Süddeutsche Zeitung

Kino:Im Schatten

David Gordon Greens salakonischer Film "Stronger" über Jeff Bauman, der beim Marathon-Bombenanschlag im Jahr 2013 in Boston beide Beine verlor.

Von Fritz Göttler

Auch Oprah will kommen, will den Überlebenden aufsuchen für ihre TV-Show. Die Mutter ist voll aus dem Häuschen, sie möchte, gemeinsam mit vielen anderen, einen Helden aus ihrem Sohn machen. Bei einem Eishockeyspiel der Boston Bruins hatte der tapfer die amerikanische Flagge geschwenkt, im Rollstuhl. Jetzt wird ihm der ganze Rummel zu viel.

Der Sohn ist Jeff Bauman, er war eines der Opfer beim Anschlag auf den Boston-Marathon. Am 15. April 2013 steht er im Zielbereich - wie er es seiner Freundin Erin versprochen hat, die den Marathon mitläuft -, als die Bomben explodieren. Er wird ins Krankenhaus gebracht, es gab eine Explosion, erzählt ihm dort ein Pfleger, "und deine Beine ... they're gone, bro."

So lakonisch ist der Ton dieses Films, in dem sich Zärtlichkeit und Unerbittlichkeit verschmolzen haben. Er ist zum großen Teil on location gedreht, in Jeffs Wohnung, in den Kneipen und Krankenhäusern, mit den wirklichen Ärzten und Pflegern und Therapeuten. Am liebsten hätte Regisseur David Gordon Green auf 16mm gedreht, aber das hätte mehr und kompliziertes Licht an den Sets erfordert. So konnte er auf Scheinwerfer in den Innenräumen verzichten, keine Kabel am Set, das gibt den Akteuren Bewegungsraum. Das Licht kommt von draußen, durch die Fenster. Vor den Dreharbeiten hat David Gordon Green sich mit den Akteuren, - darunter Jake Gyllenhaal als Jeff, Tatiana Maslany als Erin -, und Mitarbeitern zusammengesetzt und mit ihnen den Film und die Dreharbeit durchgesprochen.

Das Heldenlied, das in seiner Geschichte angelegt wäre, ist der Film dadurch nicht geworden. Amerika ist stark, klingt es in diversen Szenen, mutmacherisch, pompös. Was man sieht im Film, ist: wie Amerika seine Stärke zeigen muss, immer wieder, immer aufs Neue, immer heftiger. Dröhnend wird das "Star-Spangled Banner" gesungen.

Jeff muss durch die schmerzhaftesten Phasen der Genesung, der Heilung - wenn die Verbände erstmals abgenommen werden, um die Nahtstellen an den Schenkeln zu säubern, wenn er sich erstmals zum Stehen aufrichtet an den neuen Prothesen, wenn er die ersten Schritte macht. Tatiana Maslany ist toll, wie sie ihn, bei aller Skepsis, dabei stützt. Wenn er ins Stadion geschoben wird, kauert er sich verloren in seinen Rollstuhl, er duckt sich weg und streckt zugleich, ein wenig verschämt, den Daumen oder die Arme zum Siegeszeichen hoch. Er spielt die Helden-Rolle, die ihm zugedacht ist, und in diesem Moment blendet der Film die beiden gegenläufigen Bewegungen, Kontraktion und Expansion, ineinander. Immer wieder, immer stärker aber wird Jeff von Müdigkeit überwältigt, von Selbstzweifel, Mutlosigkeit, Erschöpfung, Alkohol. Er verkriecht sich ins Dunkel, in die Badewanne, wo es einen Rest Geborgenheit gibt.

Das individuelle Drama interessiert David Gordon Green nicht so sehr, und auch Jake Gyllenhaal nicht (obwohl er manchmal dem Mythos des Method acting nachzutrauern scheint). Ihr Film ist spröder, rauer, grimmiger als die Heldenlieder sonst. Ein Film der Mittelschicht, in die David Gordon Green gern eintaucht. "Ich verliere mich in meinen Projekten" sagt er, "ich versuche, meinen Namen zu verlieren und meine eigene Identität und anonym an ein Projekt heranzugehen." Vielleicht ist solche Anonymität das Paradox des amerikanischen Autorenkinos. David Gordon Green macht die unterschiedlichsten Filme, aber ein Grundton schließt sie zusammen - die Kifferklamotte "Ananas Express", das Männer-auf-Mission-Melodram "Captain Avalanche", und jetzt "Stronger". Sein neuestes Projekt ist ein Remake des Horrorklassikers "Halloween", zu dem er mit seinem Freund Danny McBride das Drehbuch schrieb.

Es gibt Ereignis-Filme und Schatten-Filme, sagt David Gordon Green lakonisch. "Stronger" geht über die Schatten eines Ereignisses. Oprah kommt dann doch nicht zu Besuch.

Stronger, USA 2017 - Regie: David Gordon Green. Buch: John Pollono. Nach dem Buch "Stronger" von Jeff Bauman und Bret Witter. Kamera: Sean Bobbitt. Schnitt: Dylan Tichenor. Musik: Michael Brook. Mit: Jake Gyllenhaal, Tatiana Maslany, Miranda Richardson, Clancy Brown. Studiocanal, 119 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2018
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