Süddeutsche Zeitung

"Toy Story 4" im Kino:Kinderspielzeuge auf Sinnsuche

  • Im vierten Teil von "Toy Story" begeben sich die Figuren auf die Suche nach dem Sinn im Leben.
  • Unabhängige Frauen und Nachhaltikeitsgedanken machen den neuen Teil der Kinderfilmreihe modern.

Von Fritz Göttler

Träumen Spielzeugfiguren von Plastikschafen? Von der Dreiergruppe Billy, Goat und Gruff, und auch von ihrer filigran-energischen Schäferin Bo Peep, die den Figurinen des 17. Jahrhunderts (und einem englischen Kinderreim) nachempfunden ist? Die Frage schwingt auch im neuesten "Toy Story"-Film "Alles hört auf kein Kommando" ganz entschieden mit - der mit seinem metaphysischen und existenzialistischen Grundton alle schwerfälligen neueren Psychodramen um Längen schlägt, und auch jene Avengers-Spektakel, die sich inzwischen der Tiefsinnigkeit zugewandt haben. Auch nach der Übernahme durch Disney zeigt das Animationsstudio Pixar, dass es in all der perfekt choreografierten Action-Hektik immer noch Platz findet für subtile Reflexion, bis an die Schmerzgrenze. Das geht auf John Lasseter zurück, der Pixar lange leitete und prägte, bis er, weil er zu intensiv die Nähe seiner Mitarbeiterinnen suchte, gefeuert wurde.

In Sinnkrisen gerieten die Spielfigurenhelden der "Toy Story"-Filme schon immer. Im ersten musste Buzz Lightyear, der Superastronaut, auf bittere Weise erfahren, dass er halt kein wirklicher Superheld, nur ein Kinderspielzeug ist, in diesem ist er nun auf der Suche nach seiner inneren Stimme, er drückt dazu auf den Knopf seines Raumanzugs und lauscht den gespeicherten Kommandos: "Zurück zur Basis." "Danke, innere Stimme."

Die größte Angst ist natürlich, zu lost toys zu werden, von ihren Kindern verlorenes und nicht mehr gefundenes Spielzeug, ein Schicksal, das schlimmer ist als das der lost boys um Peter Pan. Weil sie mit Nutz-, mit Sinnlosigkeit gekoppelt ist. Nützlich sein bedeutet Heimat, also machen sie sich immer aufs Neue auf den Weg zurück. Dort warten emotionale Bindungen auf sie, soziale Aufgaben, große Verantwortung für die Kinder.

Im neuen Film gibt es einen Wechsel, die Spielzeugkiste, die wir aus den drei ersten Filmen kennen, geht von Andy, der dem Spielzeugalter entwachsen ist, auf die kleine Bonnie über. Sheriff Woody, die prominente Figur in der Kiste, managt den Übergang und motiviert die Schar seiner Kumpel. Neun Jahre zuvor hatte es einen schweren Moment für ihn gegeben, als die geliebte Schäferin Bo Peep aus seinem Leben verschwand, ein Abschied im Regen, weil sie sich eines neuen Kindes annehmen musste. Im neuen Film trifft er sie wieder, sie ist die Verantwortung los und er hat die Chance, sich über seine Liebe ganz klar zu werden.

Die allergrößte Sinnkrise hat das neue Spielzeug in diesem Film. Die kleine Bonnie muss in den Kindergarten, sie hat erst Angst, bastelt dann doch ein merkwürdiges Wesen aus einer Plastikgabel, rotem Draht und zwei schwarzen Knöpfen als Augen. Forky ist sein Name, natürlich. Und Forky, krumm und ungelenk und hoppelig, mit schiefem Blick, kann überhaupt nicht nachvollziehen, was seine Bestimmung ist. Ich bin Trash, sagt er, und wenn er einen Abfalleimer sieht, zieht es ihn hin, um hineinzuplumpsen und mit dem Trash sich zu vereinigen. Ein groteskes suizidales Verlangen, aber nicht ohne eine Art Wohligkeit, das ein wenig an die Lustmaschinen bei Deleuze und Guattari erinnert. Die Anarchie des Nichts.

Um den labilen Forky herum entwickeln sich die bewährten Mechanismen von Angriff, Verteidigung, Verfolgung, in einem Antiquitätenladen und auf einem Karneval, inklusive Riesenrad und Karussell. Solidarität und Selbstdarstellung geht, wie oft im amerikanischen Kino, prima zusammen. Der Puppe Gabby Gabby, deren Sprachbox defekt ist, kann geholfen werden, und ihre fiesen Helfershelfer haben nichts zu melden - ein Trupp Bauchrednerpuppen, wie sie das Horrorkino der letzten Jahre bevölkern mit ihren Übernahmegelüsten.

Es gibt eine neue Unabhängigkeit in diesem Film, vor allem durch die Frauen. Bonnie greift nach Woodys Sheriffstern und heftet ihn dem Cowgirl Jessie an. Bo Peep legt ihre Steifheit ab und entwickelt sich mit blauem Cape zur Superheldin, die gekonnt mit ihrem geschwungenen Hirtenstab hantiert. Stärker als zuvor ist diesmal das Moment der Nachhaltigkeit - dass Spielsachen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, weitergegeben, nicht durch neueste Modelle ersetzt werden. Die neue Selbständigkeit bringt auch manche Höhenflüge, die Puppen brauchen den Boden nur, um ihn zu streifen und den Schwung der Glieder neu zu beleben.

Auch der Tod ist für Sekunden präsent in diesem Film, das Unvorstellbare, das Nichts. Eine Katze hat eine Plüschfigur aufgeschlitzt, deren Reste liegen nun, eine flauschig formlose Masse, auf dem Boden. Schauen wir so aus im Innern, fragt eine andere Flauschfigur. Träumen Spielzeugfiguren von Plastikschafen? Träumen sie überhaupt? Sie haben eine merkwürdige Doppelexistenz, liegen regungslos da, wenn die Kinder im Kinderzimmer sind und mit ihnen spielen. Im Nichtsein finden sie den Sinn ihres Seins.

Toy Story 4, USA 2019 - Regie: Josh Cooley. Buch: Andrew Stanton, Stephany Folsom. Originalstory John Lasseter, Josh Cooley u.a. Kamera: Jean-Claude Kalache, Patrick Lin. Schnitt: Axel Geddes. Mit den Stimmen von: Tom Hanks, Tim Allen, Annie Potts, Christina Hendricks, Jordan Peele, Keanu Reeves. Disney, 100 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019/asä
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