Kino im Kommunismus:Als Stalin John Wayne töten lassen wollte

Während Hitler seine Hündin wie Zarah Leander bellen lehrte, galt die Hassliebe des Sowjet-Diktators den Stars aus Hollywood.

Rudolph Chimelli

"Und nur im Kreml drüben ist noch Licht" dichtete einst hymnisch der deutsche Exil-Kommunist Erich Weinert für Josef Stalin, den er bei einsamer Arbeit wähnte, damit das Land ruhig schlafen sollte.

Heute weiß man es besser. Es war nicht Stalins Schreibtischlampe, die da brannte, es war der Projektor seines Heimkinos. Denn der Sowjetführer war ein fanatischer Filmliebhaber.

Aus Politbüro-Archiven und seinen persönlichen Papieren, die inzwischen ebenfalls zum Teil verfügbar sind, geht hervor, was er unter einem geglückten Abend verstand: Wenn die Politik erledigt war, schritt er zusammen mit KGB-Chef Lawrentij Berija, Außenminister Wjatscheslaw Molotow und dem Kulturpapst des Sozialistischen Realismus, Andrej Schdanow, durch die langen Kreml-Korridore ins Kino. Ein spätes Abendessen, reichlich begossen, kam danach.

Film-Minister in latenter Panik

"Was wird uns Genosse Bolschakow heute zeigen?" fragte der Diktator, während er sich in der ersten Reihe niederließ. Der Film-Minister war in latenter Panik.

Nur wenn Stalin gut gelaunt war, konnte er einen neuen Sowjetfilm riskieren: Der Chef war oberster Filmproduzent, Drehbuchautor, Regisseur und vor allem Zensor. Er änderte Filmtitel, Szenarios, Dialoge oder schrieb manchmal sogar selber Texte.

Für ein Lied der Musik-Komödie "Wolga, Wolga", einen seiner Lieblingsfilme, verfasste er 1938 handschriftlich die (auf Russisch) gereimten Worte: "Ein fröhliches Lied tut dem Herzen gut, es wird dir nie zu viel. Alle Dörfer, groß und klein, lieben diese Melodie, und die Städte singen sie!"

Stalin war begeistert von Filmen mit Jazzmusik. Während der dreißiger Jahre ließ er neben "Wolga-Wolga" noch drei weitere Produktionen dieser Art in Auftrag geben. Nachdem er die erste - "Lustige Burschen" von Grigorij Alexandrow - gesehen hatte, bestellte er den Regisseur zu sich, um ihn zu loben: "Ich fühle mich, als hätte ich einen Monat Ferien gehabt!"

Dann wandte er sich an seine Umgebung und scherzte: "Nehmen Sie ihm die Sache aus der Hand. Sonst wird er sie noch verpfuschen."

Kam allerdings der sowjetische Diktator selber in einem Film vor, war er besonders misstrauisch. Er überwachte Alexej Kapler, den Drehbuchautor von "Lenin 1918", und ließ ihn verhaften, als sich seine Tochter Swetlana in den Schreiber verliebte. Sogar Sergej Eisenstein stand seit seinem Triumph "Panzerkreuzer Potemkin" bei Stalin im Verdacht, er sei "ein Trotzkist, wenn nicht Schlimmeres".

Als Stalin John Wayne töten lassen wollte

"Betreiben Sie ein Bordell?"

ZK-Präsidiumsmitglied Lasar Kaganowitsch (der Mann, der 1931 für die Sprengung der Moskauer Erlöserkathedrale sorgte und den der Sowjetführer spaßhaft "meinen Himmler" nannte) wollte Eisenstein erschießen lassen. Doch Stalin schützte den Regisseur als "sehr talentiert"- und gedachte das propagandistisch zu nutzen.

Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs ließ er Eisenstein das nationale Epos "Alexander Newski" drehen, in dem Karikaturen Deutscher Ordensritter von russischen Patrioten vernichtend geschlagen werden. Während des Krieges musste der widerstrebende Eisenstein einen idealisierten "Iwan"-Film anfertigen, in dem der Schreckens-Zar dem Sowjetführer viel ähnlicher war als sich selber.

