Kino im Senegal:Wer eine Zukunft sieht, der bleibt

Kino im Senegal: Yanis Gaye und Joseph Ramaka (v.l.) in ihrem Haus im Senegal.

Yanis Gaye und Joseph Ramaka (v.l.) in ihrem Haus im Senegal.

(Foto: zri)
  • Die Filmemacher Joseph Ramaka und Yanis Gaye wollen die Fluchtursachen in ihrer Heimat Senegal bekämpfen.
  • Sie planen dafür eine Filmhochschule in der Region Ziguinchor, die zwischen Krieg und Frieden schwankt.
  • In der Schule sollen 200 Studenten in Theorie und Praxis ausgebildet werden, die Hälfte davon Frauen.

Von Sonja Zekri

Fluchtursachen bekämpfen, das ist ein Jahrhundertthema für Europa, für Afrika, für den Weltfrieden. Weiß jeder. Nur: Warum klingt das oft so fad und freudlos? Auch wenn sich an diesem Dienstag elf afrikanische Staatschefs in Berlin zum "G20 Investment Summit" treffen, ist der vorherrschende Eindruck, dass der Westen, also: der Norden, ein paar knickrige Brocken Fluchtursachenbekämpfung über den Fluchtverursacherländern herabbröseln lassen möchte. Dabei geht es auch anders.

Joseph "Joe" Ramaka und Yanis Gaye, Vater und Sohn, bekämpfen die Fluchtursachen in Senegal, ihrer Heimat, mit den Mitteln des Kinos - und verbinden Leidenschaft und Weltfrieden. Die Ramakas sind Filmemacher. Joe Ramaka, Jahrgang 1952, wurde 2001 schlagartig bekannt mit seinem Debütfilm "Karmen Gei", der im eher toleranten, aber doch auch sehr islamischen Senegal einen Schock auslöste. Eine bisexuelle Carmen, Sufi-Gesänge zur Beerdigung einer Lesbe - danach musste Ramaka Senegal für ein paar Jahre verlassen. Auf die Frage, warum er für sein Debüt eine solche Provokation vom Zaun gebrochen hat, tut er unschuldig: "Was heißt Provokation? Für mich war das keine Provokation." Man ahnt: ein Dickschädel.

Mehr als 200 Studenten sollen hier ausgebildet werden. Mit neuestem Equipment

Nach ein paar Jahren im Ausland, in New Orleans, zog er zurück nach Senegal und lebt nun mit seinem Sohn auf Gorée. Das ist eine ehemalige Sklavenhändlerinsel - eine halbe Stunde Bootsfahrt von der Hauptstadt Dakar entfernt. Gorée ist Weltkulturerbe und grauenvoll niedliche Top-Destination aller Senegal-Reisenden. Hauptattraktion ist das elegante rostfarbene "Sklaven-Haus", wo Rastafaris für ein paar Francs das historische Verbrechen in Fragmenten darbieten: die Ketten, die lichtlosen Massenkerker, die "Tür ohne Wiederkehr" auf die Schiffe.

Ramaka wohnt ein paar puppenstubenbunte, ungepflasterte, autolose Straßen entfernt in einer alten Post. Von seinem Lieblingsplatz am Fenster, wo er seine Drehbücher schreibt, blickt er auf die Anlegestelle. Dort baden alle, die das Wasser trägt: Mädchen in grellbunten Büstenhaltern, quiekende Jungs, Ziegen, Katzen. Aber abends, wenn die erstickende Schwüle sich legt und die Menschen wieder atmen können, gibt es ein anderes Gorée, jedenfalls gab es das in den vergangenen zwei Wochen. Ramaka und sein Sohn haben zum Filmfestival Gorée Cinema geladen. Es ist bereits das vierte. Gewidmet ist es der Verbindung Afrikas mit Brasilien und dem Miteinander von Tanz, Musik oder Fotografie. Vor den großen afrikanischen Fotokünstlern wie Seydou Keita oder Malick Sidibé verneigt sich der Dokumentarfilm "Regards Noirs" von Jacques Goldstein. Zudem sind Kurzfilme aus Tunesien, Marokko oder Holland zu sehen.

Die Kontinuität des Festivals bei der Behandlung von Kernfragen - Was ist Afrika? Wie sieht es sich selbst? Wie will es gesehen werden? - verdeckt allerdings nur notdürftig eine überaus prekäre finanzielle Situation, und da nützt es auch nichts, dass Joseph Ramaka den Mangel als Autonomiegewinn deutet: "Kino ist Licht und Ton. Wir haben einen Projektor und mieten den Ton. Ich bin es leid, dem Geld hinterherzulaufen. Die Zeit kann ich sinnvoller nutzen." Ob es ein nächstes Filmfestival geben wird, steht jedes Jahr in den Sternen.

Dessen ungeachtet treiben die beiden ein anderes, größeres, im besten Fall folgenschwereres Projekt voran, und zwar in der Peripherie im Süden, im ehemaligen Kriegs- und Krisengebiet Casamance. Die Region ist ein Traum aus Mangroven und ein Albtraum an Vernachlässigung, weil Separatisten erst gegen die französische Kolonialmacht und dann gegen den neuen senegalesischen Staat kämpften und heute irgendetwas zwischen Krieg und Frieden herrscht. Hier, in der Hauptstadt Ziguinchor, planen Vater und Sohn die kinematografische Selbstbefreiung.

