Süddeutsche Zeitung

Kino:Revolution hinterm Schleier

Die Doku "The Poetess" erzählt von der saudi-arabischen Dichterin Hissa Hilal, die sich gegen die patriarchale Gesellschaft zur Wehr setzt.

Von Kathleen Hildebrand

Neun optimistisch lächelnde Männer in strahlend weißer Kleidung - und ganz am Rand eine kleine Frau im schwarzen Ganzkörperschleier, der alles verbirgt, sogar die Augenbrauen. Nur ihre Augen sind sichtbar, damit sie auf dem Weg zur Bühne nicht stolpert. Als die saudi-arabische Dichterin Hissa Hilal 2010 in den Endrunden des Poesie-Wettstreits "Million's Poet" stand, einem erfolgreichen Reality-TV-Format mit 75 Millionen Zuschauern in der gesamten arabischen Welt, da war ihr Anblick für westliche wie für arabische Augen gleichermaßen verstörend - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Für das Publikum in ihrer Heimat war es ein Affront, dass eine Frau überhaupt an einer Fernsehshow teilnahm, und dann auch noch in einem Wettbewerb gegen Männer antrat. Und dann auch noch ins Finale kam. Aber Hissa Hilal nahm nicht nur teil an diesem Dichterwettstreit. In den Gedichten, die sie vortrug, kritisierte sie die streng patriarchalische Gesellschaft ihrer Heimat und verurteilte die Fatwas der religiösen Führer Saudi-Arabiens als menschenfeindlich und extremistisch. Damit versetzte Hilal für ein paar Tage arabische wie internationale Medien in Aufruhr. Und sie brachte die Filmemacher Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff dazu, sich vor Begeisterung direkt ins nächste Flugzeug nach Abu Dhabi zu setzen und sie noch während des Finales von "Million's Poet" mit der Kamera zu begleiten. Der Dokumentarfilm, den die beiden in den Jahren darauf gegen alle Widerstände gemacht haben, bietet einen beeindruckenden Einblick in die Komplexität von Frauenleben in dem streng religiösen und nach außen abgeschotteten Land. Hissa Hilal ist mutig, eloquent und selbstbewusst. Sie hat das Glück, mit einem liberal denkenden Journalisten verheiratet zu sein, der sie in ihrem Schreiben unterstützt. Aber sie weiß auch ganz genau, was sie sagen und tun kann, ohne Probleme mit dem Staat und der religiösen Führung zu bekommen. Obwohl die deutschen Dokumentarfilmer sie dazu zu überreden versuchten, sieht man sie bis zum Schluss von "The Poetess" kein einziges Mal ohne Schleier.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2018
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