Süddeutsche Zeitung

Kino:Helles im Dunkeln

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Abziehbild-Horror: Der Film "Colonia Dignidad" von Florian Gallenberger verheddert sich in Genre-Klischees.

Von Rainer Gansera

"Es gibt Schauspielerinnen", bemerkte der der französische Regisseur François Truffaut, "deren Erscheinung allein schon derart fasziniert, dass ein Film, in dem sie die Hauptrolle spielen, fast darauf verzichten könnte, eine Geschichte zu erzählen." "Harry Potter"-Star Emma Watson zählt dazu. Sie bezaubert mit einer Aura mädchenhafter Offenheit und Helle. In Florian Gallenbergers Polit-Thriller "Colonia Dignidad" erscheint sie, ihrem lichten Wesen gemäß, als rettender Engel, um Daniel Brühl aus der Hölle zu befreien.

Sie heißt Lena, ist Stewardess und trägt ein zitronengelbes Kostüm, wenn sie in den Straßen von Santiago de Chile ihren Freund Daniel (Daniel Brühl) entdeckt. Daniel ist Fotograf und Anhänger der Volksfrontregierung Salvador Allendes. Ein junger, charmanter deutscher Revoluzzer. Als Turteltäubchen-Zweisamkeit, leichthändig mit dem Flair der Siebzigerjahre spielend, präsentiert Gallenberger den Prolog der Geschichte. Daniel bruzzelt am Herd den Frühstücksspeck, nur mit einer Küchenschürze bekleidet, und Lena kommentiert neckisch diesen Anblick eines "moderne Mannes".

Rasch endet die Idylle. Am 11. September 1973 kommt General Pinochet durch einen Militärputsch an die Macht. In Art einer fiebrigen Reportage wird die Panik in den Straßen gezeigt, die Treibjagd der Soldaten, die berüchtigte Szene, wie die Oppositionellen im Fußballstadion zusammengetrieben werden. Daniel, von Spitzeln als Allende-Unterstützer denunziert, wird inhaftiert und landet in den Folterkammern der Sekte "Colonia Dignidad", die mit Pinochet gemeinsame Sache macht. Als Lena davon erfährt, verschafft sie sich Zugang zu dem hermetisch abgeriegelten Colonia-Camp, getarnt als Glaubensschwester, die der Sekte beitreten will.

Über die 1961 vom deutschen Laienprediger Paul Schäfer im Süden Chiles gegründete "Colonia Dignidad" gibt es zahlreiche Berichte und Zeugnisse, darunter die aufwühlende Dokumentation "Deutsche Seelen" (2010) von Martin Farkas und Matthias Zuber. Erkennbar wird darin das Schreckensregime eines Mannes, der seine Pädophilie, seinen Führerkult und Sadismus hinter einer Fassade aus Religion und Wohltätigkeit versteckt. Ein System der Seelenzerstörung, des sexuellen Missbrauchs, der Versklavung - und ein Refugium für Altnazis.

Politik und Sekten-Horror: Gerne würde man Genaueres erfahren

Gallenberger hat dazu ausgiebig recherchiert, aber für die filmische Umsetzung des Horrors findet er leider nicht die hinreichenden Mittel. Er verheddert sich in Genreklischees. Er zeichnet Schäfer (Michael Nyquist) als Abziehbild eines Psychopathen und macht aus der Dirndl-Lederhosen-Folklore der Sekte bei einem Pinochet-Besuch überdrehte Karikatur. Mit peitschenschwingenden Aufseherinnen wird das Diabolische zur Fratze, ja zur beinahe beliebigen Reminiszenz an Lager-Filme.

Lieber würde man Genaueres über die politischen Zusammenhänge erfahren. Wie sah die Pinochet-Colonia-Connection konkret aus? Warum und wie wurde sie von den Diplomaten der deutschen Botschaft gedeckt? Als abenteuerliche Flucht setzt Gallenberger die Befreiung Daniels in Szene. Er kann spannungsgeladen erzählen, mit raffiniert ausgereizten Cliffhanger-Momenten. Rettende Engel sind - siehe "John Rabe" (2009) - seine Lieblingsfiguren. Zum packenden Szenario wird der Trip durch die Colonia-Hölle immer dann, wenn die Helle, die Emma Watson ihrer Figur verleihen kann, ins Zentrum rückt und das Dunkel wie einen schrecklichen Albtraum verscheucht.

Colonia Dignidad, Deutschland/Luxemburg/Frankreich 2015 - Regie: Florian Gallenberger. Buch: Thorsten Wenzel, Florian Gallenberger. Kamera: Kolja Brandt. Mit: Emma Watson, Daniel Brühl, Michael Nyqvist, Vicky Krieps, Richenda Carey, August Zirner. Majestic, 110 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2016
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