Kino: Matt Reeves' "Cloverfield":Godzilla wohnt nicht mehr hier

Kein Katastrophenfilm kommt mehr am Datum 11.9.2001 vorbei: In "Cloverfield" wird Godzillas Nachfolger weder grottenschlecht musealisiert noch belanglos modernisiert.

Burkhard Müller

Dieser Monsterfilm unterscheidet sich von anderen dadurch, dass er die notwendigen Grausamkeiten zu Anfang begeht - am Zuschauer jedenfalls. Fast eine halbe Stunde, ein rundes Drittel seiner Dauer, beschäftigt sich der insgesamt gar nicht so lange "Cloverfield" mit nichts als einer New Yorker Yuppie-Party, deren einziges Merkmal ihre vollkommene Ödigkeit ist.

Kino: Matt Reeves' "Cloverfield": Es sollte eine gesellige Party werden: Doch ein zorniger Überraschungsgast funkte dazwischen.

Es sollte eine gesellige Party werden: Doch ein zorniger Überraschungsgast funkte dazwischen.

(Foto: Foto: dpa)

Nach etwa zehn Minuten hat man es, selbst genretypische Vorläufe eingerechnet, so ziemlich satt. Aber bald begreift man, was hier gespielt wird. Man soll sich an eine bestimmte Art zu schauen gewöhnen, zunächst am harmlosen Objekt, eine Art Trockenschwimmübung, ehe man von einer Riesenhand ins tiefe Wasser gestoßen wird.

Turnend im Wolkenkratzer

Also folgt man dem fahrigen Herumgehüpfe der in der Hand gehaltenen, mobiltelefongroßen Zwergkamera, die ohne jede Prätention von Regie (dies eben wird von der Regie prätendiert) unterschiedslos das Gerede lauter schöner hohler Menschen festhält. Nicht einmal wenn man ihnen die Pistole, sprich die Kamera, auf die Brust setzt mit der expliziten Forderung, sie sollten für ihren Freund Rob, der nach Japan geht, ein paar liebe- und bedeutungsvolle Worte sprechen, kommt mehr heraus als schabloniertes Geschwätz. Es ist eine Qual zu sehen wie zu hören. Dem Chronisten Hud ist sein Amt offenbar zugefallen, weil man einen Dummen gesucht und gefunden hat.

Nach dieser Ouvertüre hat man die Prinzipien eines solchen Blicks in sich aufgenommen: Erstens, die Kamera wird von ihrem Feldherrnhügel heruntergeholt und kämpft als gemeiner Soldat im Getümmel mit, was bedeutet, dass sie keine Ahnung von Zusammenhängen hat, die über ihre Nasenspitze hinausreichen. (Hier vor allem hat "Cloverfield" vom "Blair Witch Project" gelernt).

Es gibt eine ganze Sequenz, wo die Akteure durch das Treppenhaus eines sich neigenden Wolkenkratzers turnen und zudem noch in ihrer Panik die Kamera besonders wild herumschwenken, so dass zwei ineinander rotierende Systeme entstehen. Man weiß gar nicht, ob man den resultierenden Affekt als Schwindel oder als Seekrankheit bezeichnen soll, jedenfalls geht man körperlich gewaltig mit. Zweitens, es erwächst ein neues dokumentarisches Ethos des unbegrenzten Speicherplatzes.

Wenn es in dieser Welt noch ein Heldentum gibt, dann heißt es: Immer draufhalten, in guten wie in schlechten Zeiten, und in den allerschlechtesten erst recht. Zuweilen spritzt Blut auf die Linse und verschleiert sie; aber ihr Lid schließt sie nie. Abgesehen davon gilt, drittens: Das Konzept des Helden entfällt komplett.