"Betreiben Sie ein Bordell, Bolschakow?" fragte der prüde Diktator seinen Minister, als in einem sowjetischen Film eine nackte Tänzerin über die Leinwand huschte. Und verließ wütend die Vorstellung.

Wegen eines innigen Kusses, der ihm zu lange dauerte, waren danach Küsse im russischen Kino für längere Zeit generell verpönt.

Es konnte gefährlich sein, im Sowjet-Film zu glänzen. Eine der beliebtesten Schauspielerinnen der Zeit, Soja Fjodorowa, hatte eine leidenschaftliche Affäre mit dem Amerikaner Jackson Tate, Marine-Attaché an der Moskauer Botschaft der damaligen Verbündeten. Der unansehnliche KGB-Chef Berija war bei ihr abgeblitzt.

Auf einem Empfang näherte sich Berija dem amerikanischen Offizier und fragte ihn tückisch lächelnd: "Unsere Schauspielerinnen gefallen Ihnen?" Tate musste die UdSSR verlassen. Soja Fjodorowa verschwand für acht Jahre im Gulag. Die gemeinsame Tochter Viktoria war kaum ein Jahr alt.

Der Diktator verlangte Tarzan

War Stalin schlecht gelaunt, tat Film-Minister Bolschakow gut daran, ein ausländisches Werk zu vorzuführen. Stalin mochte zum Beispiel Chaplin, aber er liebte auch die Gangsterfilme aus Hollywood. Zu Winston Churchill spottete er einmal über Molotow: "Der wäre in Chicago gut aufgehoben, mit dem Rest seiner Bande."

Wiederholt verlangte der Diktator nach "Tarzan" mit Johnny Weissmüller und dessen Schimpansen. Zu seinen Favoriten gehörten auch Clark Gable und Spencer Tracy. Westernfilme missbilligte Stalin aus ideologischen Gründen, aber das hinderte ihn nicht, sie immer wieder zu bestellen. John Wayne bewunderte er als einsamen, kompromisslosen Helden.

Nur eben anders als Eisensteins Talent ließ sich John Waynes Schauspielkunst nicht für die sowjetische Propaganda ausbeuten. Im Gegenteil: Stalin hielt Waynes militanten Antikommunismus für ansteckend und so gefährlich, dass er den Befehl gab, den amerikanischen Star zu ermorden.

Stalins "wahnsinnige Jahre"

Angeblich sind daraufhin zwei Killer nach Hollywood geschickt worden. Doch John Wayne hatte Glück: Kurz bevor der Mordauftrag ausgeführt werden konnte, starb Josef Stalin - nachdem er sich am Abend vor seinem Schlaganfall noch einen letzten Film angeschaut hatte.

Der Anschlag auf John Wayne, berichtete später Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow, "war eine Entscheidung aus Stalins wahnsinnigen Jahren. Ich habe sie widerrufen." Die beiden Sowjetagenten sollen übrigens desertiert und in die Dienste des CIA getreten sein.

Nach dem Sieg über Deutschland hatten die Russen das Filmarchiv von Propagandaminister Joseph Goebbels geerbt. Stalin bediente sich daraus ebenso gern, wie es sein nun vernichteter Diktatorenkollege getan hatte. So hatte Goebbels für Adolf Hitler zu dessen 50. Geburtstag aus dem Archiv eine Auswahl von 120 Filmen zusammengestellt.

Als Stalin John Wayne töten lassen wollte

"Sing tiefer, Blondi, sing wie Zarah Leander"

Hitler hatte sich seine Heimkinos ebenso in der Berliner Reichskanzlei installieren lassen wie auf dem Obersalzberg, auf den er sich in den letzten Jahren vor dem Zusammenbruch Nazideutschlands zunehmend häufiger zurückzuziehen pflegte. Das Kino verstärkte Hitlers Tendenz zur Realitätsflucht: Wie Stalin langweilte er seine Vertrauten damit, dass sie sich bis spät in der Nacht Filme ansehen mussten.

