Süddeutsche Zeitung

Kino:Nicht von dieser Welt

Der Film "Diamantino" von Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt verbindet Fußball, Flüchtlingskrise und Neo-Faschismus zu einem kleinen Wunder der Kinokunst.

Von Philipp Stadelmaier

Früher, als er ein Kind war, hat ihn sein Vater in Museen und Kirchen mitgenommen. Nicht wegen der Religion, sondern wegen der Kunstwerke. Maler wie Michelangelo, sagte sein Vater ihm, gibt es heute nicht mehr. Und doch ist auch der Sohn ein Künstler. Die Kathedrale, in der seine Werke bewundert werden können, ist das Fußballstadion. Was Diamantino, der portugiesische Fußballstar, auf den Rasen zaubert, ist sublim, nicht von dieser Welt.

So erzählt es Diamantino, während sich die Kamera langsam in die lärmende Sportarena versenkt und wir ihn in Aktion erleben. Und dann sehen wir, was sich in Diamantinos Kopf abspielt, wenn er seine Kunststücke vollführt. Er sieht keine Gegner und kein Zuschauer, sondern riesige rosafarbene Wolken, und mittendrin ziemlich süße und ziemliche riesige Welpen, die um ihn herumtollen.

"Diamantino" heißt der Film von Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt, die dafür im letzten Jahr in Cannes ausgezeichnet wurden. Der Schauspieler, der den Fußballer verkörpert, heißt Carloto Cotta. Rein äußerlich erinnert er an Cristiano Ronaldo. Allerdings, so wird im Vorspann klargestellt, sind jedwede Ähnlichkeiten zu realen Personen als rein zufällig zu bewerten. Ebenso wie eventuelle Ähnlichkeiten mit fluffigen Riesenwelpen aus der Wirklichkeit.

Wie die Welpen und der rosa Nebel ankündigen, handelt es sich bei Diamantino um keinen Fußball-Macho, sondern um ein Genie mit der Seele eines Kindes. Seinen Papa hat er besonders lieb, seine garstigen und gemeinen Zwillingsschwestern erträgt er gelassen, und Sex ist ihm ebenso unbekannt wie Offshore-Konten: Die Flugdrohne der Steuerfahndung über seiner Yacht lässt ihn ziemlich unbekümmert.

Portugal will eine Mauer und endlich raus aus Europa

Aber dann treibt auf einmal ein Schlauchboot mit Geflüchteten auf dem Meer - und den Blick einer Frau, die ihr Kind auf der See verloren hat, kann Diamantino nicht vergessen. Er verfolgt ihn bis ins Finale der Fußballweltmeisterschaft (Portugal gegen Schweden), wo er den entscheidenden Elfmeter verschießt, weinend auf dem Rasen zusammenbricht und zum Gespött der Nation wird, während sein Vater unter dem Gekeife der diabolischen Schwestern einen Herzinfarkt erleidet und stirbt. Der Einbruch von Flucht und Migration in dieses Reich aus Kinderhirnen, Riesenpekinesen und rosa Wattenebeln mag zunächst irritieren, aber Abrantes und Schmidt entwerfen ausgehend davon eine Satire, die ebenso queer wie politisch ist.

Nach dem verschossenen Elfer und dem Tod des Vaters beschließt Diamantino in einem Interview die Adoption eines geflüchteten Kindes - "vielleicht aus Kanada". Geopolitik ist nicht seine Stärke. Dies nutzt eine Steuerfahnderin namens Aisha (Cleo Tavares), um sich als Flüchtlingsjunge auszugeben. Sie lässt sich von Diamantino adoptieren, will sein Vertrauen gewinnen, seine Konten ausforschen. Nun ist Diamantino ein vorbildlicher Adoptivvater: Er verwöhnt seinen neuen "Sohn" mit sahnebedeckten Schokopfannkuchen und Bongo-Saft, damit der Kleine wieder zu Kräften kommt.

Nun findet Aisha bald heraus, dass nicht Diamantino die vermuteten Offshore-Konten betreibt, sondern die Schwestern. Die kriegen außerdem Geld von der rechten Regierung dafür, dass sie ihren Bruder für ein kurioses Projekt verscherbeln. Ein Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union steht bevor, Portugal will sich mit einer Mauer à la Trump vom Rest der Welt abriegeln. Währenddessen soll eine gewisse Dr. Lamborghini Diamantino klonen, um auf diese Weise eine ganze Armee von Diamantinos herzustellen. Um der ehemaligen Kolonialmacht wahlweise die Fußballweltmeisterschaft oder auch die Weltherrschaft in Aussicht zu stellen. So ist der naive Fußballer bald in Werbespots zu sehen, in denen er als Kreuzfahrer gemeine Mauren abschlachtet. Aber die Genbehandlung führt auch dazu, dass Diamantino Brüste wachsen.

Eine wichtige Inspiration für den Film war ein Essay von David Foster Wallace, "Roger Federer as Religious Experience", in der Foster das Übersinnliche an Federers Art, Tennis zu spielen, beschreibt: den Schock vor der scheinbaren Unmöglichkeit körperlicher Bewegungen. Abrantes und Schmidt kombinieren das Sublime dieser Erfahrung mit süßen Riesenwelpen, ebenso wie sie den sturen Faschismus mit fließenden Geschlechteridentitäten bekämpfen. Der letzte Satz des Filmes lautet. "Wir sind glücklich zusammen." Wer in der Kunst auf der Suche nach Glück und Schönheit ist, kann heute nicht nur die Sixtinische Kapelle oder die magische Vorhand von Roger Federer studieren, sondern auch diesen wunderschönen Film.

Diamantino, Portugal, Frankreich, Brasilien 2018. - Regie und Buch: Gabriel Abrantes, Daniel Schmidt. Kamera: Charles Ackley Anderson. Mit Carloto Cotta, Cleo Tavares, Anabela Moreia. Drop Out Cinema, 96 Min.

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SZ vom 03.06.2019
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