Dies vor allem muss man als eine kühne und fruchtbare Neuerung bezeichnen, die mit einem Schlag das größte Handicap des Genres auflöst: Dessen Protagonisten waren schon immer zur Zweitklassigkeit verdammt - neben der Tonnage des Hauptdarstellers und den technischen Tricks kommen die Menschlein nicht recht zum Zuge, speziell nicht ihre läppischen Liebesgeschichten.

Die überlebende Festplatte

"Cloverfield" stülpt diesen Befund um, er hat sich entschlossen, die Präsenz so vieler B-Darsteller mit nicht einem Star dazwischen als zentrales dramaturgisches Mittel zu nutzen. Dabei verfährt der Film völlig kaltschnäuzig; er gibt sich nicht die geringste Mühe, die Akteure dem Zuschauer auf dem Weg der Einfühlung und des Mitbangens nahezubringen. Dass es kein Happy-End gibt, hieße die Sache sehr schonend ausdrücken. Als wirklich stabil erweist sich nur die Festplatte der Handycam; diese wird jetzt - so die rahmende Fiktion - von offizieller Stelle ausgewertet.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, warum sich das Horror-Genre nach dem 11. September verändert hat.

Godzilla wohnt nicht mehr hier

Außer vom "Blair Witch Project" hat "Cloverfield" vor allem von Roland Emmerichs "Godzilla" aus dem Jahr 1999 gelernt: von dessen Fehlern nämlich. Emmerich hatte sich von der spätestens seit "Jurassic Park" ausgereiften Technik für die Animierung großer Echsen verleiten lassen, den guten alten Godzilla rundzuerneuern. Dieser lief noch in japanischen Filmen der Neunziger nach dem Prinzip der "Suitmation", wie der ursprüngliche Film von 1954 sie verwendet hatte, d.h. ein Mensch stieg in einen Gummiharnisch und wurde dabei abgelichtet, wie er Modellbaulandschaften aus Märklinbahnen und Fallerhäuschen zerlegte.

Gefühle einer geschlagenen Gesellschaft

Ein wenig erinnerte dieses japanische Produkt von 1954 an seinen Zeitgenossen aus dem anderen Achsen- und Verliererland des Zweiten Weltkriegs, den deutschen VW Käfer mit Brezelfenster und Heckmotor. (Auch mit den gerundeten Formen seines nach heutigen Maßstäben allzu niedlichen Gesichts ähnelt Godzilla ihm.) Und wie dem Käfer wuchs dem aus Not und Niederlage geborenen Erzeugnis eine hartnäckige detailversessene Gemeinde zu, die jede technische Erneuerung blockierte. Emmerichs neues Design war mehr als ein Etikettenschwindel, das hieß freveln!

Und tatsächlich liegt hier wohl der Hauptgrund, dass man Emmerichs Film nicht wirklich gut nennen mag. Es ist oft gesagt worden, dass Godzilla nicht nur laut Skript, sondern auch im Geiste ein Kind der Atombombe sei. Mit deren Abwurf über Hiroshima und Nagasaki durfte und konnte sich das geschlagene Land nicht auseinandersetzen.

Aber ihm gelang der Akt der Verschiebung. Nicht wegen seines Plots und nicht wegen seiner handpuppennahen Ästhetik ist der Ur-Godzilla von 1954 ein großer Film, sondern weil er mit großem Ernst die Gefühle einer geschlagenen Gesellschaft ausdrückt und ihr die Würde zurückgibt. In Deutschland beklagte man damals die Unfähigkeit zu trauern; Japan fand in diesem Film sein Bild dafür.

Anrührendes Zeitzeugnis

Demgegenüber trug Emmerichs Film Züge einer grellen Willkür. Gerade die technische Perfektion, die das Monster eigentlich viel grässlicher machte als sein Urbild, schlug ins Harmlose einer Geisterbahn um. Bei Emmerich triumphierte die Freude am technisch Machbaren über den Horror - ein Schrecken, den man kontrolliert, ist keiner mehr. Dabei verfiel der Film rascher dem historischen Verschleiß, als er wohl gedacht hatte.

