Kino:Schwanger mit fünfzehn

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Guillaume Senez' erster Kinofilm: Das Teenager-Kinodrama "Keeper" mit dem Jungstar Kacey Mottet Klein.

Von Philipp Stadelmaier

Was "Keeper" zu einem tollen Film macht, sieht man schon in der allerersten Einstellung. Maxime und Mélanie, beide fünfzehn, machen miteinander rum, gehen hinter eine Mauer, sie geht vor ihm auf die Knie, und hält dann inne. Er kommt zu ihr auf den Boden, fragt, was los ist. Sie sagt ihm, dass sie es nicht mag, ihn mit dem Mund zu befriedigen. Er fragt sie betroffen, warum sie ihm das nie gesagt habe. Sie zuckt die Schultern. Dann umarmen sie sich und sagen sich ihren ironischen Liebesschwur: "Ich hasse dich", den Satz, den sie sich immer wieder sagen, wie um sich ins Gedächtnis zu rufen, dass ihre hochernste Beziehung sich nicht von der Jugendlichkeit und Unfertigkeit befreien kann, die ihr nun mal innewohnt.

Was ist das Tolle an dieser Szene? Sie ist ein Mikrodrama, in dem Begierde zu Ekel und dann zu Liebe wird - die Welt ändert sich innerhalb von Sekunden, und um das nicht zu verpassen, muss alles ohne Schnitt gefilmt werden. Wenig später erfahren die beiden, dass Mélanie von Maxime ungewollt schwanger ist, und dann wird es eine ähnliche tolle Szene geben, wieder am Stück gefilmt. Während sie auf die Kamera zugehen, freuen sie sich über das Kind, umarmen sich, machen Scherze. Wenn sie die Kamera passieren, wird Mélanie plötzlich nachdenklich und mahnt ihren Freund: "Wir müssen aufhören, über das Baby zu fantasieren." Und wenn sie sich von der Kamera wegbewegen, beginnen sie ernsthaft darüber zu diskutieren, was nun zu tun ist: abtreiben? Behalten?

Das Kind bekommen oder abtreiben? Kacey Mottet Klein und Galatéa Bellugi in der belgisch-französischen Koproduktion "Keeper". (Foto: Film Kino Text)

Guillaume Senez' erster Langspielfilm behandelt eigentlich das Thema der Teenieschwangerschaft. Aber eben auf jene Art, auf die er diese Szene filmt: im Vorübergehen. Während das Thema, das im Vordergrund stehen sollte, in den Hintergrund sinkt und dort wie etwas Verdrängtes lauert, das sich immer wieder unangenehm in Erinnerung bringt, steht im Vordergrund der Wandel der Gefühle, das Beiläufige, und vor allem: ein spielerischer Umgang mit der Schwangerschaft - und überhaupt das Spiel in allen seinen Formen.

Der Schweizer Schauspieler Kacey Mottet Klein ist eine große Entdeckung fürs Kino

Der Belgier Senez zeigt, was es heißt, mit fünfzehn schwanger zu sein, weil er zunächst einmal zeigt, was es heißt, fünfzehn und noch ein halbes Kind zu sein, sich den Dingen also automatisch spielerisch zu nähern. Nachdem er die Nachricht von Mélanies Schwangerschaft erhalten hat, steht Maxime, der "Keeper", der eine professionelle Torwartkarriere anstrebt, auf dem Fußballplatz und rastet aus. Sein sportlicher Ehrgeiz ist von seiner Überforderung durch die Situation mit Mélanie nicht zu unterscheiden. Später erzählt er seinem Kumpel von der Schwangerschaft, beim nächtlichen Playstation-Spielen und Verdrücken von fetttriefender American Pizza. Das Bravourstück aber ist dann eine Szene auf dem Jahrmarkt, wenn Maxime und Mélanie vergnügt herumlaufen und sie ihre Entscheidung darüber, das Kind zu behalten oder nicht, davon abhängig machen will, ob er bei einem Spiel ein Plüschtier gewinnen kann. Aber dieses Spiel ist natürlich nicht ewig aufrechtzuerhalten, echte Entscheidungen stehen an. Bald erfahren die Eltern von der Sache, dann wird alles ernster.

Wenn man hier hinter den Figuren und ihrer exemplarischen Situation stets die konkrete Realität bestimmter Körper und ihres Alters spürt, dann aufgrund der überragenden Präsenz der blutjungen Schauspieler Galatéa Bellugi und Kacey Mottet Klein. Der junge Schweizer begann seine Laufbahn 2008 in "Home" von Ursula Meier, in deren "Winterdieb" er vier Jahre später schließlich größere Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Junge ist noch keine zwanzig Jahre alt, hat aber schon an der Seite von Isabelle Huppert gespielt und in "Gainsbourg" den legendären Sänger als Kind verkörpert. Zuletzt hat Klein, der auch einer der "European Shooting Stars" 2016 war, in André Téchinés "Mit Siebzehn" geglänzt. Wie in "Keeper" ging es da um zwei Jugendliche, die mit etwas konfrontiert werden, das sie überfordert. Was bei Téchiné eine starke körperliche Anziehung war, ist bei Senez die Schwangerschaft; bei Téchiné balgten sie sich, bei Senez überredet Maxime seine hochschwangere Freundin, noch mit in die Disco zu gehen. Man führt einen Kampf mit der Ernsthaftigkeit, ohne je ganz bei der Sache bleiben zu können, will auf der Höhe der Situation sein, und kann dies doch nur im Spiel.

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Mottet Kleins Körper ist dabei quasi die Essenz von Senez' Film. Der schlaksige Junge ist voller Energie und ein sehr guter Torwart. Da kann die infernalische Mutter von Mélanie, die das Kind nicht möchte, noch so sehr auf Maxime einbrüllen: Der Keeper will halten, was er halten kann, vor allem das gemeinsame Kind. Aber die Energie macht mit ihm auch, was sie will, als würde ein Sturm in seine Segelohren blasen und ihn mitsamt seinen ellenlangen Extremitäten nach Belieben umherwirbeln, weshalb der Keeper schon mal den Fokus verliert und nur noch frustriert auf den Rasen einprügelt. Weil die Schüsse, die auf dem Platz und im Leben auf ihn eindreschen, so krass werden, dass sie ihm schließlich durch die Finger flutschen. Ist aber nicht so schlimm: Er hat sein Leben noch vor sich.

Keeper , BEL/CHE/FRA 2015. Regie: Guillaume Senez. Buch: Senez, David Lambert, Marcia Romano. Kamera: Denis Jutzeler. Mit Kacey Mottet Klein, Galatéa Bellugi, Laetitia Dosch. Filmkinotext, 95 Min.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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