Kino:Hinterm Horizont geht's weiter

Kino: Mentale Visualisierung ist das Thema des australischen Virtual-Reality-Beitrags "Future Dreaming".

Mentale Visualisierung ist das Thema des australischen Virtual-Reality-Beitrags "Future Dreaming".

(Foto: Filmfest)

360-Grad-Filme bei den "Virtual Worlds" im Isarforum

Von Bernhard Blöchl

Die Marionetten sind los. Sie sind menschengroß, haben einen verkabelten Brillenhelm und Kopfhörer angelegt, in den Händen halten sie anschmiegsame Joysticks. Die Marionetten zappeln und zucken, als wären sie in Trance oder auf einem Rave. Tatsächlich stehen sie allein für sich, assistiert von Profis, in seitlich mit Vorhängen abgehängten Räumen. Videokabinen, so sagen hier einige. Was aus der Außenperspektive kurios bis drollig aussieht, ist aus der Innenperspektive eine völlig neue Erfahrung, zumindest für jene, die mit interaktiven Virtual-Reality-Produktionen noch nichts am Hut hatten. Da steht man plötzlich nicht mehr als Filmfestbesucher im Isarforum, sondern im Regenwald in Brasilien. Man lauscht den Naturgeräuschen und schaut sich um. Hebt man den Kopf, blickt man in Baumwipfel, senkt man den Kopf, schaut man ins Wasser. Klickt man mit dem per Joystick gesteuerten Symbol auf auftauchende Tiere, dann kann man mit Kaimanen schwimmen, sieht Umrisse und Farben wie ein Pfeilgiftfrosch oder wird zur Vampirfledermaus, deren Echoortung für die menschlichen Sinne uminterpretiert wird.

"Inside Tumucumaque" ist eine von 22 sogenannten "VR Experiences", die in den "Virtual Worlds" des Filmfests München in diesen Tagen dem Publikum zugänglich gemacht werden. Das sind Virtual-Reality-Produktionen im Stile von kurzen Dokus, Animationsfilmen, Games oder Lehrstücken, die reale Räume digital erfahrbar machen. Interaktiv, als Einzelerlebnis. Ob mit Schlittenhunden durch die Arktis, zur Bauhaus-Ikone Walter Gropius durch die Zeit oder mit Taschenlampe durch die Blautopfhöhle in Blaubeuren; ob mentale Visualisierungen, Körperprozesse bei Fieber oder Monets subjektives Farbempfinden - die zwischen vier und 20 Minuten langen VR-Beiträge aus aller Welt zeigen, was die bereits in den Fünfzigerjahren in ersten Entwürfen angedachte und jahrzehntelang weiterentwickelte Technik inzwischen kann. Wobei die Kuratorin Astrid Kahmke bei der Eröffnung betonte, dass es sich hierbei nur um einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten handele; performative Kunst oder große Installationen seien nicht dabei.

Dennoch: Die "Virtual Worlds", die das Filmfest gemeinsam mit dem Bayerischen Filmzentrum konzipiert hat, sind eine gelungene Sache, ein echter Mehrwert für das Filmfest, das sich ja bekanntlich im Wandel befindet. Das Dreitagesprojekt mit Kongress ist ein Beispiel für Experimentierfreudigkeit, für interdisziplinäres und visionäres Denken. Es ist Erlebnisraum, Ausstellung, Wettbewerb und Retrospektive zugleich, Gastland ist Frankreich. Man unterscheidet dabei zwischen den interaktiven "VR Experiences", die Besucher ausprobieren können und die eine Jury unter Aspekten der narrativen VR-Kunst bewertet (Preisverleihung mit Party an diesem Donnerstag, 20.30 Uhr, Ampere). Und den 360-Grad-Erlebnissen, die keine Joysticks, nur Brille und Kopfhörer benötigen. Im hintersten Raum, der dem preisdekorierten VR-Studio Felix & Paul aus Québec gewidmet ist, kann man im Drehstuhl sitzen und den Kurzfilmen folgen. Man ist dann keine Marionette, wenn man sich zum Beispiel in die " Jurassic World" wagt und das doch recht körperliche Gefühl hat, vom Riesendino beinahe verschlungen zu werden.

Virtual Worlds beim Filmfest München, bis Do., 4. Juli, 10-19 Uhr, Isarforum, Eintritt frei, Restplätze online buchen unter virtualworlds-munich.com

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