Süddeutsche Zeitung

Kathryn Bigelow:Die Kämpferin

Sie weiß, wie man aneckt, wie man scheitert und wie man sich wieder nach oben kämpft. Dafür wurde sie als erste Frau mit dem Oscar für die beste Regie ausgezeichnet. Am Samstag wird die Filmveteranin Kathryn Bigelow 70 Jahre alt.

Von Nicolas Freund

Es lief nicht immer so gut für die erste Frau, die einen Regie-Oscar gewonnen hat. 2002 hatte Kathryn Bigelow mit dem U-Boot-Film "K-19 - Showdown in der Tiefe" 30 Millionen Dollar versenkt. Trotz Harrison Ford und Liam Neeson in den Hauptrollen. Auch ihre beiden vorherigen Filme, der Mystery-Thriller "Das Gewicht des Wassers" (2000) und der Science-Fiction-Film "Strange Days" (1995) waren gefloppt und hatten nicht einmal ihre Produktionskosten eingespielt. Die Filmbranche verzeiht einiges, aber nach drei Flops in Folge wird es für jeden Regisseur schwierig, noch einmal Geld für einen Film aufzutreiben. Viele machen nach so einer Reihe von Niederlagen gar nichts mehr. Kathryn Bigelow aber machte "Tödliches Kommando - The Hurt Locker".

Sergeant First Class William James (Jeremy Renner) entschärft im Irakkrieg Bomben für die amerikanische Armee, und der Film macht unmissverständlich klar, warum er sich einen solchen irren Job antut: Er findet es einfach geil. Die Unsicherheit, die Anspannung, die ständige Lebensgefahr, wenn er im Staub der Straßen Bagdads über selbstgebauten Sprengsätzen grübelt, als wären sie ein Kreuzworträtsel. Wenn sich alles auf diesen einen Moment konzentriert, in dem es um Leben und Tod geht. Gegen einen solchen Einsatz verblassen die Familie zu Hause und die Kameraden in der Sicherheit der Kaserne. Nur der nächste Einsatz bringt noch so etwas wie ein Gefühl von Leben.

"The Hurt Locker" ist eine Charakterstudie, die tief in das Herz Amerikas führt

In diese Figur lässt sich leicht eine Metapher auf die damals ständigen Interventionen der USA in aller Welt lesen. "Krieg ist eine Droge", ist diesem atemlosen Trip als Motto vorangestellt. Bigelow urteilt aber nicht in dem Film, der oft wie eine Dokumentation wirkt, gedreht mit wackligen Handkameras und körnigen Bildern, natürlich mit echtem Militärgerät und bei mehr als 50 Grad in der jordanischen Wüste. Ein wahres Stahlgewitter, unterbrochen immer wieder von kleinen, fast poetischen Momenten. "The Hurt Locker" hat kaum eine nennenswerte Handlung. Es ist eher eine Folge von Szenen, die amerikanische Soldaten bei ihrer Arbeit zeigen. Bei den Dingen, die man sehen, und bei denen, die man nicht sehen will. Die Soldaten sind weder Helden noch Verbrecher, sondern einfach Menschen.

Bevor sie an der Columbia University einen Master in Film machte, war Bigelow in den Siebzigerjahren mit einem Stipendium aus Kalifornien nach New York gekommen, um Kunst zu studieren, und diesen Blick merkt man selbst noch, wenn sie schwitzende, dreckige Soldaten inszeniert.

"The Hurt Locker" ist kein Antikriegsfilm und auch kein Propagandafilm. Es ist eine Charakterstudie, die tief in das Herz Amerikas führt. Dafür wurde Bigelow 2010 mit dem Oscar für die beste Regie ausgezeichnet, als erste Frau überhaupt. Sie setze sich in diesem Jahr unter anderen gegen Quentin Tarantino und ihren Ex-Mann James Cameron durch. "The Hurt Locker" gewann insgesamt sechs Oscars, darunter auch Bester Film und Bestes Drehbuch. Bigelow hatte sich von den Flops befreit. Mehr als das.

Es folgten "Zero Dark Thirty" (2013) über die Jagd auf Osama bin Laden und "Detroit" (2017) über eine rassistische Polizeirazzia. Beide Filme brachten ihr viel Kritik ein. Sie vermische in "Detroit" nachgestellte Szenen mit historischen Aufnahmen, hieß es, und habe sich die Perspektive der Schwarzen unrechtmäßig angeeignet. Der Philosoph Slavoj Žižek warf ihr vor, die realistische und betont neutrale Darstellung von Waterboarding in "Zero Dark Thirty" würde Folter legitimieren. Auch einige amerikanische Senatoren schalteten sich ein, Folter habe keine Hinweise auf das Versteck bin Ladens gebracht. Bigelows langjähriger Drehbuchautor, der Kriegsreporter Mark Boal, sah das wohl anders, und auch die Regisseurin selbst argumentierte in der Los Angeles Times, das Waterboarding sei ein Teil der Geschichte, den sie nicht ignorieren konnte. Das heiße noch lange nicht, dass sie diese Methoden rechtfertige.

Dass Bigelows Filme immer wieder solche Diskussionen anstoßen, zeigt, wie sie arbeitet. Denn schon vor dem Oscarerfolg waren ihre Filme oft ganz nah am Zeitgeschehen oder ihrer Zeit sogar voraus. Nicht immer im politischen Bereich. In "Gefährliche Brandung" (1991) verhalf sie Keanu Reeves zum Durchbruch und erfand auch noch so etwas wie ein neues Filmgenre: den Surf-Thriller. "Strange Days" beginnt mit einer mehrminütigen Verfolgungsjagd, ganz ohne Schnitt, gefilmt aus der Sicht eines Verbrechers. Für diese Sequenz entwickelten Bigelow und ihr Team eine eigene Kamera. Heute setzen viele Filmemacher solche aufwendigen Sequenzen ein, damals war das absolute Avantgarde. Und als eine der wenigen Frauen drehte sie schon vor Jahrzehnten selbstverständlich Horror-, Action- und Science-Fiction-Filme.

Im nach wie vor sexistischen Filmbetrieb eckt eine erfolgreiche Frau wie Bigelow vermutlich schon deshalb an, weil sie eben eine erfolgreiche Frau ist. Vielleicht provozieren gerade ihre letzten Filme aber auch eine so heftige Gegenreaktion, weil sie Polizisten und Soldaten zeigen, die rassistisch sind, die Fehler machen, die rücksichtlos handeln; weil sie Gewalt darstellen, ohne zu verharmlosen; weil sie das oft glorifizierte Soldatentum und Militärgerät ausführlich vorführen, ohne einzuordnen; weil sie eine Wirklichkeit zeigen, die sonst gerne ausgeblendet wird.

Die Zusammenhänge muss der Zuschauer dabei oft selbst herstellen, und die Bilder, die Bigelow anbietet, sind oft auf mehrere Arten lesbar. Ist "Zero Dark Thirty" nicht auch als Frage zu verstehen, ob die Tötung bin Ladens im Nachhinein die brutalen Foltermethoden der amerikanischen Geheimdienste rechtfertigt? Kathryn Bigelow ist mit der schonungslosen Ehrlichkeit ihrer Filme die große Dokumentarin der Konflikte unserer Gegenwart. Am Samstag wird sie 70 Jahre alt.

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