Süddeutsche Zeitung

Kino:Luftig, witzig, wenig damenhaft

Roger Michells unterhaltsame Doku "Tea with the Dames" versammelt vier geadelte Ikonen britischer Schauspielkunst: Eileen Atkins, Judi Dench, Joan Plowright und Maggie Smith.

Von Martina Knoben

Dokumentarfilme galten einmal als Graubrot des Kinos. Was für ein Irrtum! "Tea with the Dames" ist das beste Gegenbeispiel - der Film ist nicht nur äußerst unterhaltsam, geistreich und spritzig, er versammelt auch eine Star-Power, die ihresgleichen sucht. Mit Eileen Atkins, Judi Dench, Joan Plowright und Maggie Smith stehen vier Darstellerinnen vor der Kamera, die für ihre Verdienste um die Schauspielkunst von der Queen sogar geadelt wurden. "Dame" bezeichnet hier nicht unbedingt eine Dame, sondern ist die weibliche Entsprechung zum Ritter.

Wie amüsant und liebenswert britischer Eigensinn doch sein kann!

Dame Atkins, Dame Dench, Dame Plowright und Dame Smith sind seit Jahrzehnten befreundet und treffen sich immer wieder zum Tee. Roger Michell, wie die Ladys sowohl Theater- wie auch Filmprofi, Regisseur unter anderem von "Jane Austens Verführung", 1996, oder "Notting Hill", 1999, durfte bei einem dieser Treffen dabei sein. Vor - und vor allem auch für - die Kamera plaudern und diskutieren die Schauspielerinnen über ihre Karrieren, ihre Männer, Kunst und Handwerk der Menschendarstellung und auch über das Älterwerden. Es ist ein Redefest! Inmitten des Brexit-Chaos ist der Film auch eine Erinnerung daran, wie amüsant und liebenswert britischer Eigensinn sein kann.

Das Treffen findet im Haus von Joan Plowright statt, einem beneidenswert schönen, von maigrünem britischen Rasen umgebenen Cottage, das sie mit ihrem verstorbenen Mann Laurence Olivier kaufte. Am Anfang ist zu sehen, wie die Schauspielerinnen geschminkt, frisiert und von Michell um einen runden, weißen Gartentisch in Szene gesetzt werden. Überrumpeltes Leben, das macht dieser Auftakt klar, gibt es in diesem Dokumentarfilm eher nicht. Das wäre auch nur schwer möglich bei so professionellen Darstellerinnen. Und es wäre auch nicht wünschenswert: "Tea with the Dames" lebt von der Improvisation, den spontanen Kommentaren dieser temperamentvollen Frauen, ebenso wie von ihrer Sprech- und Darstellungskunst, die natürlich auch eine Kunst der Selbstdarstellung ist.

Das Thema "Authentizität", das seit geraumer Zeit nicht nur die Künste mächtig beschäftigt, wird von Michell ausdrücklich angesprochen: Was halten die Schauspielerinnen davon, dass heutzutage auch auf der Bühne häufig der Eindruck von "Natürlichkeit" angestrebt wird? Soll oder darf man Shakespeare-Texte mit scheinbar spontanen "Ähs" und "Hms" anreichern? Joan Plowrights Haltung ist unmissverständlich: "Soll man etwas zu sich herunterziehen, statt sich ihm nach oben entgegenzustrecken?!"

Wie von selbst zeigen sich die unterschiedlichen Charaktere und Temperamente der Frauen. Keine war eine klassische Schönheit, als sie sich für den Beruf der Schauspielerin entschied, aber alle hatten Talent und Charisma. Viele der Anekdoten aus ihrem Berufs- und Privatleben sind amüsant, etwa wenn Judi Dench erzählt, wie sie und ihre Kolleginnen auf Tournee, wenn ein Vermieter nicht nett war, vor dem Ausziehen einen Räucherfisch unter den Tisch des Pensionszimmers nagelten. Dass "Tea with the Dames" insgesamt herrlich luftig wirkt, liegt an den Frauen selbst, die oft wenig damenhaft, mit viel Witz, Selbstironie und Selbstreflexion von sich und ihrem Gewerbe erzählen. Und es liegt an Michells Inszenierung, der beweglichen Kamera, dem leichten, flotten Schnitt und der Musik, die beiläufige Zufälligkeit suggeriert - voller Respekt für diese Frauen, aber ohne Ehrfurcht vor ihrer Berühmtheit. Das leichte Fach ist im Theater wie im Kino immer wieder eine Kunst.

Zu den flüchtigen, schönen Illusionen zählt die Doku die Künste - und das Leben

Joan Plowright, Jahrgang 1929, ist die Älteste in diesem Quartett und mittlerweile erblindet, schwerhörig und gehbehindert. Die anderen drei wurden 1934 geboren, auch sie kennen die kleinen Wehwehchen und großen Einschränkungen des Alters. Von Hörgeräten, schlechten Augen und falschen Zähnen ist ebenso die Rede wie von einer Begegnung mit einem Rettungssanitäter, die Dame Dench gar nicht lustig fand: "Wie heißen wir denn?", wurde sie nach einem kleineren Unfall gefragt. Und: "Haben wir einen Betreuer?".

Alle vier Schauspielerinnen kommen vom Theater, haben später aber auch beim Film gespielt. Ihre Rollen und Auszeichnungen aufzulisten, würde Seiten füllen. Archivfotos und Filmaufnahmen ihrer Auftritte illustrieren Stationen ihrer Karriere. Auch im Alter waren und sind sie noch gefragt - Judi Dench etwa spielte James Bonds Spionagechefin "M", Maggie Smith in den Harry-Potter-Filmen Professor McGonagall. Vor allem aus den Anfangsjahren der Schauspielerinnen sind teils herrliche Fundstücke zu sehen, die das Charisma und die Schauspielkunst der Darstellerinnen vermitteln und auch von der Schönheit der Jugend erzählen.

"Tea with the Dames" ist eine Feier der flüchtigen, vergänglichen, schönen Illusionen, zu denen der Film, das Theater und das Kino zählt - aber auch das Leben.

Tea with the Dames, GB 2018 - Regie: Roger Michell. Kamera: Eben Bolter. Schnitt: Joanna Crickmay. Mit: Eileen Atkins, Judi Dench, Joan Plowright, Maggie Smith. Verleih: KSM, 84 Minuten.

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SZ vom 30.04.2019
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