Seit April 2017 wird auf dem Gelände eines historischen Lichtspielhauses ein Kino für 500 Zuschauer und eine Filmhochschule gebaut, benannt nach Aline Sitoé Diatta, einer legendären Widerstandskämpferin aus Casamance. In naher Zukunft sollen über 200 Studenten sechs Monate oder ein Jahr lang in Theorie und Praxis ausgebildet werden, an Equipment, so neu und technisch so fortgeschritten, "wie man es nicht mal in Dakar findet", sagt Joseph Ramaka.

"Wir wollen ihnen den Reichtum dessen zeigen, was sie haben"

Goree (bezogen über Sonja Zekri

In der vernachlässigten Region Casamance im Süden Senegals herrscht weder Krieg noch Frieden. Ausgerechnet hier planen Vater und Sohn ein Kino für 500 Zuschauer und eine Filmhochschule.

(Foto: Le Sitoe)

Der ästhetische Kern des Curriculums geht zurück auf die "visuelle Anthropologie", die Vater und Sohn geprägt hat, vor allem auf das Werk des französischen Dokumentarfilmers Jean Rouch. In Filmen wie "Die Herren des Wahnsinns" zeigte Rouch einen durch keinerlei postkolonialen Diskurs angekränkelten, aber gerade deshalb überraschend authentischen Zugang zum afrikanischen Alltag: Animismus, blutige Rituale, Leben am Fluss. Die Schule in Casamance, so die Hoffnung der Ramakas, wird die jungen Afrikaner lehren, ihre Welt so klar und direkt zu beschreiben und, natürlich, auch zu gestalten. Die Hälfte der Studenten sollten Frauen sein, die Großthemen lauten unter anderem "Die Erde zum Sprechen bringen", "Die Casamance-Region neu erfinden", "Frauen an der Kamera".

Joe Ramakas Sohn Yanis, 28, hat Deutsch gelernt, weil er hoffte, Hegel zu verstehen, und in einem Kino-Restaurant würde er gern die regionale Küche zur Geltung bringen, eigentlich alles, was junge Menschen davon abhält, Senegal zu verlassen: "Wir wollen ihnen den Reichtum dessen zeigen, was sie haben", sagt er. Dass er selbst meist in Paris lebt, ändert an diesem Ziel nichts.

"Im Moment ist es doch so: Wer gehen kann, der geht", sagt Joe Ramaka. Wer aber eine Zukunft sieht, der bleibt. Zum Beispiel als Filmemacher. Das große Kinosterben hat in Dakar nur eine Handvoll Kinos übrig gelassen, als Abspielflächen für Blockbuster aus Hollywood und Frankreich. Für die einstige Kolonialmacht Frankreich ist Senegal ein Herkunftsland für Flüchtlinge, aber auch ein großer Markt, das wissen die beiden. Und es ärgert sie.

Sie greifen nach den Sternen und glauben an das Unmögliche

Deshalb unterlaufen sie die kommerzielle Wucht mit dem Eigensinn des Kinos: "Wir sind davon überzeugt, dass unser Kinoprojekt wichtig ist für den Geist des Friedens in dieser schwankenden Region", sagt Joe Ramaka. Die Regierung Senegals haben sie mit diesem Argument überzeugt: 114 000 von 760 000 Euro für Bau und Ausrüstung wurden bereits bewilligt.

Es fehlen aber noch Sponsoren für alles, was die künftigen Studiengebühren nicht decken werden. Also auch: die Vorlesungen, Kurse, Seminare. Idealerweise, so die Hoffnung, durchgeführt von Partnern an europäischen Filmhochschulen, denn es wäre ja gar nicht nötig, dass die Kollegen aus Berlin oder Paris in den Ruinen von Casamance auftreten, sie könnten Schnitt, Regie oder Drehbuchschreiben per Videokonferenz unterrichten.

Trotzdem ist das alles ein Greifen nach den Sternen, das wissen die beiden, aber der Sohn hat vom Vater den Glauben an das Unmögliche geerbt. "Wenn wir mit einem Projekt anfangen, warne ich meinen Vater: Das ist völlig unrealistisch. Was ihn natürlich nicht beeindruckt", erzählt Yanis. Irgendwann, die Arbeit schreitet voran, kehrten sich dann die Rollen um, dann rede der Vater dem Sohn ins Gewissen: "Yanis, das ist völlig unrealistisch." Was diesen natürlich auch nicht beeindruckt.

Ohne dem Berliner Treffen, zu dem auch Senegals Staatschef Macky Sall eingeladen ist, vorgreifen zu wollen - die Chancen, dass irgendjemand ein paar tausend Euro in eine Filmhochschule im senegalesischen Nirgendwo investiert, dürften gegen Null gehen. Wer bekämpft schon Fluchtursachen durch das Kino?

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