Kino:Spur der Steine

Eine düstere Version des amerikanischen Traums: Kelly Reichardts Film "Certain Women".

Von Susan Vahabzadeh

Alles ist vergeblich, und in manchen Momenten scheint Laura sich dessen bewusst zu sein, während sie handelt. Man spürt den Widerstand in ihren Gesten, sieht die ruhige Resignation in ihrem Gesicht. Sie ist Anwältin, und ihr Mandant hat keine Chance, aber er glaubt ihr nicht. Sie holt also eine Zweitmeinung mit ihm ein, der Kollege ist ein Mann, und als der sagt, William habe nun einmal alle Ansprüche längst abgetreten und könne nicht klagen, sagt William "okay", steht auf und geht. Laura ist einen Augenblick perplex. Aber sie reißt sich wieder zusammen, fährt William nach Hause, redet mit ihm, versucht auf ihn einzugehen. Das wird sie sogar noch tun, wenn er bald darauf bei dem Arbeitgeber, den er nicht mehr verklagen kann, Geiseln nimmt. Sie absolviert das, es sieht mühselig aus und bringt nichts, aber sie tut es.

Es ist Winter in "Certain Women", die Berge von Montana sind schneebedeckt, bläulich und majestätisch, aber unten im Ort ist es einfach nur kalt und grau. Laura, gespielt von Laura Dern, ist eine der vier Hauptfiguren im neuen Film der amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt, "Certain Women".

Es gibt nur sehr wenig Zuspitzung in ihren Geschichten, sie sind langsam erzählt, mit viel beredtem Schweigen, Leerlauf - natürlich kann nicht das ganze Kino so sein wie ein Film von Kelly Reichardt, die eine Art Anti-Blockbuster-Kino betreibt, sich mit ihrer Art der Erzählung gegen eine immer polarisiertere, auf Geschwindigkeit fokussierte Welt stellt. Mit realen Empfindungen aber hat ein Film wie "Certain Women" dann doch viel mehr zu tun als jedes zugespitzte Drama. In Wirklichkeit ist Verzweiflung oft ganz leise, und es gibt nie die Eruption, die eine Veränderung bewirkt. Meist wird Verzweiflung einfach nur ertragen.

Film

Allein unter Pferden: Die Ranch-Arbeiterein Jamie (Lily Gladstone) sucht Anschluss in der Stadt.

(Foto: Peripher)

Das ist vielleicht das stärkste verbindende Element zwischen den Frauen, von denen "Certain Women" handelt. Alle sind Heldinnen aus Kurzgeschichten von Maile Maloy, begegnen einander im Film aber kaum. Reichardt erzählt immer von Frauen, mit viel Gefühl dafür, dass es nicht dasselbe ist, ob man einem Mann zusieht, der sich alleine durchschlägt, oder einer Frau.

Vielleicht, weil Kelly Reichardt das selbst durchexerziert - sie hat sich in Hollywood als junge Filmemacherin versucht und sich dort so sehr als chancenloser Fremdkörper gefühlt, dass sie sich seither sogar innerhalb der amerikanischen Independent-Szene auf eine Außenseiter-Position zurückzieht. Bequem ist das nicht, aber sie betont oft, dass niemand in ihrem Schneideraum auftauchen und ihr sagen kann, was sie tun soll. Vielleicht fände sie das unbequemer.

Ein bisschen so ist das auch mit den Figuren in "Certain Women" - sie müssen sich arrangieren. Laura aus der ersten Geschichte hat ein Verhältnis mit dem Mann von Gina, von der die zweite handelt. Michelle Williams spielt sie, die schon in Reichardts "Wendy and Lucy" dabei war und in ihrem grandiosen Western "Meek's Cutoff", da erweist sie sich als der pragmatische Geist in einem verlorenen Pionierzug auf dem Weg nach Nirgendwo. Gina kann sich nicht durchsetzen, sie und ihr Mann wollen einem alten Mann aus der Nachbarschaft Steine abschwatzen, die ungenutzt auf seinem Grundstück liegen, für ihr neues Haus. Wenn Gina redet, nimmt der alte Mann sie fast nicht wahr; als sie später die Steine holen, winkt sie ihm, aber er sieht durch sie hindurch. Sie wirkt ganz verbissen, nervig, wenn sie um Sichtbarkeit ringt, aber auch das ist vergeblich - sie kommt aus ihrer Rolle als Anhängsel und dienstbarer Geist nicht heraus.

Trailer

Auch "Certain Women" ist irgendwie ein Western - in den Konstellationen und in der Weise, wie die Weite von Montana, die mächtigen Berge hinter der Stadt, die Einöde um Ginas Haus, die Menschen ganz winzig erscheinen lässt in einer riesigen, schönen, feindlichen Welt. Western handeln von Menschen auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, und das tun diese Frauen von heute auch, bloß auf andere Art.

Es gibt kein Recht auf Glück oder Freiheit, alles ist Verhandlungssache

Jamie (Lily Gladstone) arbeitet auf einer Ranch, ein junges Mädchen, das viel zu viel Zeit mit den Pferden verbringt - als sie anfängt, Abendkurse für Jura in der Stadt zu besuchen, tut sie das eigentlich nur, weil sie Nahrung braucht für Hirn und Seele, Menschen und irgendwas, das sie interessieren könnte. Am meisten interessiert sie sich dann für die Anwältin Beth (Kristen Stewart) die diese Kurse gibt, mit einem Stoizismus, der dem von Laura ähnelt. Beth muss jedes Mal vier Stunden hin und vier zurück fahren, so weit wohnt sie entfernt. Sie freundet sich mit Jamie an, die ihr ein wenig Halt gibt bei diesen lästigen Trips nach Belfry, die beiden gehen nach dem Unterricht zusammen essen, vertreiben sich zusammen die Zeit. Jamie sucht eine echte Verbindung, eine Freundschaft - mehr, als Beth ihr zu geben bereit ist.

Es ist kein Zufall, dass sich Jura als Thema durch diesen Film zieht. In Kelly Reichardts Universum gibt es kein Recht auf Glück oder Freiheit; jeder bekommt nur soviel, wie er aushandeln kann. Das ist zwar bitter, aber es ist realistisch - eine düstere Version des amerikanischen Traums.

Certain Women, USA 2016 - Regie, Schnitt: Kelly Reichardt. Drehbuch: Reichardt, basierend auf Kurzgeschichten von Maile Maloy. Kamera: Christopher Blauvelt. Mit: Laura Dern, Kristen Stewart, Michelle Williams, James Le Gros, Jared Harris, Lily Gladstone. Peripher, 107 Minuten.

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