Film:Der Meister des Augenblicks

Michael Ballhaus

Einer der besten Kameramänner der Welt: Michael Ballhaus (1935 - 2017).

(Foto: dpa)

Er drehte mit Fassbinder, Scorsese, Coppola: Der grandiose Kameramann Michael Ballhaus ist tot. Er war einer der wenigen deutschen Künstler, die in Hollywood Karriere machten.

Nachruf von David Steinitz

Wie der Alltag in Hollywood jenseits des Glamours in der schnöden Praxis funktionierte, davon konnte kaum jemand so pointiert erzählen wie Michael Ballhaus. Zum Beispiel beim Treffen in der Münchner Filmhochschule vor wenigen Jahren, wo er bis zuletzt Kameraseminare gab, weil der Nachwuchs ihm auch im fortgeschrittenen Alter so am Herzen lag. Da saß er dann mit verschränkten Händen über dem Bauch und Märchenonkelgrinsen in seinem Büro mit Blick auf die Pinakothek gegenüber und berichtete, dass man einfach Geduld haben müsse, wenn ein manisch-depressives Genie wie Francis Ford Coppola, mit dem er Anfang der Neunziger "Dracula" drehte, das ganze Team mit seinen Gemütsschwankungen malträtiere. "Nach ein paar Tagen hat er wieder seine Pillen genommen und wir haben noch mal von vorn angefangen." Aber wenn einer auf die komplizierten Regisseure vorbereitet war, dann er.

In seinen Anfängen in Deutschland, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, war er der Stammkameramann von Rainer Werner Fassbinder, der oft genug gar nicht erst am Set erschien und voll auf seinem Bildregisseur vertraute, dass er die Szenen schon in den Kasten bekommen würde. Ihre erste Zusammenarbeit war das Südstaaten-Melodram "Whity", 1970, aber sein Markenzeichen als Bildkünstler entwickelte er erst etwas später. Für die wilde Sadomaso-Geschichte zwischen Margit Carstensen und Karlheinz Böhm in "Martha", 1974, filmte er die Hauptdarsteller erstmals mit einer 360-Grad-Kamerafahrt um sie herum, ein einziger fließender Take, eine Technik, die bald der "Ballhaus-Kreisel" genannt wurde.

Michael Ballhaus wurde am 5. August 1935 in Berlin geboren, seine Eltern waren Theatermenschen durch und durch. Über das Theater kam er zum Film, sah dem großen Max Ophüls bei den Dreharbeiten zu "Lola Montez" über die Schulter, machte eine Fotografenausbildung und wurde beim Südwestfunk in Baden-Baden Kamera-Assistent. Ein Learning-by-doing-Prozess war das, eine richtige Kameraausbildung an einer Filmhochschule gab es noch nicht, ein Grund, warum ihm die Lehre später auch so wichtig wurde.

Nach über einem Dutzend Filmen mit Fassbinder ging er in die USA und musste sich den großen Ruf, den er sich in Deutschland längst erarbeitet hatte, neu verdienen, mit Jobs bei kleinen Independent-Produktionen. Schon diese würdigten im Vorspann seine Arbeit viel besser, als es der hemdsärmelige deutsche Begriff des Kameramanns tat. Ballhaus war jetzt ein "director of photography", ein Regisseur der Bilder und der Lichtsetzung. In der amerikanischen Filmindustrie ist der Kameramann mit deutlich mehr künstlerischen Freiheiten als in Europa ausgestattet, wo der Autorenfilm alle Mitarbeiter des Regisseurs eher zu Handlangern degradiert.

Der Kameramann war am grünen Star erkrankt

Und die Ressourcen, auf die er nun zurückgreifen konnte, waren natürlich viel üppiger als in Deutschland. Noch letztes Jahr, als Ballhaus auf der Berlinale den Goldenen Ehren-Bären für sein Lebenswerk verliehen bekam, ging er in den Keller und suchte für die SZ den Beweis dafür heraus: einen mit Schreibmaschine geschriebenen und mit Kaffeeflecken verschmierten DIN-A-4-Zettel, auf dem er 1970 sein Equipment für den Fassbinder-Film "Warnung vor einer heiligen Nutte" aufgelistet hatte. Eine lächerlich kurze Liste war das, verglichen mit den Ausstattungsorgien der Amerikaner. Aber er hob sie auf, um sich selbst daran zu erinnern, mit welch kleinen Mitteln man großes Kino machen kann, wenn es sein muss, und wenn man es denn kann. Dieses Arbeitsethos kam ihm in den USA zugute, wo seine Produktionen bald Millionenbudgets kosteten. Martin Scorsese wurde auf den Mann aus Deutschland mit dem perfekten Blick für Licht und Schatten und vor allem das somnambule Zwielicht dazwischen aufmerksam, und nahm ihn Mitte der Achtziger mit "Die Zeit nach Mitternacht" in den Kreis seiner Stammkünstler auf. Gemeinsam drehten sie "Die Farbe des Geldes", "Die letzte Versuchung Christi", "Good Fellas" und später "Departed - Unter Feinden". "Ich habe die Arbeit mit Marty geliebt", sagte Ballhaus beim Treffen in München, "nur manchmal habe ich ihn gefragt, ob die Filme denn wirklich so brutal sein müssen, all das Blut..." Für den Scorsese-Film "Gangs of New York" wurde Michael Ballhaus für den Oscar nominiert, für seine Arbeit bei den "Fabelhaften Baker Boys", inszeniert gemeinsam mit Regisseur Steve Kloves, ebenfalls. Wie einst bei Fassbinder in den Hinterhöfen Nachkriegsdeutschlands ließ er hier seine Kamera um Michelle Pfeiffer und Jeff Bridges kreisen, nur diesmal im schummrigen Licht einer Bar, in der sie im roten Kleid auf dem Flügel lag und sang. Vor gut zehn Jahren hatte er die Schnauze voll vom Hollywoodbetrieb. Sein letzter großer Film in Amerika war das Gangsterdrama "Departed", aber die Arbeit, die für einen Kameramann auch körperlich immer hart und anstrengend ist, wurde ihm langsam zu viel. Außerdem wurde das gute alte Hollywood an der Westküste immer mehr von den bilanzfixierten Geldgebern an der Ostküste regiert, die Freiheiten, die das gelobte Filmland ihm so lange gewährt hatte, wurden zu wenig, um sich diesen Stress weiterhin anzutun. Die lang erträumte Spielfilmbiografie über Frank Sinatra, die Scorsese und er schon seit langem geplant hatten, sagte er ab, und der treue Regisseur hat sie bis heute nicht gedreht, ohne seinen Buddy Michael. Ballhaus kehrte nach Deutschland zurück und drehte mit seiner zweiten Frau, der Regisseurin Sherry Hormann, das Natascha-Kampusch-Drama "3096 Tage". Ein klaustrophobischer Albtraum, aber ein Herzensprojekt, um so mehr, als Ballhaus bei den Dreharbeiten bereits am Grünen Star erkrankt war. Ausgerechnet er, der Mann, dessen wichtigstes Werkzeug die Augen waren, der Robert De Niro und Leonardo DiCaprio, Winona Ryder und Jack Nicholson für immer auf der Leinwand verewigt hatte, wurde langsam blind. Aber die Bilder, die er über die Jahrzehnte geschaffen hat, gehören für immer zur Geschichte des Kinos wie nur wenige andere. In der Nacht zum Mittwoch ist Michael Ballhaus im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben.

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