Süddeutsche Zeitung

Filmstarts der Woche:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

"Faking Bullshit" über Cops, die die Kriminalstatistik fälschen, kommt nicht an das schwedische Original ran - trotz Bjarne Mädel. Dafür nimmt "Kiss me Kosher" amüsant Religion und Konventionen auf die Schippe.

Aus der SZ-Kinoredaktion

Das Arvo Pärt Gefühl

Er sei immer auf der Suche nach Reinheit und Freiheit, sagt ein Cellist über den Komponisten, und dass man Arvo Pärt, diesen bescheidenen Mann, beschützen müsse. Regisseur Paul Hegemann tut das ein bisschen zu sehr in seiner Dokumentation. Er lässt statt Pärt viele Musiker erzählen, wie sie sich seine Musik erarbeiten, was sie mit ihnen macht. Interessant ist das vor allem, weil neben europäischen, klassischen Musikern auch ein Amateur-Orchester in Kinshasa zu Wort kommt und die Komponistin elektronischer Musik Kara-Lis Coverdale.

Body of Truth

In Evelyn Schels "Body of Truth" wird die Geschichte von vier Künstlerinnen erzählt: Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und die der Deutschen Katharina Sieverding. Alle verbindet, dass sie ihre Kunst durch ihren Körper erschaffen. Sei es ein in den Bauch geritzter Pentagram oder ein nackter Körper, der im Toten Meer auf einer Wassermelone balanciert. Wer sich bereits mit den Künstlerinnen auskennt, erfährt nicht viel Neues, aber als Einstieg in ihr Wirken leistet der Film erstaunliche Arbeit. Die Musik von Christoph Rinnert hält die Geschichten zusammen.

Die Epoche des Menschen

Eine Müllkippe, größer als viele Städte. Baummassaker in Kanada und Nigeria, horizontweite Megacities, endlose Tunnelprojekte, ein 120 Kilometer langer Küstenbefestigungswall: Die Filmemacher Nicholas de Pencier und Jennifer Baichwal montieren Aufnahmen des kanadischen Fotografen Edward Burtynsky zu so beeindruckenden wie bedrückenden Bildströmen, die dokumentieren sollen, wie wir die gesamte Erde zur Industrielandschaft umgeformt haben.

Faking Bullshit

Mangels Verbrechen soll die Provinz-Polizeiwache geschlossen werden. Um die eigenen Arbeitsplätze zu erhalten, entschließen sich die Cops, die Kriminalstatistik selber zu befeuern: Hier einen Stein in die Fensterscheibe werfen, dort eine Würstchenbude anzünden und ein paar Hakenkreuze an die Wand malen oder einen Obdachlosen (Bjarne Mädel) zum Deo-Diebstahl anstiften. In seinem Regiedebüt verschafft Schauspieler Alexander Schubert den Cops neben ein paar vorhersehbaren Reizthemen wie Rassismus und Frauenfeindlichkeit noch einen echt hanebüchenen Fall von Kunstraub. Aber auch der liebenswerte Charme von Comedian Erkan Acar kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Remake sehr viel bräsiger daherkommt als das immerhin schon dreizehn Jahre zurückliegende, schwedische Original.

Kin-Dza-Dza!

Die beiden Russen Wladimir und Gedewan treffen auf der Straße einen Bettler, der behauptet, ein gestrandeter Außerirdischer zu sein. Als sie zum Spaß auf seinen Teleporter drücken, finden sie sich plötzlich auf dem sandigen Planeten Plük wieder. Eine absurd-metaphorische Weltraumodyssee mit Cyberpunk-Anleihen beginnt, in der Schwefelhölzer als ultimatives Gut gelten und die gesellschaftliche Hierarchie an der Farbe der Hosen ablesbar ist. Hätten Monty Python "Der Wüstenplanet" in der Sowjetunion verfilmt, es wäre wohl etwas Ähnliches wie "Kin-dza-dza!" von Georgi Danelija herausgekommen. Die Science-Fiction-Komödie aus dem Jahr 1986 mauserte sich in Russland zum ultimativen Kult. Der dystopische Witz funktioniert auch hier und heute.

