Aus unzähligen Martial-Arts-Filmen weiß man, dass der Faustkampf eine Kunst und als eine spezielle Form der Choreografie dem Tanz sehr nahe stehen kann. Das gilt ähnlich für die Kneipenschlägerei als filmischer Standardsituation, wie sie etwa in Bud-Spencer-Filmen oder im Kurzfilm "Fisticuffs" von Miranda Pennell zelebriert wird. Dort hat sie vor allem einen komischen Effekt, der in Pennells "Fisticuffs" dadurch entsteht, dass die Schlägerei in zahlreichen Varianten wiederholt wird. Die eine entsteht grundlos, die andere, weil ein Glas Bier verschüttet wird, die nächste, weil ein Mann eine Frau aus Versehen gegen eine Jalousie schubst und so weiter, bis sich ein veritables Kneipenschlägerei-Ballett daraus entwickelt.
Zu sehen ist "Fisticuffs" an diesem Donnerstag im Filmmuseum, wo Miranda Pennell unter dem Titel "Choreographies & Archives" als diesjährige Underdox-Halbzeit eine Film-Lecture hält. Eingeladen wurde sie dazu von Dunja Bialas und Bernd Brehmer, den Leitern des Underdox-Festivals, wo im vergangenen Jahr mit "The Host" bereits ein Film von Pennell zu sehen war. Wie man Bewegungen choreografiert, damit kennt sich die britische Künstlerin aus, die in New York und Amsterdam zeitgenössischen Tanz und in London visuelle Anthropologie studiert hat. Was beides verbindet, ist Pennells Interesse für Alltagsrituale und deren Choreografien, für die die Kneipenschlägerei nur ein Beispiel von vielen ist. Ein weiteres ist der Exerziermarsch von Soldaten, die in "Tattoo" durch eine Naturlandschaft spazieren, oder das Schlittschuhfahren und E-Gitarre-Spielen, wie es die Mädchen und Jungs in "Magnetic North" betreiben. In "Human Radio" wiederum sieht man verschiedene Menschen weltvergessen in ihren Schlaf- oder Wohnzimmern tanzen. Die Protagonisten hatte Pennell, die ihre Arbeiten in den vergangenen Jahren an wichtigen Orten wie der Tate Britain London oder dem Kunsthaus Zürich präsentiert hat, zuvor per Anzeige gesucht.
In ihren neueren Arbeiten wie dem ersten Lang-Film "The Host", der 2015 als Teil ihrer Doktorarbeit zum Thema "Film as an archive for colonial photographs" entstand, geht die 1961 in London geborene Künstlerin in eine neue, historische und auch sehr private Richtung. Der Film ist eine aus hunderten Fotografien zusammengesetzte, forensische Spurensuche, die den kolonialen Aktivitäten der British Petroleum (BP) im Iran und gleichsam der eigenen Familiengeschichte nachspürt. Anstatt um körperliche Rituale geht es hier um die Art und Weise, wie wir Geschichten über uns und andere erzählen und wie wir dabei oft unbewusst Fakten und Fiktionen vermischen.
Miranda Pennell: Choreographies & Archives , Film-Lecture, Donnerstag, 8. Juni, 19 Uhr, Filmmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, ☎ 23 39 64 50