Emmerichs Godzilla brettert durch ein New York, in dem die Türme des World Trade Center noch stehen. Wie fragil sehen sie aus! (Merkwürdigerweise fallen nicht sie, sondern das Chrysler-Building der Verheerung zum Opfer.) Was damals unbedeutende Einzelheit am Rande war, färbt heute das Ganze; es wandelt sich vom Horrorfilm zum anrührenden Zeitzeugnis, eine Mutation, die schwerlich in seiner Absicht lag.

Die Angst nach 9/11

Denn zwischen Emmerich und "Cloverfield" liegt 9/11. Kein metropolitaner Katastrophenfilm kommt mehr an diesem Datum vorbei; das Drehbuch im klassischen Sinn ist seither unmöglich geworden, wie das Schlachtengemälde im Zeitalter des technischen Krieges. Niemand glaubt mehr an eine gestaltbare Choreographie der Vernichtung, das zufällige, verwackelte Amateur-Video scheint allein angemessenes Bild dessen, was geschieht.

Produzent Abrams packt den Stier lieber gleich bei den Hörnern und lässt sich bis in die Details von der damals entstandenen und seither gültigen Ikonographie leiten: Staubwolken in den Straßenschluchten, massenweise herabsegelndes Büropapier, hustende, rennende Menschen. (Als machtvollen eigenen Beitrag darf man wohl den Kopf der Freiheitsstatue buchen, der quer übers Wasser geschleudert wird und auf der Straße liegenbleibt.)

So etwas kann natürlich leicht ins Auge gehen; es kann eine lahme Dublette draus werden, eine zynische Zweitverwertung oder ein Krampf der Überbietung. "Cloverfield" entgeht dank seiner schwer zu toppenden Kamera-Wackelei diesen Gefahren. In sie ist die Kontingenz der Historie eingesenkt; diese Kamera sieht nicht nur nicht voraus, was geschieht, sie sieht es nicht einmal, denn sie muss ständig vor den chaotischen Riesentrümmern in Deckung gehen.

Rechtmäßiger Nachfolger von Godzilla

Am allerwenigsten sichtbar wird das Monstrum selbst. Dass ein Monsterfilm mit dem Bild seines Hauptakteurs haushaltet, versteht sich. Aber dieses Ungeheuer ist so gewaltig und so von seinen Wirkungen verdeckt und verdreckt, dass es, wie ein Gott aus alter Zeit, bei aller schweren Körperlichkeit niemals Deutlichkeit erlangt; der Schrecken steckt zur Gänze darin, dass er sich stets nur in Teilen offenbart. (Dazu gehört auch, dass der Film die Frage, wo das Monster wohl herstammt, gar nicht erörtert.) Natürlich ist dieser Godzilla technisch noch weit perfekter als der Emmerichs; aber in seiner grandiosen, aufblitzenden Fragmenthaftigkeit knüpft er doch an die Unzulänglichkeiten seines Urahns aus dem Jahr 1954 an: insofern er der Phantasie noch was zu tun übriglässt.

Ja, dieser Godzilla ist rechtmäßig von Tokio nach New York versetzt worden. "Cloverfield" hat das Monster aus der Zwickmühle herausgeführt, entweder grottenschlecht musealisiert oder aber belanglos modernisiert zu werden. Dieser neueste Godzillafilm, als der wahre Erbe des alten, bietet in einer veränderten Lage und mit veränderten Mitteln Bilder für eine ähnliche Erfahrung: wie es ist, wenn die Menschheit die Kontrolle über ihr historisches Schicksal total verliert.

CLOVERFIELD, USA 2008 - Regie: Matt Reeves. Buch: Drew Goddard. Kamera: Michael Bonvillain. Produzent: J. J. Abrams, Bryan Burk. Mit Lizzy Caplan, Jessica Lucas, T. J. Miller, Michael Stahl-David. Universal, 84 Min.

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