Es ist bekannt, dass Hitler Zarah Leander schätzte. Mehr als einmal machte er sich einen Spaß daraus, dass er seine Schäferhündin Blondi anstiftete, für die Gäste zu heulen, um ihr dann zu befehlen: "Sing tiefer, Blondi, sing wie die Zarah Leander!".

Was Hitler nicht wusste: Die schwedische Femme fatale des deutschen Films arbeitete für den KGB. Sie war schon vor dem Krieg angeworben worden und trug den Codenamen "Rose-Marie".

Die Archive des sowjetischen Geheimdienstes enthalten interessante Einzelheiten. Zarah Leander konnte als Schwedin unbehindert zwischen Berlin und Stockholm reisen und damit Kurierdienste leisten. Sie traf in der schwedischen Hauptstadt ihre Agentenführerin Soja Rybkina, die stellvertretende NKWD-Residentin.

General Pawel Sudoplatow, der Leiter der Abteilung Sonderaufgaben in dieser Vorgänger-Organisation des KGB, urteilte auf einem hinterlassenen Tonband über die Schauspielerin: "Sie hat uns geholfen, ein Bild von der Lage in Nordeuropa und von den diversen britischen, amerikanischen und deutschen Interessen zu gewinnen." Sogar die KP-Mitgliedskarte von Zarah Leander liegt in Moskau noch vor.

Wenn sie nach dem Krieg als "Kollaborateurin" angegriffen wurde, verteidigten die Kommunisten sie als "wahre Demokratin".

Exotische Flimmer-Sterne

Generell hatte das Dritte Reich mit seinen exotischen Flimmer-Sternen wenig Glück. Die Ungarin Marika Rökk, geboren in Kairo, war laut sowjetischen Nachrichtenquellen gelegentliche Mitarbeiterin. "Als unsere Truppen Deutschland erreichten, ging sie nach Österreich und zog dort ihre eigene Filmgesellschaft auf - nicht ohne Hilfe." So Berijas Sohn.

Ungeklärt ist das Rollenspiel von Olga Tschechowa, der Nichte der Witwe des Dichters Anton Tschechow. Während ihre Tante, die ältere Olga Tschechowa, in Moskau an Stalins Theatern als "Verdiente Künstlerin des Volkes" gefeiert wurde, saß die Nichte Olga Tschechowa auf einem Empfang von Reichsaußenminister Ribbentrop neben Hitler und tanzte mit Graf Ciano, dem Außenminister des Duce.

Bei der Eroberung von Berlin geschah ihr nichts. Im Gegenteil. Ihr Haus wurde durch Posten der Roten Armee gesichert, ob in Anerkennung geleisteter Dienste oder aus Respekt vor dem Namen Tschechow, bleibt ungewiss. Offiziere geleiteten sie ins Hauptquartier von Marschall Schukow.

Ein Flugzeug brachte sie nach Moskau zum De-Briefing in ein sicheres Haus. Dort wurde Olga Tschechowa von Viktor Abakumow vernommen, dem Chef der militärischen Abwehr Smersh, einem der größten Scheusale im sowjetischen Polizeiapparat.

Geschichten wie sie das Kino schreibt - oder das Leben

Aus diesen Tagen existieren drei Briefe, in denen sie ihn als "Liebster Viktor Semjonowitsch" anredet. Danach durfte sie zurück nach Berlin und in ein neues Leben. Während des Krieges soll Stalin über Olga Tschechowa bemerkt haben, sie werde noch Bedeutendes leisten. Aber das ist nicht beweisbar.

Soja Fjodorowa wurde zwei Jahre nach dem Tod des Diktators endlich aus dem Arbeitslager entlassen. Sie drehte noch 40 Filme. Jackson Tate, den Vater Viktorias, sah sie erst 1976 wieder. Er war inzwischen Admiral und konnte seine Tochter nach Amerika holen.

Als kleineres Sternchen hatte Viktoria ebenfalls am russischen Film-Firmament geleuchtet. Ihre immer noch populäre Mutter wurde 1981 von einem Einbrecher erschossen, der auffallend wenig stahl. Möglicherweise hatte er andere Motive - Geschichten, wie sie das Kino schreibt, oder leider auch das Leben.

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