Kiss me Kosher

Wann sind Eltern schon mal wirklich glücklich mit der Wahl der Zukünftigen ihrer Kinder? Als die Jüdin Shira aber eine nicht jüdische, deutsche Frau als Zukünftige vorstellt, präsentiert sie ihrer Familie den Triple der Provokation. Aber auch selber nehmen es einige in der Familie und unter den Freunden mit den Grenzen von Kultur, Religion und Nationalität nicht so ernst wie sie tun. In ihrem deutsch produzierten, in Tel Aviv mit internationalem Team gedrehten Spielfilmdebüt nimmt Shirel Peleg die volatilen Verhältnisse ihrer Heimatregion eher subversiv amüsant als albern überdreht auf die Schippe und bringt auf diese Weise eher Gemeinsamkeiten als Differenzen zum Vorschein.

Love Sarah - Liebe ist die wichtigste Zutat

Eine eigene Bäckerei - das war der Traum von Clarissas (Shannon Tarbet) Mutter. Als sie plötzlich stirbt, übernimmt die 19-jährige Balletttänzerin den bereits gemieteten Laden im Londoner Stadtteil Notting Hill. Mit ihrer Großmutter und der besten Freundin ihrer Mutter eröffnet sie bald eine süße kleine Bäckerei. Die Törtchen bäckt ein Sternekoch, der womöglich Clarissas Vater ist. Alles ist sehr hübsch anzusehen in Eliza Schroeders Wohlfühl-Film, etwas mehr Tiefe hätte er allerdings schon vertragen.

Petla

Skandalgeschichte über die Karriere eines polnischen Polizisten, der die üblichen Vorgehensweisen nutzt, um Macht und Geld zu erlangen: Gewalt, Erpressung, Sex. Die Polizeikollegen sind gern behilflich, russische Gangster oder ukrainische Hurentreiber nicht minder, am Ende hat er ein Luxusbordell voll versteckter Kameras. Patryk Vega führt die Unmoral anfangs vor wie eine Groteske aus der Hölle, danach jedoch rechnet er so umständlich ab, dass die Unterhaltung eher ins Fegefeuer wandert.

The Photograph

Ein Foto der verstorbenen Mutter wird für die erfolgreichen Kuratorin Mae (Issa Rae) zum Auslöser ihrer Beschäftigung mit der eigenen Herkunft. Dabei lüftet sie nicht nur ein gut gehütetes Familiengeheimnis, sondern verstrickt sich auch in eine handfeste Romanze mit dem Journalisten Michael (LaKeith Stanfield). Erfreulicherweise verhalten sich die beiden Protagonisten dieser Liebesgeschichte von Stella Meghie im Beziehungsspiel fair und vernünftig und der smoothe Jazz-Soundtrack entschädigt für die manchmal zu cleanen Bilder.

Vitalina Varela

Pedro Costa taucht mit der frisch verwitweten Vitalina (als sie selbst) erneut in die Welt der kapverdischen Migranten in Lissabon ein. Ein Film wie ein dunkles, offenes, unfertiges Haus für Geschichten, Erinnerungen und Klagen, gebaut von einem der größten Baumeister des Kinos (jede Einstellung ein Ziegel), bewohnt von einer großartigen Schauspielerin. Wofür beide letztes Jahr in Locarno einen Goldenen Leoparden erhielten.

We almost lost Bochum

Die Ruhrpott AG, kurz RAG, eine der wichtigsten Deutsch-Rap-Crews. Prägend im Sound, befeuerten sie in den späten Neunzigern die Verwandlung des Genres von der Subkultur zum Massenphänomen. Stars wurden sie nie. Erinnern tun sich nur Fans von damals. Wie es dazu kam und was ausbleibender Ruhm mit Musikern macht, das erzählen Benjamin Westermann und Julian Brimmers in ihrer Hip-Hop-Dokumentation - empathisch und nah an den Lebensgeschichten der Mitglieder entlang und mithilfe von Fans, die anders als RAG berühmt wurden: Jan Delay, Kool Savas oder Marteria.

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