Gäbe es diese Dampferfahrt auch als Film, dann wären die Mitfahrer am Mittwochabend wohl in den Starnberger See gesprungen - freiwillig und mit Anlauf. Da der Ausflug auf der MS Starnberg aber doch nur eine jährlich stattfindende Dampferfahrt mit Filmanmutung ist, springt am Ende keiner rein. Bei Temperaturen, die bei frischen 17 Grad stagnieren, ist das vermutlich auch besser so.
Als das Wasser am späteren Abend noch von oben kommt, verziehen sich die 400 Dampferfahrer ins Innere des Schiffs, was die Temperaturen sprunghaft steigen lässt - und die Stimmung gleich mit. Unter großem Applaus wird Teona Strugar Mitevskas Spielfilm "Gott existiert, ihr Name ist Petrunya" mit dem Fünf-Seen-Filmpreis ausgezeichnet. Darin geht die Titelheldin ins Wasser, und mit ihr eine ganze Horde junger Männer: Natürlich nicht mit selbstmörderischen Absichten, auch wenn die Temperaturen im Film noch einmal deutlich niedriger sind als am Preisverleihungsabend in Starnberg. Nein, Petrunya und die furchtlosen Wasserspringer wollen ein Jahr lang vom Glück gesegnet sein, deshalb tauchen sie zum Fest der Heiligen Drei Könige einem Holzkreuz hinterher. Diesen Kreuztauchgang gibt es wirklich; in Nordmazedonien ist er angeblich eine ganz große Nummer. Eine noch größere Nummer wurde er, als vor ein paar Jahren eine Frau bei diesem traditionellen Männerwettkampf teilnahm - und gewann. Die aus Skopje stammende Regisseurin hat das zum Anlass genommen für einen Film, der den Machismo in ihrer Heimat ebenso infrage stellt wie religiöse Rituale. Sie wurde damit Anfang des Jahres in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen, wo sie unter anderem den Preis der Ökumenischen Jury erhielt. Jetzt kommt eine weitere Auszeichnung dazu, Teona Strugar Mitevska blickt aber nach vorne: "Mein Film hat einen deutschen Verleih gefunden und wird im November in den Kinos anlaufen", sagt sie an diesem Abend - wohlwissend, dass nur wenige Gäste auf dem Dampfer ihren Film gesehen haben.
Dabei war es ein gutes Jahr für das Fünf-Seen-Filmfestival: Die vor zwei Jahren getroffene Entscheidung, die Veranstaltung vom heißen Juli in den kinowetterfreundlicheren September zu verschieben, scheint sich auszuzahlen. Obwohl man dieses Jahr zwei Tage weniger spielt, kamen an den neun Festivaltagen nach Veranstalterangaben mehr als 21 000 Besucher, circa tausend mehr als 2018. Insgesamt sahen sie um die 150 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme, die besten davon werden während der vierstündigen Dampferfahrt ausgezeichnet. Das ist eine Premiere, bisher ging es auf dem Schiff vorrangig um Kurzfilme. Das Kurzfilmprogramm gibt es immer noch, die Gäste dürfen abstimmen: Das "Goldene Glühwürmchen" für den besten Kurzfilm geht an "Voice Over", eine charmant-verspielte Produktion, in der ein deutscher Synchronsprecher sich mit einem englischsprachigen Schauspieler anlegt, den er zu synchronisieren hat.
Fein aufeinander abgestimmt ist auch das Bordprogramm, das die Gäste an diesem Abend absolvieren: Während die einen auf dem Aussichtsturm noch ihre Aperol-Spritz-Gläser in die Abendsonne halten, um ebenjene möglichst kunstvoll abzufotografieren, werden die anderen auf dem zu jenem Zeitpunkt noch sonnigen Sonnendeck ausgezeichnet: Den Dokumentarfilmpreis erhält die deutsch-österreichische Produktion "Born in Evin". Regisseurin Maryam Zaree geht darin auf autobiografische Spurensuche: Sie wurde 1983 im iranischen Gefängnis Evin geboren und wollte das jahrzehntelange Schweigen ihrer Familie aufbrechen. Im Oktober läuft ihr Film auch in den Kinos an. Noch ohne Filmverleih ist der Gewinner in der Kategorie "Perspektive Junges Kino". Das russische Familiendrama "The Man Who Surprised Everyone" erzählt von einem sibirischen Mann, der nach einer Krebsdiagnose eine seltsame Entscheidung trifft: Er versucht dem Tod durch Make-up und Verkleidung zu entkommen. Mehr Preise passen nicht aufs Schiff, die restlichen Auszeichnungen wurden daher an Land vergeben, etwa der erstmals vergebene Hannelore-Elsner Preis, der an Barbara Auer ging oder der von der SZ gestiftete Publikumspreis für "Der Palast des Postboten" des französischen Regisseurs Nils Tavernier.
Der heimliche Höhepunkt der Dampferfahrt hat aber nichts mit Preisen oder abfotografierten Gläsern zu tun: Kurz bevor das Schiff in Starnberg ankert, wird noch Buster Keatons "One Week" gezeigt, in dem ein frisch vermähltes Paar zur Hochzeit ein Haus zum Selberbauen bekommt. "Flitterwochen im Fertighaus" heißt der deutsche Titel des Kurzfilms von 1920, live vertont wird er vom Münchner Komponisten Hans Wolf und seinem "Trio Tempo Nuovo". Es ist ein Vergnügen, ihnen bei diesem Zwischending aus Musik und Geräuschemacherei zuzuhören: Die Säge singt, das Klavier swingt, dazwischen knarzt, kratzt und fiepst es. Auf dem See ist es mittlerweile stockdunkel, auf der "MS Starnberg" leuchtet es in diesem Moment aber noch ein bisschen heller.