"Niemals Selten Manchmal Immer" im Kino:Wie man Frauen ein Recht entzieht

Lesezeit: 3 Min.

Die 17-jährige Autumn, gespielt von Sidney Flanigan, ist schwanger – aber in der amerikanischen Provinz will ihr niemand helfen. (Foto: Focus Features)

Eine junge Amerikanerin will abtreiben und muss hart dafür kämpfen: "Niemals Selten Manchmal Immer" von Eliza Hittman könnte aktueller nicht sein.

Von Susan Vahabzadeh

Zeit ist Geld, das stimmt zumindest überall dort, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, weil keiner Geld hat. In der Kleinstadt, in der die 17-jährige Autumn lebt, ist alles renovierungsbedürftig und irgendwie zu dunkel. Das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter, den Geschwistern und dem Stiefvater lebt; die High-School, in der sie ausgelacht wurde; der Imbiss, in dem sie mit ihrer Cousine Skylar arbeitet.

Nur die Arztpraxis wirkt irgendwie geleckt. Da ist Autumn hingegangen, weil sie dringend Hilfe braucht. Sie ist schwanger, und nicht einmal ohne Kind sieht ihre Zukunft besonders rosig aus. Sie wird nie aussprechen, von wem sie schwanger ist. Dass es eine Vergewaltigung war, dass das bisschen Halt, das sie hat, in Gefahr ist, steht aber bald im Raum wie ein hässliches Monstrum, das sich alle zu sehen weigern. Autumn sieht aus ihrer Situation nur einen Ausweg - sie will eine Abtreibung.

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In ihrem dritten Film "Niemals Selten Manchmal Immer" folgt die amerikanische Filmemacherin Eliza Hittman dem Weg von Autumn, gespielt von Sidney Flanigan. Dafür gab es einen Spezialpreis in Sundance und den Großen Preis der Jury bei der Berlinale. Es kommt einem vielleicht so vor, als wäre das ein ausgetretener Pfad, den Hittman da betritt, mit viel Kamerabewegung, blassen, kalten Farben, wortkargen, realistischen Szenen. In Wirklichkeit aber ist Abtreibung in den letzten vierzig Jahren nur sehr selten ein Thema im Kino gewesen, im Cannes-Sieger "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" (2007) aus Rumänien etwa, an den Hittmans Film ein wenig erinnert. Im amerikanischen Kino aber beispielsweise nimmt fast nie jemand das Wort Abtreibung auch nur in den Mund.

Wie aktuell das Thema beim Filmstart sein würde, konnte die Regisseurin nicht ahnen

Weil die Frage eben die amerikanische Gesellschaft spaltet. Die Ärztin in der Kleinstadt hat gar kein Interesse daran, Autumn zu helfen, sie versucht einfach, ihr die Abtreibung unmöglich zu machen. Und nun hat Autumn nur noch einen Menschen auf der Welt, dem sie vertrauen kann: Skylar (Talia Ryder). Es herrscht eine wortlose Solidarität zwischen den beiden Mädchen, die so unterschiedlich sind.

Autumn wirkt entschlossen, aber hilflos, Skylar ist patent und optimistisch, dass sich fast alles irgendwie regeln lässt. Autumn sind die Anzüglichkeiten des Chefs im Imbiss zuwider, Skylar weiß sie zu nutzen. Und Autumn muss gar nicht aussprechen, was Sache ist, damit Skylar kapiert und beginnt, einen riesigen Reisekoffer zu packen. Die beiden werden ihre Ersparnisse einstecken und sich in der Dunkelheit aufmachen, um in den Bus nach New York zu steigen. Und da wird dann alles noch schwieriger als erwartet: Das Geld reicht nicht, schon gar nicht für ein Zimmer, und so wird Port Authority, der Busbahnhof, ihre einzige Heimstatt, und ein Junge, der versucht hat, sich an Skylar heranzumachen, ihr einziger Anker.

Mit dem Drehbuch dazu hat Eliza Hittman schon 2012 angefangen, als sie herausfand, wie beschwerlich es für viele amerikanische Frauen ist, wenn sie eine Abtreibung wollen oder gar brauchen. Wie aktuell das Thema sein würde, als sie mit dem Film fertig war, hat sie nicht ahnen können. Noch vor der Wahl im November soll am Obersten Gerichtshof der USA die kürzlich verstorbene liberale Richterin Ruth Bader Ginsburg durch eine konservative Katholikin ersetzt werden, und dann entstehen Mehrheitsverhältnisse, in denen die derzeitige Abtreibungsregelung wenig Aussicht auf Bestand hat. Ein Bundesgesetz dazu gibt es nicht, nur den Präzedenzfall Roe versus Wade, der es bislang verhindert, dass einzelne Staaten Abtreibungen vollständig verbieten. Es geht in "Niemals Selten Manchmal Immer" nicht um eine Gesetzeslage an sich, Eliza Hittman ist unten auf dem Boden, bei einem Mädchen, das die Konsequenzen aushalten muss.

Der Titel spielt auf eine Szene an, die wohl die bewegendste im ganzen Film ist. Autumn sitzt in einem Sprechzimmer in New York und beantwortet Fragen, und näher kommt man der Wahrheit darüber, was ihr geschehen ist, in keinem anderen Moment. Es gibt gute Gründe, warum Eliza Hittman die Mädchen selbst so detailliert porträtiert, die Hintergründe aber so vage lässt.

So wird aus "Niemals Selten Manchmal Immer" mehr als eine kleine, realistische Geschichte über ein Schicksal. Eliza Hittmans Erzählung handelt von einem Kampf um Autonomie. Die beiden Mädchen streiten um das Recht an ihrem eigenen Körper, auf jede erdenkliche Weise und immerzu; und nur, wenn sie zusammenhalten, sind sie frei.

Never Rarely Sometimes Always , USA/GB 2020 - Regie und Buch: Eliza Hittman. Kamera: Hélène Louvart. Mit: Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin. Verleih: Universal, 102 Minuten.

© SZ vom 01.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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