Süddeutsche Zeitung

Kino:Überleben in der Kinderwelt

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Mara Eibl-Eibesfeldts "Das Spinnwebhaus" läuft auf dem Fünf-Seen-Filmfestival 2015

Von Sabine Reithmaier, Starnberg

Der Großvater kommt auch ins Kino. Wahrscheinlich jedenfalls, sagt Mara Eibl-Eibesfeldt und trinkt einen Schluck Kaffee. Die Frage nach ihrem berühmten Ahnen musste ja kommen. Immerhin hat es Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, 87 Jahre alt und in Söcking lebend, nicht weit, um sich den Debütfilm seiner Enkelin anzusehen. "Im Spinnwebhaus" läuft während des Fünf-Seen-Filmfestivals, das an diesem Mittwoch beginnt, sowohl in Starnberg als auch in Weßling.

Der Film erzählt die Geschichte dreier Geschwister, die eines Tages von ihrer Mutter einfach verlassen werden. Nur für ein Wochenende, behauptet die Mutter und nimmt den Kindern das Versprechen ab, ihre Abwesenheit zu vertuschen. Der älteste Sohn, der zwölfjährige Jonas, übernimmt die Verantwortung. Es klappt eine Weile ganz gut, aber dann gehen Geld und Essen aus, das Haus verwandelt sich langsam in ein "Spinnwebhaus".

Ruhig und konzentriert erzählt Mara Eibl-Eibesfeldt die Geschichte, ganz aus der Wahrnehmung der Kinder und in beeindruckenden Schwarz-Weiß-Bildern (Kamera: Jürgen Jürges), die sogar der zunehmenden Verwahrlosung eine fragile Ästhetik verleihen. Zwar blitzt die Wirklichkeit in Gestalt der Kindergärtnerin oder des Vaters immer wieder auf. Doch die Kinder ziehen sich in eine märchenhafte, zeitlose Welt zurück, in der eigene Gesetze gelten. Wenn die Kinder deren magischer Logik folgen, kehrt die Mutter irgendwann wieder zurück. Was sie im Film auch tut.

Erwachsene Zuschauer reagierten ganz anders auf den Film als Kinder, sagt die 35-jährige Regisseurin. Während letztere es beeindruckt, wie die drei die Situation meistern und deren Kraft bewundern, nehmen die Erwachsenen eher die Angst der Verlassenen wahr und wüssten auch gern, warum die Mutter psychisch erkrankt, die Ehe gescheitert und der Vater weg ist. Aber der Film verweigert konsequent rationale Begründungen. Die Situation ist eben so, wie sie ist.

Die Vorlage stammt aus der realen Welt. Mara Eibl-Eibesfeldt las in einer Zeitung von vier Kindern, die fast ein ganzes Jahr allein gelebt hatten. Gemeinsam mit Drehbuchautorin Johanna Stuttmann entwickelte sie daraus ihre Filmgeschichte. "Anfangs haben wir fast dauernd über die Mutter geredet." Dass die Kinder es schaffen, miteinander gut umzugehen, liege doch auch daran, dass die Mutter ihnen viel mitgegeben haben muss. Schauspielerin Sylvie Testud gelingt denn auch eine Mutter, die eher einem verspielten und zugleich verstörten Kind gleicht. Böse sein kann man ihr nicht.

Im Alltag lebt Mara Eibl-Eibesfeldt in Berlin und hat zwei Kinder. Bei den Dreharbeiten war der Sohn fünf Jahre, die Tochter gerade mal acht Monate alt. Sie wurden allerdings nicht allein gelassen, sondern zum Drehen nach Heidelberg mitgenommen. Einschließlich des Vaters und der Omas. "Ohne deren Unterstützung hätte das nie funktioniert", sagt sie. Dass ihr Film jetzt in Weßling gezeigt wird, freut sie besonders. Denn dort hat sie die ersten 15 Jahre ihres Lebens gewohnt. Das Fünf-Seen-Filmfestival gab es da zwar noch nicht, aber dessen Leiter Matthias Helwig mühte sich schon in seinem ersten Breitwand-Kino in Gilching damit ab, Programmkino in der Provinz zu installieren. "Klar hat das Breitwand meine Film- und Sehkultur geprägt", sagt Eibl-Eibesfeldt und schwärmt von "Rosy und die große Stadt", ein 1980 gedrehter Kinderfilm, der in Berlin spielt und in dem Gerhard Polt den Vater mimt - und vom Dokumentarfilm "Das Ei ist eine geschissene Gottesgabe", den Dagmar Wagner 1993 über das Leben der Bäuerin Sophie Geisberger drehte.

Selbst Filme machen wollte sie da aber noch nicht, ihre Leidenschaft galt lang dem Theater. "Aber irgendwann merkte ich, dass der Film ein größeres Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten bietet, intensiver erzählt und stärker miterleben lässt."

Den Ausschlag gab ein Stipendium nach dem Abitur. "Ich fühlte mich frei von wirtschaftlichen Überlegungen, musste mich nicht drauf konzentrieren, etwas Zielführendes zu studieren, sondern ich konnte ausprobieren, was ich wirklich wollte." Inzwischen hat sie ihr Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München längst absolviert, vier Kurzfilme gedreht sowie einen "halblangen". Und eben "Im Spinnwebhaus", der heuer auf der Berlinale Premiere feierte. 30 Drehtage hatte sie dafür und ein eher bescheidenes Budget, aber das Ergebnis ist sehr gut.

Noch hofft sie, einen Verleih für den Film zu finden. Im Augenblick tourt er auf Festivals, läuft international in Melbourne, Montreal, Cambridge, Kopenhagen. Mal im normalen Programm, dann wieder in einer Jugendreihe. Inzwischen arbeitet Mara Eibl-Eibesfeldt schon am nächsten Film. Keine Kinder dieses Mal, sondern eine Frau, Mitte 50. Vielleicht lässt sich das besser vermarkten, sagt sie und muss über diese Bemerkung gleich lachen. Ein Actionfilm wird es nicht werden, auch keine Komödie. "Ich beschäftige mich gern mit Menschen, liebe es herauszufinden, warum wer was tut. " Der Satz passt wieder gut zu ihrem Großvater. Der hätte übrigens gern, dass sich die Enkelin seinem Filmarchiv widmet. "Er hat da wirklich einen tollen Schatz", sagt Mara. "Aber ich habe ihm gesagt, ich muss jetzt erst was Eigenes machen."

Im Spinnwebhaus, 2.8., 18.30, Schlossberghalle Starnberg, 3.8., 20 Uhr, Pfarrstadl Weßling

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SZ vom 28.07.2015
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