Süddeutsche Zeitung

Kino:Giasing, Oida

Hollywood schön und gut, beim Filmfest stehen auch die Münchner im Rampenlicht. Thomas Schwendemann feiert gleich zwei Weltpremieren: Er zeigt seine Kneipenkomödie "Schmucklos" und seine Doku über die "Fantastischen Vier"

Von Bernhard Blöchl

Ein bisschen mulmig wird ihm nun doch. "Ich habe mir vorgenommen, beim Fanta-Film nicht zu weinen", sagt Thomas Schwendemann beim Gespräch vor dem Filmfest. Wenig Schlaf, umso mehr Stress, die Dämme könnten brechen. Glückstränen, freilich. "Hoffentlich passiert es nicht im Arri", sagt der Mann mit dem Charles-Bukowski-Shirt. In der noch recht neuen Astor Film Lounge im Arri wird der Regisseur aus Trudering am Dienstag, 2. Juli, seinen Dokumentarfilm zum 30-Jährigen der Fantastischen Vier vorstellen - gemeinsam mit der Band, nach langem Engagement, nach bis zu 300 Stunden Aufnahmen. So eine Weltpremiere kann einen schon nervös machen.

Nervöser wird man höchstens bei zwei Weltpremieren, und genau die hat Schwendemann vor sich, denn sein "Bavarian Dream", wie der 41-Jährige diesen Glücksfall nennt, geht noch weiter. Auch sein Spielfilm "Schmucklos", eine unkonventionelle Giesinger Kneipenkomödie über Altersarmut und Gentrifizierung, wird in diesen Tagen beim Filmfest zum ersten Mal gezeigt: in der Gratis-Open-Air-Sparte "Minga, Baby!" auf dem Gasteig-Forum. "Ein Wahnsinn, hier neben Dietl, Fassbinder und Pumuckl zu laufen", freut sich Thomas Schwendemann.

"Wer 4 sind" heißt seine Doku über die wohl immer noch prominentesten Rapper Deutschlands. Wer er ist, diese Frage ist nicht weniger spannend. Da gibt es also in diesem Sommer einen weitgehend unbekannten Münchner, der mit seinen zwei ersten Kinofilmen auf einem der wichtigsten Filmfestivals Europas zu Gast ist. Schwendemann, markant mit Glatze und Henriquatre-Bart, der zur Filmfesteröffnung forsch in der Tracht erscheint, hat in Wien und München Filmregie studiert, hat als Cutter und Kameramann gearbeitet, als Werbefilmer und Fernsehregisseur. Ein Allrounder, wie man sagt, denn Schauspieler, Dozent, Puppenbauer und -spieler ist er auch noch. Und nebenbei Vater. Bei den Dreharbeiten zur ARD-Sendung "Wissen vor 8 Natur" hat der Regisseur Thomas D kennengelernt. Der Vegetarier und Rapper der Fantas moderiert das Format seit 2013. "Ich habe ihn schätzen und lieben gelernt", erzählt Schwendemann, der für Thomas D sodann das Video zu dessen Solonummer "Hurensöhne" (2014) drehte. Seine Idee, zum nahenden 30-Jährigen der Band einen Dokumentarfilm zu stemmen, stieß nach einem Treffen mit der Band zunächst auf Widerstände. "Michi Beck ist der Zweifler, Thomas D der Euphorische." Doch Thomas Schwendemann blieb dran. "Sie sind ja ein zäher Hund", diesen Satz habe er schon oft gehört in seiner Karriere. Folglich durfte er Fanta 4 von Juli 2017 bis Frühjahr 2019 mit Kamera- und Tonmann begleiten. Der Film zeigt die Gruppe bei der Jam Session zum aktuellen Album "Captain Fantastic", gibt Einblicke in das Bandgefüge, lässt Kollegen wie Samy Deluxe und Clueso zu Wort kommen und bringt dem Zuschauer Thomas D, Michi Beck ("die Stylistin bei den Fantas"), Smudo ("Wir haben einen Sinn") und And.Ypsilon auch privat näher. Der Film für Fans, der im Herbst auch regulär in die Kinos kommen soll, endet mit einem riesigen Live-Konzert in der Heimat in Stuttgart. Auf der Bühne vor tausenden Menschen sagen die Stars einen Satz, der viel über das Zusammenwachsen der Crew aussagt: "Man kann den Schwendemann von hier aus sehen, ist nicht zu glauben!" Schwendemann hat die Passage in der finalen Fassung rausgeschnitten. Es kam ihm dann doch zu eitel vor.

Hartnäckigkeit hat ihn auch bei "Schmucklos" ans Ziel gebracht. Ohne Produktionsfirma, ohne Sender, ohne Förderung, dafür mit einem "gehörigen Energieaufwand" und Eigeninvestitionen in Höhe von etwa 50 000 Euro hat Thomas Schwendemann eine Idee umgesetzt, die 2012 entstanden ist. Eine Schnapsidee im besten Sinne. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Salzburger Autor und Schauspieler Stefan Fent hat er eine bairisch-österreichisch gefärbte Komödie entwickelt, ein vor Einfällen sprühendes irres Teil, das autobiografische Züge trägt. Zwei gescheiterte Kreative versuchen sich in Giesing als Wirte, indem sie aus dem geschlossenen Lokal der verstorbenen Oma ein Gasthaus mit schlichtem Konzept machen: Schnaps und Würschtel. "Das sind schon wir", sagt Schwendemann, der neben Fent die Hauptrolle selbst übernommen hat. Bemerkenswert: die hohe Dichte an bayerischer Prominenz. Uschi Glas und Michaela May tauchen da auf, Eisi Gulp und Hannes Ringlstetter, Thomas D und Günther Sigl. Als tote Oma spricht Marianne Sägebrecht zu ihm, Erzähler ist Hansi Kraus. "Ich kannte keinen von ihnen persönlich, ich hab die einfach angeschrieben", sagt er und betont, dass die Schauspieler für das Projekt zunächst auf ihre Gage verzichten.

Mit kleinen Mitteln viel bewegen, das hat Schwendemann beim Puppenspiel gelernt. Seit vielen Jahren hält er dem mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichneten Marionettentheater "Kleines Spiel" die Treue. Und wenn parallel zum Filmfest derzeit die Opernfestspiele die Münchner auf Trab halten, dann mischt der Tausendsassa auch dort mit: als Puppenspieler im Intro bei "Le nozze di Figaro" (5. und 7. Juli). Da darf ihm ruhig ein bisschen mulmig werden, dem Schwendemann.

Schmucklos, Premiere am So., 30. Juni, 22 Uhr, Open Air am Gasteig; Wer 4 sind, Premiere am Di., 2. Juli, 21 Uhr, Astor Film Lounge im Arri

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SZ vom 29.06.2019
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