christine Baranski dazu, "stranger than fiction" - viel merkwürdiger als alles, was man sich ausdenken kann.

Es gibt in Hollywoods Unterhaltungsindustrie nicht nur Angst vor Trumpmüdigkeit, sondern auch davor, dass sich die Nachrichtenlage so grundlegend verändert hat, bis ein Film fertig ist, dass man die Wirklichkeit am besten ganz draußen lässt. Das Kino hat sich derweil, so scheint es, in eine Fantasie der Unverwundbarkeit zurückgezogen, in der kein Raub und keine Qual und kein Todesfall Relevanz hat. Das ist entweder so eine Art Super-Eskapismus - oder tatsächlich ein hässliches Abbild der Wirklichkeit.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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