Kino: "The Rhythm is it":Manche mögen's hitzig

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Das Rattle-Prinzip - Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch führen die Schichten der Begeisterung vor in "Rhythm is it!".

Von Rainer Gamsera

Die Unterscheidung der Begeisterungen ist der Ernstfall der Intelligenz. Hat Goethe gesagt, so ähnlich jedenfalls. Der Film "Rhythm is it!" begeistert total - und man kann erst mal gar nicht beschreiben, woher die Begeisterung rührt, weil sie so viele Farben und Schichten hat, weil sie sich als Thema, Geste und Grundenergie des Film zeigt.

Da ist die überschäumende Freude der Kids, wenn sie nach ihrer herrlich gelungenen Tanz-Aufführung zu Strawinskys "Le Sacre du Printemps" - sie fand Januar 2003 vor 3000 Zuschauern in der Berliner Treptow-Arena statt - durch den Backstagebereich sausen und ihr "Wir haben's geschafft!" jubeln. Eine Freude, die besonders strahlt, weil sie am Ende harter Probenarbeit steht, nach der Überwindung von Hemmnissen, Frustrationen und Keine-Lust-mehr-Gefühlen.

Rauschhafte Ekstatik

Mit klassischer Musik und Tanz hatten die meisten der 250 beteiligten Berliner Jugendlichen zuvor nie was am Hut. Und mit Starsearch-Verheißungen konnte das von Sir Simon Rattle, dem neuen Chef der Berliner Philharmoniker, initiierte Projekt auch nicht locken. Ganz wichtig in der Auffächerung der Begeisterungen: Strawinskys Musik, ihre rauschhafte Ekstatik. "Le Sacre du Printemps" intoniert das archaische Ritual, bei dem ein junges Mädchen geopfert wird, mit eruptiver Wucht.

Sir Simon erinnert sich an das Feuer der ersten Begegnung mit dem Stück: "Eine weiße Hitze ging davon aus, nicht die wärmende rote Hitze, sondern die durchaus gefährliche weiße Hitze, eine dem Wahn nahe Begeisterung, die auch weh tut."

Die Filmemacher Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch verwenden Strawinskys Stück nicht nur als Bühnenmusik, sie binden damit auch immer wieder Berliner Stadtbilder in die Geschichte der Aufführung ein, Impressionen einer faszinierenden, zwielichtigen Urbanität. Die spannendsten Momente aber zeigen Choreograph Royston Maldoon bei der Probenarbeit mit den Jugendlichen. Maldoon ist das Herz des Films: ein Zauberer, ein Alchimist der Begeisterung, der sich zu Beginn provokant als strenger Lehrmeister zu erkennen gibt.

Bei ihm darf nicht gekichert, gequasselt oder gezappelt werden, er verlangt eine unbedingte Hingabe, eine hartnäckige Disziplin: "Warum muss alles immer Spaß machen, Tanz ist eine ernsthafte Sache. Ich hatte immer Freude daran, nach dem Ernst des Tanzes zu suchen!"

Im Lauf der sechswöchigen Proben wird deutlich, dass bei ihm Disziplin nichts äußerlich Draufgesetztes ist, sondern ein Versuch, die Jugendlichen dazu zu ermutigen, in sich hinein zu horchen, sich selbst wahrzunehmen, Ängste zu überwinden und zu einem neuen, über die Körperempfindung geerdeten Selbstvertrauen zu finden. Es kommt der Augenblick, an dem die besorgten Lehrerinnen am Rande der Turnhalle glauben, ihre Schützlinge gegen Maldoons Anforderungen in Schutz nehmen zu müssen.

Was den Pädagoginnen als Überforderung erscheint, ist aber tatsächlich stimulierende Herausforderung. Bewegt verfolgt man die Verwandlung: wie aus dem multikulturellen Schülerhaufen ein hingebungsvoll agierendes Ensemble wird. Auch die Porträts, die der Film wie nebenbei zeichnet - drei Jugendliche werden hervorgehoben -, konzentrieren sich auf Momente der Erweckung. Wunderbar natürlich auch Sir Simon bei der Arbeit mit seinen Philharmonikern. Einmal findet er, dass das Orchester den Grundton des Stückes noch nicht richtig getroffen habe: er sei zu sehr "à la Karate-Kid", aber solle doch mehr aus dem rhythmischen Urgrund der Empfindungen empor steigen.

Ein Ruck geht durch die Musiker. Das Orchester versteht: Rhythm is it.

RHYTHM IS IT!, D 2004 - Regie: Thomas Grube, Enrique Sánchez Lansch. Kamera: Markus Winterbauer, René Dame. Mit: Royston Maldoon, Sir Simon Rattle, Marie Theinert, Olayinka Shitu, Martin Eisentraut. Piffl Medien, 100 Min.

© SZ vom 16.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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