Süddeutsche Zeitung

Klimafreundliche Dreharbeiten:Jeder nur ein Steak pro Woche

Grüne Revolution oder "Öko-Faschismus"? Die Filmbranche diskutiert ein etwas bizarres Umweltkonzept. Darin spielt auch die Unterwäsche von Schauspielern eine Rolle.

Von David Steinitz

Liefern Schauspieler eine bessere Leistung ab, wenn sie auf tierisches Eiweiß verzichten? Glaubt man einem Katalog an Forderungen, der gerade in der deutschen Filmbranche zirkuliert, lautet die Antwort eindeutig: ja.

Diese sogenannte "Freiwillige Selbstverpflichtung von Schauspieler*innen", wie das Dokument überschrieben ist, listet dreizehn Punkte auf, um ein "grüneres Drehen" zu ermöglichen. Dafür werden prominente Unterzeichner gesucht. Einer, dem der Text deshalb zugeschickt wurde, leitete ihn der SZ weiter, weil er den Inhalt, vorsichtig formuliert, bedenklich findet.

Jede Seite ist unterzeichnet mit "changemakers.film", aber wer genau das sein soll, scheint unklar zu sein, wenn man sich ein bisschen in der Branche umhört. Der Regisseur Christian Petzold zum Beispiel berichtet, er habe den Text von einem "entsetzten Schauspieler" weitergereicht bekommen und ihn so absurd gefunden, dass er kurz dachte, es handele sich um einen Scherz aus der Titanic. Ein anderer Regisseur spricht am Telefon von "Öko-Faschismus". Namentlich will er aber lieber nicht zitiert werden, weil er keine Lust habe, "sich die nächsten zehn Jahre für so eine Aussage in Talkshows zu entschuldigen".

Was sind die Forderungen, für die Unterstützer gesucht werden? Es gibt einige Passagen, über die man zumindest schmunzeln kann. So heißt es zum Beispiel unter Punkt sechs ("Kostüm"): "Nicht sichtbare Kleidung wie Unterwäsche, Socken und (wenn vorhanden) eigene Wärmekleidung können nach Absprache von uns selbst mitgebracht werden." Aber ob die Privatunterhosen von Schauspielern die Wende in der Umweltpolitik bringen werden? Auch bieten die Verfasser an, "unsere eigenen Trinkbecher und -flaschen mit zum Set" zu bringen.

Oder, um auf das tierische Eiweiß zurückzukommen: Unter Punkt vier ("Catering") werden nachdrücklich mehr "vegane Optionen" gefordert, um Fleisch- und Milchprodukte weitestgehend zu reduzieren, weil "eine bewusste und hochwertige Ernährung dazu beiträgt, die von uns geforderte Leistung während der Dreharbeiten zu erbringen". Weiter heißt es: "Unser Ziel ist es, im Dialog mit den Produktions- und Setteams dafür zu sorgen, dass Fleisch nur an einem Tag in der Woche im Catering angeboten wird, dafür in höchster Bio-Qualität." Und: "Die Finanzierung dessen sollte von den auftraggebenden Sendern und der Filmförderung gedeckt werden."

Da könnte man natürlich Fragen aufwerfen. Beispielsweise, warum die deutsche Filmförderung mit Steuergeldern einmal pro Woche Bio-Steaks zahlen sollte, nur damit gut bezahlte Schauspieler ein reines Gewissen haben?

120 Jahre interessierte sich niemand für Umweltschutz im Film. Aber jetzt. Und wie.

Umweltschutz am Set ist ein Thema, das seit der Erfindung des Mediums Film im Jahr 1895 für ungefähr 120 Jahre überhaupt niemanden interessierte, und deshalb ist es natürlich ehrenvoll, sich darüber Gedanken zu machen und Ideen zu entwickeln - man kann dabei aber auch ein bisschen übers Ziel hinausschießen.

Der Schauspieler Ulrich Matthes, der auch Präsident der Deutschen Filmakademie ist, erklärt auf Nachfrage, dass es durchaus ein paar ernsthafte Star-Marotten in der deutschen Kinobranche gäbe, die, würde man sie abschaffen, zum Umweltschutz beitragen würden.

Zum Beispiel die Chauffeursfahrt ans Set. "Es gibt immer noch Kolleginnen und Kollegen, die auf einer Solo-Abholung bestehen, aus reinem Prestigescheiß. Ich find's richtig, zu mehreren abgeholt zu werden, selbst wenn man dafür 20 Minuten früher aufstehen muss." Er unterstütze grundsätzlich das Bemühen um grüneres Drehen, es gäbe aber auch Punkte in dem Text, die zumindest "kurios" seien - zum Beispiel die Forderung, man möge nur Second-Hand-Klamotten anziehen.

Regisseur Volker Schlöndorff sagt, nachdem man ihm den Text hat zukommen lassen, er finde es zum Beispiel durchaus richtig, auf Plastikflaschen und Ähnliches zu verzichten, aber einiges an diesem Katalog sei "in der Tat Gaga".

Die Praxis am Set zumindest, so erklären es fast alle Regisseure, mit denen man darüber spricht, erlaube beispielsweise nicht, einfach wie gefordert mit mehr Tageslicht zu drehen, um Scheinwerferstrom zu sparen, weil das ungleich aufwendiger und teurer sei.

Aber abgesehen von diesen produktionstechnischen Vorschlägen werden die Forderungen spätestens dann besonders fragwürdig, wenn sie in den Bereich der Kunst selbst hineinregieren wollen. Unter Punkt zehn ("Storytelling") sagen die Verfasser, sie seien sich ihrer "Vorbildfunktion in der Gesellschaft bewusst". Deshalb möchten sie "die Geschichten und Bilder hinterfragen, die wir erschaffen" und den "Blick auf Green Storytelling schärfen". Vermutlich in Richtung der Drehbuchautoren fragen sie: "Was wird von den Figuren gegessen? Müssen die Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden? Fliegt die Figur oder fährt sie mit der Bahn?"

Nach diesen Maßstäben müsste man ungefähr neunzig Prozent der Filmgeschichte in den Giftschrank sperren, weil das Kino - zum Glück und zumindest noch - in der Regel nicht von Gutmenschen erzählt. Im Gegenteil, der Film ist wie keine andere Kunstform das Medium für die Obsessionen und Perversionen, welche die Menschen mit sich herumtragen und die im Alltag oft unsichtbar bleiben, aber auf der Leinwand sichtbar werden. Möchte wirklich jemand Filme über Menschen sehen, die sich im Bioladen ein veganes Mittagessen holen, bevor sie in die Bahn einsteigen - und dass es dafür auch noch Subventionen aus Steuergeldern gibt?

Als hätte man es zum Thema bestellt, macht es pling auf dem Handy, SMS von Klaus Lemke, der gerade in Berlin dreht und in unregelmäßigen Abständen einrahmungswürdige Aphorismen als Kurznachricht verschickt: "Film/Leben ist keine saubere Sache."

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Quelle:
SZ vom 16.07.2020/khil
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