Kino-Serie I:Billett zum Glück

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Ob Hochformat oder Breitwand, Thomas Kuchenreuther ist ein Mann der Bilder. Er betreibt seine Kinos mit wahrer Leidenschaft für die Filmkunst. (Foto: Robert Haas)

An diesem Mittwoch beginnen die 64. Filmkunstwochen. Seit 1953 beteiligen sich daran Münchens aktivste Arthouse-Kinos. Eine SZ-Serie stellt die sieben diesjährigen Häuser und ihr Programm vor. Teil 1: Thomas Kuchenreuthers "ABC"

Von Josef Grübl

Wenn sich Cineasten unterhalten, wird es schnell assoziativ, so auch bei Thomas Kuchenreuther. Der gebürtige Franke hat in Schwabing drei Kinos, alle in unmittelbarer Laufnähe, neben dem ABC Filmkunst-Kino betreibt er noch das Leopold und die Kinos Münchner Freiheit. Spricht der Cineast Kuchenreuther also übers Programm der 64. Filmkunstwochen München, die an diesem Mittwoch eröffnet werden und bis zum 10. August laufen, springt er munter zwischen den einzelnen Filmen hin und her, jeder von ihnen ist nur einen Quergedanken voneinander entfernt. Da wäre zum Beispiel Miguel Gomes' dreiteiliger Filmreigen "1001 Nacht", der die wirtschaftlichen Probleme Portugals mit den Mitteln persischer Märchen erzählt: Kuchenreuther verkettet seine Schwärmerei über dieses Filmereignis elegant mit dem deutschen Festival- und Publikumsliebling "Toni Erdmann" von Maren Ade.

Beide Regisseure haben Cannes-Erfahrung - das allerdings wäre nur eine schwache Assoziation. Dass Ade mit ihrer Firma aber auch als Koproduzentin an "1001 Nacht" beteiligt war, der 2015 an der Croisette Begeisterungsstürme auslöste und als eine Art Türöffner für den diesjährigen Triumph von Ades eigenem Film gesehen werden kann, das streut Kuchenreuther ganz nebenbei ein, mit dem Blick des Insiders und ohne die Besserwisserei so mancher selbsternannter Filmexperten.

"Toni Erdmann" steht bei ihm natürlich auch auf dem Programm, nebenan im Kino Münchner Freiheit, er ist ja gerade erst bundesweit in den Kinos angelaufen. Im ABC bringt er zu den Filmkunstwochen aber Ades bisherige Spielfilme noch einmal auf die Leinwand: Neben dem Urlaubs-Beziehungsmassaker "Alle Anderen" ist das die peinlich genau beobachtete Lehrerinnen-Farce "Der Wald vor lauter Bäumen". Auch hier findet der Kinomann eine Verknüpfung, sein Blick geht nach vorne und im nächsten Augenblick wieder um Jahrzehnte zurück. Wann welcher Film herausgekommen ist, daran erinnert er sich nicht immer, sehr wohl aber an die Filmtitel und die dazugehörigen Anekdoten.

Damit ist er genau der richtige Mann für die Filmkunstwochen, die den Münchnern seit 1953 die Gelegenheit bieten, herausragende Produktionen des vergangenen Kinojahres nachzuholen. Hinzu kommt ein buntes Programm aus Retrospektiven, Previews und Gesprächsrunden. Nur so können die Filmkunstwochen überleben, niemand weiß das besser als Thomas Kuchenreuther: "Wir leben in einer schnelllebigen Zeit", sagt er, "deshalb blicken wir nicht nur zurück. Die Zuschauer sollen auch sehen, was sie in den kommenden Monaten erwartet". Der Kinobetreiber ist in der Branche bestens vernetzt, auch deshalb kann er seinem Publikum schon vorab die neuen Filme von Pedro Almodóvar, Rebecca Miller oder Mia Hansen-Løve präsentieren. An den Filmkunstwochen nimmt er erst seit einigen Jahren teil, was umso erstaunlicher scheint, als das ABC eines der ältesten Programmkinos der Stadt ist.

Eröffnet im Kriegsjahr 1914 warben die Betreiber mit der "vornehmsten und modernsten Projektionsbühne des Nordens". Damals hieß es noch "Odeon-Lichtspiele", als Thomas und sein Bruder Steffen Kuchenreuther es 1967 übernahmen, war es schon umbenannt. Die Söhne einer Erlanger Kinobetreiberfamilie wurden Mitte der Sechzigerjahre auch auf dem Münchner Kinomarkt aktiv. Sie betrieben mehrere Kinos, später wirkten sie auch als Filmverleiher und Produzenten. Im ABC setzten sie von Anfang an auf Filmkunst. Thomas Kuchenreuther erzählt von eigenen Festivals, die sie veranstaltet haben, mit Piratenfilmen, Western oder Hitchcock-Reihen. Wim Wenders wohnte gegenüber und schaute oft vorbei, Rainer Werner Fassbinder saß heulend in den Douglas-Sirk-Melodramen.

1976 renovierten sie und eröffneten mit Chaplins "Ein König in New York". "Da standen die Leute Schlange in der Herzogstraße", erzählt er und zeigt als Beweis Fotos von den Menschenmassen vor seinem Kino. Heute wäre so etwas unvorstellbar. Den alten Zeiten trauert Thomas Kuchenreuther trotzdem nicht nach: "Es ist doch toll, dass man heute Filme so einfach besorgen kann", sagt er mit der Begeisterung des Cineasten, fügt aber noch hinzu: "Aber nirgendwo sonst erlebt man sie so intensiv wie im Kino." Vor vier Jahren hat er das ABC mit seinen 100 Plätzen noch einmal renoviert, ein nostalgisches Lichtspielhaus ist es geblieben. Kinomachen ist und war für ihn stets Familiensache, seit dem Tod seines Bruders Steffen im Jahr 2013 leitet er die Kinos alleine. Unterstützt wird er von Frau und Schwester; auch seine Mutter, die bald 95. Geburtstag feiert, interessiert sich fürs Geschäft. Dann kramt er noch ein Foto von Claude Chabrol hervor, der in den Siebzigerjahren sein Gast war. Auf dem Bild steht eine Widmung, die nicht nur dem Cineasten Kuchenreuther gefallen dürfte: "Wer das Kino liebt, muss mit dem ABC beginnen."

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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