Kino "Land of Plenty":Es gibt kein Licht in der Hauptstadt des Hungers

Nach dem Traum ist vor dem Traum - Wim Wenders' neuer Film erzählt eine Geschichte vom Misstrauen.

Von Susan Vahabzadeh

Leicht gemacht hat er es sich nicht; aber es sich leicht machen, das war vielleicht noch nie sein Ding. In Wim Wenders' "Land of Plenty" gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur, die Amerikanerin Lana (Michelle Williams) erzählt, wie es war, den 11. September in der Westbank zu erleben, wie schlimm es gewesen ist, dass Leute das für einen Grund zum Feiern gehalten haben, die eigentlich nur ganz normale Menschen waren.

Kino "Land of Plenty": John Diehl als Paul in "Land of Plenty".

John Diehl als Paul in "Land of Plenty".

(Foto: Foto: ddp)

Warum haben sie das dann getan, wird sie gefragt, und sie antwortet: Weil sie uns hassen. Es wäre nicht so schwierig, mit ihrer Wut umzugehen, wenn auch nur der leiseste Anflug davon in ihrer Stimme mitschwingen würde, als sie das sagt - aber sie ist traurig.

Wim Wenders hat, auf dem Höhepunkt der Irak-Krise, in jenem Moment, als das Verhältnis zwischen Old Europe und der Bush-Regierung auf dem Tiefpunkt angekommen war, beschlossen, eine Geschichte dagegen zu erzählen aus dem unsichtbaren Teil Amerikas - Los Angeles als Hauptstadt des Hungers, ein paranoider Vietnamveteran auf selbstgemachter Terroristenjagd, ein junges Mädchen, das glaubt, wer Gott sucht, müsste ihn auch finden.

Es sich und uns leicht zu machen war nicht Teil des Plans; er wollte, sagt Wenders, dasselbe Territorium von Täuschung, fehlgeleitetem Patriotismus, Desinformation und Manipulation erkunden wie Michael Moore - und er entwirft dabei ein ungleich komplexeres, traurig-schönes, unfassbares Bild. Eine Geschichte vom Misstrauen in das, was man zu sehen meint; die Beobachtungen, die Paul (John Diehl) auf Terroristensuche macht, sind falsch, aber das, was man am Anfang des Films in ihm zu sehen glaubt, stimmt auch nicht.

Lana sucht ihren Onkel Paul, der in einer zum Überwachungsmobil umgebauten Schrottkarre durch Los Angeles fährt und in jedem Turbanträger einen potenziellen Staatsfeind sieht. Sie möchte ihm einen Brief geben von ihrer Mutter, die nicht mehr lebt, und mit deren naiven, aufs Gute und Schöne gerichteten Weltbild sich Paul nie hat aussöhnen können, denn seines hat der Vietnamkrieg zerstört.

Es gibt kein Licht in der Hauptstadt des Hungers

Lanas Kontaktaufnahme löst erstmal einen neuen Schub an Verfolgungswahn aus - als er zu der Mission fährt, in der sie aushilft und wohnt, beobachtet er den Mord an einem arabisch aussehenden Obdachlosen, der ihm schon vorher aufgefallen ist. Beide wollen herausfinden, was passiert ist - Paul, weil er eine Verschwörung wittert, und Lana, weil sie hofft, dass sie irgendwo einen Menschen findet, der ihn geliebt hat und um ihn trauert.

Erkennen, was er nicht hat sehen wollen

Wenders und sein Kameramann Franz Lustig - der ganze Film ist digital gedreht, mit einer Handkamera - haben das sehr gut gemacht, der Weg durch die Straßen von Los Angeles, das bei Wenders auch schon in "Million Dollar Hotel" sehr kalt wirken konnte, durch ärmliche Wohngegenden und verkommene Gewerbegebiete führt Lana und Paul in die Wüste, und es ist ein bisschen so, als würde das gleißende Sonnenlicht Paul zwingen, zu erkennen, was er nicht hat sehen wollen. May the lights of the land of plenty shine on the truth someday...

Wenders hat den Titel bei Leonard Cohen ausgeliehen, und auch, wenn die Reise am Ground Zero endet, über dem Wenders die Wahrheit in den Himmel schrieb, ist damit nicht irgendein Faktum gemeint - die Wahrheit sind die Menschen, und die ganze Wahrheit wäre, wenn man alle gleichzeitig denken könnte. Und davon erzählt Wenders mit Wärme und Witz - man vergisst manchmal, wie komisch er sein kann -, und ohne je überheblich zu wirken; näher kommt man ans Gleichzeitigdenken vielleicht gar nicht heran.

Geschwindigkeit und die Reduktion aufs Wesentliche sind sicherlich keine maßgeblichen Gesetze im Wenders-Universum - man muss sich einfach von ihm an der Hand nehmen lassen und zwei Stunden lang die Welt mit seinen Augen sehen. Seine Fähigkeit, in den Menschen und der Welt um sie herum - vielleicht nicht in jedem Augenblick, aber in Momenten der Ruhe - Zauber und Schönheit zu entdecken, ist unvergleichlich und unzerstörbar.

Und überhaupt: Die unfassbaren Bilder sind die einzigen, denen man trauen darf, auch wenn man jedesmal etwas anderes entdeckt, wenn man sich in ihnen umsieht.

LAND OF PLENTY, USA/D 2004 - Regie: Wim Wenders. Buch: Wenders, Michael Meredith. Kamera: Franz Lustig. Schnitt: Moritz Laube. Mit: Michelle Williams, John Diehl, Wendell Pierce. Reverse Angle, 114 Minuten.

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